/ Wort zum Tag
Ausgerufener Friede
Bibelauslegung von Wolfgang Buck über Jeremia 6,13-14.
Sie gieren alle, Klein und Groß, nach unrechtem Gewinn, und Propheten und Priester gehen alle mit Lüge um und heilen den Schaden meines Volks nur obenhin, indem sie sagen: »Friede! Friede!«, und ist doch nicht Friede.
Das klingt hochaktuell – die Gewinnmaximierung in allen Schichten der Gesellschaft ohne Rücksicht auf ethische Aspekte. Oft in der Geschichte ein Zeichen einer alt und verdorbenen Gesellschaft: Wer reich ist, hat die Macht, und wer die Macht hat, wird immer reicher. Es ist fast wie eine Gesetzmäßigkeit. Alle Gesellschaftssysteme waren und sind davon betroffen – egal ob Kapitalismus oder Kommunismus oder auch die Autokraten von heute. Die Reichen und Einflussreichen bauen ihre Paläste mit hunderten von Zimmern, häufen unvorstellbaren Reichtum an – und das Volk leidet oder hungert sogar. Trotzdem verehren sie ihre Beherrscher manchmal wie Idole.
Irgendwie scheint das menschentypisch zu sein, damals wie heute. Besonders schlimm dabei: Auch die eigentlich „moralischen Instanzen“ – damals die Propheten und Priester – werden von dem beschriebenen Trend beherrscht. Ihre Funktion beschränkt sich nur noch auf stabilisierende Beschwichtigungen qua Amt: Friede, Friede. Will heißen: ist doch alles ok. Macht euch keine Sorgen. Auch Gott darf in einem solchen korrupten System ja nur noch lieb sein – eben der „liebe Gott“, einfach nur noch harmlos. Aber wehe, wenn einer das Spiel verdirbt.
Genau das tut Jeremia, dazu ist er als Prophet von Gott berufen, sogar wider seinen Willen. Zu beneiden ist er wirklich nicht. Er kann sich nur unbeliebt machen, wenn er das System hinterfragt. Er ist so etwas wie das Mensch gewordene Gewissen seines Volkes. Im Auftrag Gottes kündigt er immer wieder ein gewaltsames Ende des korrupten Systems an: Schon drohen feindliche Großmächte, sich des kleinen jüdischen Volks zu bemächtigen.
Das Ganze spielt sich um 600 v.Chr. ab. Die Babylonier haben den vorderen Orient weitgehend unter Kontrolle, und sie bedrohen auch Jerusalem. Die Botschaft des Propheten: Gott selbst schreibt hier Geschichte, er hält Gericht an seinem auserwählten Volk, das sich mehr auf seine Erwählung verlässt als auf die klaren ethischen Weisungen, die Gott immer wieder an die Erwählung geknüpft hat. Auch der babylonische König Nebukadnezar ist nur ein Werkzeug in Gottes Hand, der auf diese Weise sein Volk zur Rechenschaft zieht.
Aber auch, als dieser Babylonier 597 Jerusalem weitgehend kampflos in seine Gewalt bekommt, hören die beamteten Beschwichtigungspropheten nicht auf. Wer möchte, kann dazu die spannende öffentliche Auseinandersetzung zwischen den Propheten Hananja und Jeremia lesen, die uns in Kapitel 28 so plastisch berichtet wird. Man hört ja viel lieber auf die „Heile-heile Gänschen-Propheten“ als auf Gott.
Aber 10 Jahre später – 587 v.Chr. – ist es dann so weit: Nebukadnezar kommt noch einmal, zerstört Jerusalem und führt die Oberschicht in die später sprichwörtliche babylonische Gefangenschaft. Der Traum vom „lieben Gott“ ist ausgeträumt, dessen anerkannte Rolle eben nur Harmlosigkeit und Liebe war.
Manchmal frage ich mich, ob das Ganze vielleicht ein Gesetz der Geschichte ist, das sich in jeder Epoche wiederholt, und ob das zwangsläufig immer mit einer Katastrophe enden muss. Hat nicht Jesus versucht, etwas Neues mit seinen Leuten zu beginnen? Die großartigen Seligpreisungen der Bergpredigt, die Nächstenliebe, die Solidarität mit den Schwachen wie in der Urgemeinde – was ist daraus geworden? Hat sich die Welt seitdem zum Guten verändert? Und läuft es da besser, wo „wiedergeborene Christen“ in der Politik mitmischen wie in den USA?
Mir scheint: Nein! Jeremia 6 wiederholt sich in tausend Variationen, auch auf fromm. Will heißen, auch in manchen christlichen Gemeinden und Werken läuft es so wie oben beschrieben.
Aber Klagen bringt uns nicht weiter! Die schonungslose Analyse wie bei Jeremia ist das Eine – die Hoffnung auf Gottes gnädiges Eingreifen das andere, damals wie heute. Deshalb: „Gebt nicht auf, kapselt euch nicht ab, integriert Euch positiv, auch in eine glaubensfremde Welt.“ Denn am Ende gilt: Gott macht Geschichte – manchmal auch trotz seiner Menschen.
Ihr Kommentar
Kommentare (5)
Vielen Dank für Ihren schönen geschichtlichen Ablauf der damaligen Zeit der wunderbar mit der Gegenwart vergleichbar ist. Mir gefällt besonders der Schluss: ... Deshalb, "Gebt nicht auf...
Immer … mehrmehr Christen wenden sich jetzt vom Christentum ab und denken ihren Weg selbst bestimmt weiterzugehen. Gott aber hat uns einen freien Willen gegeben, regierte damals die Welt und auch heute. Das möchte ich hiermit noch mal bekräftigen. Gott lässt sich sein Zepter nicht nehmen.Er bleibt HERR!!!
Wünsche mir weiterhin solche schönen Impulse für unseren Glauben. Sie müssten noch mehr in die öffentliche Presse.
Danke, Pfarrer Buck! Gottes Segen!!
Die Analyse des Jeremia ist herzzerreißend wahr. Frage: Sind Sie ein beherzter Verfechter der Freiheit, die Jesus Christus meinte und für die Er bis zum Tod am Kreuz kämpfte?
Lieber Herr Buck, was ich heute morgen lesen muß, widerspricht vollkommen der Zeitgeist-Theologie, an welcher Uni ist Ihnen das widerfahren?! Ihre Konfrontation macht uns das „Buckeln“ deutlich … mehrschwerer. Das „heile Gänschen“ sehe ich nun mit tiefem Schrecken - aber : das tut gut! Danke für die aufgeweckten Worte am Morgen.
Ob wohl Jeremias "Klage" schon tausende von Jahren alt ist, es bleibt Aktuell. Der Mensch hat sich nicht geändert, der einzige der uns verändern kann ist Christus, entweder wir vertrauen auf uns und … mehrunsere Macht und Fähigkeiten oder wir erwarten das Jesus uns verändert. Der Herrschaftswechsel vom Selbst zu Christus sollte in der Welt sichtbar werden, sich mit der weltlichen Macht einzulassen, bedeutet sich an der kollektiven Schuld zu beteiligen. Der einzige Ausweg aus dem Widerspruch ist die Buße und das vertrauen auf den Gerechten König Christus. Er wird uns die Kraft geben diesen Widerspruch zu überwinden indem wir seine Worte ernst nehmen und uns durch seinen Geist leiten lassen. Wir sind in der Welt, aber nicht von der Welt.
Guten Morgen! Danke an Wolfgang Buck für diese gute Andacht! Klar, wegweisend und stärkend. Ein Wort in diese Zeit.
Gott befohlen
Norbert B.