Navigation überspringen
© adamsput / sxc.hu

29.07.2011 / Nachgedacht / Lesezeit: ~ 3 min

Autor/-in: Der Autor ist der Redaktion bekannt

Der Nebel des Krieges

Wen Krisen und Schicksalsschläge aus der Bahn werfen, für den ist der Weg in die Depression nicht weit. Ein Lebensbericht.

„Was haben Sie letztes Jahr gemacht?“ Das fragte mich der Psychotherapeut als ich ihm von meiner depressiven Phase erzählte. Ich schluckte, überlegte fieberhaft, aber mir fiel nichts ein. Alles war überlagert von einem dichten, grauen Nebel – einem Schleier des Vergessens: dem Nebel des Krieges.

Der preußische General und Militärtheoretiker Carl von Clausewitz hat diesen Begriff geprägt. Damit bezeichnete er unter anderem die Situation, dass ein bestimmtes Gebiet etwa in einer Feldschlacht zwar auf Karten erfasst ist, aber unklar bleibt, wie sich darin der Feind bewegt.

Der Späher im Wald

Computerspielentwickler nutzten diesen Effekt in den Neunzigern zum Beispiel im Spiel „Warcraft“: Eine eigene Einheit erkundete den Weg durch einen Wald. Die Karte des Spielgebietes wurde so immer mehr aufgedeckt. Doch nach kurzer Zeit wurden einzelne Kartenausschnitte wieder abgedunkelt und grau, weil die Einheit sich außer Sichtweite bewegt hatte. Das ist der Nebel des Krieges - dieses Spielkonzept gehört heute zu den klassischen Elementen des Strategiegenres.

Verdrängung. Das ist aktive Arbeit. Es geht darum, sich schwierigen Fragen nicht zu stellen. Fragen die existenziell sein können, die angstbelastet sind, die an die Nieren gehen. Ich wollte gar nicht wissen, was zum Kollaps nahezu meines gesamten sozialen Umfeldes geführt hatte. Ich war nicht daran interessiert, meine eigenen Fehler in der Geschichte aufzuarbeiten.

Schuld, Intrigen und Verrat

Also: Was habe ich gemacht? Ich habe natürlich weitergemacht. Ich habe den Wald weiter erkundet und so langsam den Nebel des Krieges über die Zäsur meines Lebens gelegt. Die Zäsur, bei der ich an meinen Freunden schuldig geworden war und sie gegen mich intrigiert, mich verraten hatten.

Nach einigem Überlegen fiel mir ein, dass ich damals viele Bücher gelesen hatte: Historische Romane, Fantasy, Science Fiction – eigentlich alles, was möglichst weit weg von der aktuellen Lebenswirklichkeit war. Je weiter weg, desto besser war der Stoff.

Es war damals Sommer. Aber ich blieb in meinem Zimmer. Gelesen habe ich meistens nachts, denn die Sonne war mein Feind: viel zu warm, viel zu hell, viel zu positiv. Selbstmitleid, Agonie, Vereinsamung.

Die Spirale meines Denkens weitete sich zu einem schwarzen Loch, das alles verschlang. Vor allem aber die Gefühle. Ich wollte nur noch abstumpfen.

Brennende Bäume

Ich habe erkannt, dass es mir schlecht ging. Ich habe gewusst, dass mein Verhalten nicht nützlich ist. Aber ich konnte nichts tun. Ich war wie gehemmt in meinem ewigen Kampf gegen das Feuer. Das Feuer jener brennenden Waldbäume, die ich hinter mir lassen wollte. Doch den Rauch und den Lichtschein konnte kein Nebel verbergen.

Es war ein Anstoß von außen, der mir half. Die Geduld meiner wenigen verbliebenden Freunde, meiner Familie und die Geduld von Jesus. Er hat mich nicht aufgegeben – auch wenn ich das vielleicht zeitweise glaubte.

Kleine Schritte zum Frieden

Langsam ging es wieder aufwärts, ich strukturierte meinen Tag neu, machte kleine Schritte. Neue Projekte habe ich mir vorgenommen, etwa am Sonntag in den Gottesdienst zu gehen. Oder aber selbst zu kochen.

Und endlich konnte ich auch wieder beten. Natürlich habe ich für Besserung gebetet, für Veränderung, für Hilfe.

Doch was ich bekam war viel besser: Ich bekam einen Frieden. Frieden über mich selbst, über die Dinge, die ich fürchtete und über die Dämonen, die mich plagten. Frieden über den Krieg, den ich glaubte ausfechten zu müssen. Und Frieden über den Nebel.

Das unendliche Lied von Feuer und Eis

Doch ist diese Geschichte nicht zu Ende. Es geht immer weiter mit mir, dem Krieg, dem Nebel und mit Jesus. Aber aufgeben ist nicht! Und so mache ich mir umso mehr bewusst, was ich jeden Tag leiste, mit was ich meine Freizeit verbringe.

Ich treibe jetzt Sport in der hellen Sonne. Ich schlafe jetzt nachts. Und ich lese Ratgeberbücher. Doch ich habe mir auch den letzten Roman der Reihe „A song of fire and ice“ von George R. R. Martin bestellt. Nicht, um der alten Zeiten willen. Nicht, um eine Reihe abzuschließen. Einfach nur, weil ich gerne mal wieder einen fantastischen Roman lesen will.

Ihr Kommentar

Die E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.
Alle Kommentare werden redaktionell geprüft. Wir behalten uns das Kürzen von Kommentaren vor. Ein Recht auf Veröffentlichung besteht nicht.

Kommentare (5)

Dorothea I /

Oh,danke,so ähnlich erlebte und erlebe ich es auch.....es geht irgendwie immer weiter....

Bettina /

Oh das kommt mir alles so bekannt vor, auch kenne diesen Nebel, dieses Abtauchen u. dann dieser Anstoß von außen, der dann die Wende brachte. Jetzt bin ich bei den kleinen Schritten u. mache mir mehr

Susi /

..und ob ich auch wandle im finsteren Tal so fürchte ich kein Unglück, denn Du bist bei mir....
und dies obwohl meiner Fehlbarkeit, welch eine Verheißung!

Christine K. /

Sehr schöner und interessanter Bericht!!

Diana /

Die ganze Vielfalt, der ganze Reiz, die ganze Schönheit des Lebens besteht aus Schatten und Licht.
(Lew Tolstoi - Anna Karenina)

Das könnte Sie auch interessieren