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© Miriam Schaumburg / ERF

22.12.2016 / Bericht / Lesezeit: ~ 4 min

Autor/-in: Annabel Breitkreuz

Weihnachtswunder im Hafen

Seeleute feiern Weihnachten im Hamburger Seemannsclub Duckdalben.

Stellen Sie sich doch mal kurz folgendes vor: Aus beruflichen Gründen können Sie Weihnachten dieses Jahr nicht daheim feiern. Auch die letzten Jahre haben Sie die Feiertage nicht mit der Familie verbracht. Doch dann werden Sie krank. Und in letzter Sekunde wird Ihnen erlaubt, endlich wieder Weihnachten zu Hause zu verbringen.
 

Maike Puchert kümmert sich um die Anliegen und Nöte der Seeleute.
(Bild: Miriam Schaumburg / ERF Medien)

Klingt irgendwie absurd, ist es aber nicht. Denn genau so sieht die Lebensrealität vieler Seeleute aus. Seemänner arbeiten und leben meist neun Monate am Stück auf einem Schiff. Die meiste Zeit des Jahres sind sie deshalb von ihren Familie getrennt. Das ist vor allem in der Weihnachtszeit besonders schwer. Die Seemannsdiakonin Maike Puchert kennt die Einsamkeit und das Heimweh der Seefahrer. Sie besucht die Seeleute auf ihren Schiffen und hilft bei Problemen. Hierzu gehört es auch, Seeleute in Krankheitsfällen zu begleiten.

Das erste Mal mit der sechsjährigen Tochter Weihnachten feiern

Gemeinsam mit Maike betrete ich ein Zimmer im Hamburger Krankenhaus. Ein schmächtiger Mann sitzt auf dem Krankenbett. Er lächelt uns schüchtern, aber sichtlich erfreut zu. Maike setzt sich neben den philippinischen Mann auf das Bett und fragt besorgt nach seinem Befinden. Hinter mir fällt die Tür des Krankenzimmers zu und damit eröffnet sich mir ein unvergesslicher Einblick in die berührende Weihnachtsgeschichte des Matrosen. Der philippinische Seemann wurde bereits Tage zuvor operiert. Das Schiff, auf dem er seit Monaten arbeitet und lebt, hat schon längst wieder den Hamburger Hafen verlassen. Er ist allein in einem fremden Land zurückgeblieben.

Der Seefahrer erzählt, wie einsam und unverstanden er sich fühlt. Er liegt seit Tagen nur da und wartet, dass es ihm besser geht. Morgen ist es endlich soweit. Sein gesundheitlicher Zustand ist so gut, dass er zurück auf die Philippinen fliegen darf. Trotzdem macht er sich viele Sorgen, wie es ohne seinen Job weitergehen wird. Maike bietet ihm Hilfe bei der Kommunikation an, erklärt den Weg zur Krankenhauskapelle und schenkt ihm zwei Kuscheltiere für seine Kinder.

Der philippinische Seemann betrachtet die Kuscheltiere lange schweigend. Er ist berührt und erklärt uns, dass seine Tochter bereits sechs Jahre alt ist und er noch nie Weihnachten mit ihr feiern konnte. Für irgendwas wird es gut sein, dass er krank geworden ist, meint der Seemann nachdenklich. Und Maike antwortet, dass der Grund für sie klar ist: Dass er endlich mit seiner sechsjährigen Tochter Weihnachten feiern darf.

Weihnachtsgeschenke werden nicht auf Rentierschlitten geliefert

In Gedanken hänge ich dem Gespräch im Krankenhaus noch lange nach. Für mich ist es unvorstellbar sechs Jahre hintereinander die Weihnachtstage allein in der Fremde zu verbringen. Bisher habe ich erst einmal Weihnachten in fremder Umgebung gefeiert. Schön war das nicht. Vielleicht würde ich es noch ein zweites Mal ausprobieren. Aber sechs Jahre hintereinander? Nach dem Besuch im Krankenhaus ist mir klar geworden, dass es viele Menschen gibt, die nicht wie ich die Wahl haben. Und das sind diejenigen, die dafür sorgen, dass ich neben meiner Familie auch noch ein tolles Weihnachtsessen und Geschenke genießen kann.

So schön die Vorstellung auch ist, dass der Weihnachtsmann mit Hilfe eines Rentierschlitten die Geschenke bringt, in Wahrheit sieht es ganz anders aus. Auf riesigen Frachtschiffen werden meine Geschenke einmal um die Welt transportiert, damit sie Heiligabend unterm Weihnachtsbaum liegen. Und diese Frachtschiffe fahren nicht allein. Auf ihnen leben Seemänner monatelang mit wenigen Mitteln auf engstem Raum. Fernab von ihrer eigenen Heimat sorgen sie dafür, dass meine Heimat noch ein Stückchen schöner wird.

Eine Heimat in der Ferne

Die Mitarbeiter der Seemannsmission geben den Seeleuten etwas von dem zurück, was sie im Hintergrund für unseren Wohlstand tun. Maike Puchert erzählt, dass Seemänner viel zu oft vergessen und übersehen werden. Wir gehen gern tanken oder kaufen neue Turnschuhe, aber machen uns keine Gedanken, wie diese Waren zu uns kommen, erklärt sie. Seemannsmission beginnt für die Diakonin deshalb bereits bei der Entdeckung, dass auf Frachtschiffen Menschen arbeiten und leben. Und dass man diese Arbeit wertschätzt.

Weihnachten am Ohr
Die Seemannsmission Hamburg schenkt an Weihnachten den Seefahren eine Telefonkarte. Mit einer Spende von fünf Euro bekommt jeweils ein Seemann die Möglichkeit seine Familie anzurufen. Mehr Informationen über die „Weihnachten am Ohr!“-Aktion und über andere Spendenmöglichkeiten gibt es unter https://duckdalben.de/

Im Seemannsclub Duckdalben bietet die Seemannsmission Seeleuten einen kleinen Shop, kostenloses Internet und einen Raum der Stille an. Für mich ist vieles davon alltäglich, aber für die Seeleute ist es etwas ganz Besonderes. An Weihnachten wird im Duckdalben immer ein großes Fest gefeiert. Dann laufen die Telefone heiß, weil natürlich jeder nach Hause anrufen möchte. Es gibt eine Weihnachtsandacht und Raclette. Es fühlt sich an wie eine riesige internationale Familie, obwohl keiner von uns zu Hause ist, beschreibt mir die Mitarbeiterin das Fest. Ich denke zurück an den philippinischem Seemann im Krankenhaus. Er darf als einer der wenigen Weihnachten mit seiner Familie verbringen. Die meisten Seefahrer sind jedoch in der Fremde oder auf dem Weg in die Fremde. Es sei denn ihr Schiff legt im Hamburger Hafen an. Dann freuen sie sich auf eine Heimat in der Ferne: den Seemannsclub Duckdalben.

 

 Annabel Breitkreuz

Annabel Breitkreuz

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