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/ Bibel heute

Keine Totenklage

Der Bibeltext Hesekiel 24,15-27 – ausgelegt von Reinhart Henseling.

Und des HERRN Wort geschah zu mir: Du Menschenkind, siehe, ich will dir deiner Augen Freude nehmen durch einen plötzlichen Tod. Aber du sollst nicht klagen und nicht weinen und keine Träne vergießen. Heimlich darfst du seufzen, aber keine Totenklage halten, sondern du sollst deinen Kopfbund anlegen und deine Schuhe anziehen; du sollst deinen Bart nicht verhüllen und nicht das Trauerbrot essen.[...]

Hesekiel 24,15–27

Keine guten Nachrichten!

Steht das so wirklich in der Bibel? So fragte ich mich beim Lesen dieses biblischen Prophetenwortes. Ich fühlte mich direkt angesprochen, war erst erschreckt, dann empört, geschockt… das kann doch wohl nicht wahr sein, dachte ich. Gott redet zu seinem Prophet Hesekiel und teilt ihm im Telegrammstil mit: Ich nehme dir ganz plötzlich das Allerliebste, "die Freude deiner Augen", deine geliebte Frau! … und – „ich verbiete dir jede Form von Trauer!“

Blitzartig dachte ich an meine Gattin, erinnerte mich an den verheerenden Krebsbefund, den wir vor einigen Monaten erhielten. Das katastrophale Untersuchungsergebnis und die grässlichen Farbbilder des großen Tumors schienen uns ein klares Todesurteil für sie zu sein. Gott sei Dank, überlebte meine Frau! Die große OP verlief komplikationslos, meine Frau kam wieder zu Kräften - wir fühlten uns wie von Gott mit neuem Leben beschenkt.  

Kein Happy-End für Hesekiel!

Jahwe hatte dem Propheten in seinem Prophetendienst schon einiges zugemutet - aber dieser Auftrag übersteigt meiner Meinung nach alles Gewesene. Ich frage mich, wie er in seinem schrecklichen Leid Gott noch gehorsam bleiben konnte. Morgens erhält er die göttliche Nachricht: deine Frau wird sterben und ich verbiete dir, um sie zu trauern! An demselben Morgen predigt er noch zu der Gruppe der zuerst Verschleppten im babylonischen Exil, und am Abend desselben Tages verstirbt seine Frau ganz plötzlich. Und - Hesekiel macht alles genauso, wie Gott es ihm gesagt hatte. Alles konträr zur damaligen Sitte und gegen alle bekannten Traditionen. Heimlich sollte er trauern, ohne jeden Trauer- und Beerdigungsritus - allein, einsam… ohne ein tröstendes Wort von einem Mitmenschen, keine ehrlich gemeinte Umarmung, keine Nähe, keine menschliche Begleitung, keine Beileidsbekundung, keine Unterstützung. Er soll so weitermachen, als wenn nichts geschehen wäre, sich öffentlich nichts anmerken lassen. - Gott nutzte Hesekiels persönlichen Schmerz, um den Israeliten eine Botschaft von nationaler Tragweite zu übermitteln. - Ist das fair? - habe ich mich gefragt!

Kein Mitgefühl, keine Anteilnahme - kein Erbarmen!

Mitleid mit dem Propheten scheint das verbannte Volk nicht zu haben, ihnen fällt zwar die ungewöhnliche und rigorose Trauerverweigerung Hesekiels auf, aber empathielos und egoistisch wollen sie nur neugierig wissen, was sein Verhalten für sie selbst bedeutet. Hesekiel redet Klartext im „Namen Gottes“: Was ich erlebt habe, ist die Vorwegnahme eurer eigenen nahen Zukunft, denn so plötzlich, wie Gott mir meine geliebte Frau entrissen hat, so wird er an euch allen handeln. Die Zeit des Gerichtes ist gekommen. Jerusalem wird mit seinem heiligen Tempel - "die Freude deiner Augen" - entheiligt und restlos zerstört werden. Eure Töchter und Söhne in der Heimat werden ausgerottet. Nur ein sehr kleiner Rest wird überleben, und für eine lange Zeit in die babylonische Gefangenschaft verschleppt werden! Gott selbst schickt ihnen das größte nationale Unglück in Israels bisheriger Geschichte.

Hesekiel handelte präzise nach Gottes Auftrag. Die Zeichenhandlung sollte so eindringlich und schockierend sein, dass die Menschen endlich begreifen, dass die lange vorausgesagte Katastrophe, sehr bald und verheerend kommen wird. Jetzt führt Gott sein Gericht - wie schon oft angekündigt - durch die babylonischen Feinde aus, da sein Volk die jahrelangen liebevollen Ermahnungen, massiven Warnungen und göttlichen Umkehrrufe dauerhaft ignoriert hatte. Sie sollen endlich erkennen, dass Gott es war, der dies alles bewirkt hat, um sie für ihre Sünden zu richten?

Kein Gehör, keine Umkehr - keine Gnade!

Ursprünglich war Hesekiel von Gott als „Wächter“ berufen worden, um das Gottesvolk vor der kommenden Zerstörung zu warnen. Da das Volk aber Gottes wiederholte mündliche Warnungen ignorierte, und eine „harte Stirn und ein verstocktes Herz“ besaß, griff Gott zu diesen drastischen Mitteln, um die Aufmerksamkeit auf seine Gerichts-Botschaft zu lenken. Die Prophezeiung ergeht genau an dem Tag, an dem in der Heimat, die finale Belagerung Jerusalems durch die Babylonier beginnt. Die Gleichzeitigkeit von prophetischem Wort, historischem Ereignis und persönlichem Schicksal des Propheten zeigt Gottes Entschlossenheit! - Die Zeit der Gnade ist vorüber! Gott selbst bewirkte die furchtbare Tragödie in Hesekiels Leben, als ein genaues Spiegelbild der kommenden Katastrophe für sein ganzes ungehorsames Volk.

Keine Trauer, kein Trost - keine Hoffnung!

Trauerrituale dienten dazu, dem Schmerz Raum zu geben, ihn nach außen zu kanalisieren, ihn mitzuteilen, ihn rauszuschreien…, gemeinsam zu klagen, und natürlich, um den Verstorbenen angemessen zu ehren. Gott nahm Hesekiel diese Möglichkeiten, er wird sie auch den überlebenden Israeliten nehmen, und macht damit klar, dass die Katastrophe, die über Jerusalem hereinbricht, so unfassbar sein wird, dass sie jede herkömmliche Form der Verarbeitung sprengen wird. Das Leid des ganzen Volkes wird so groß und schwer sein, dass es weder geistig noch emotional verstanden und verarbeitet werden kann. Die überwältigende kollektive Schockstarre wird jede öffentliche Trauer unmöglich machen. Es bleibt nur ein verborgenes Seufzen, ein inneres Jammern und Klagen, das aus dem unbeschreiblich großen Schmerz wächst. Das grausame Gericht kann durch nichts mehr abgewendet werden - es ist die unvermeidliche Konsequenz der Sünde, die in Israel, dem „rostigen Topf “ nicht mehr zu beseitigen ist.

Keine Stimme, keine Sprache - bis Gott eingreift!

Als Hesekiel die Nachricht von einem Überlebenden des Jerusalemer Massakers erhält: ganz Jerusalem und der Tempel in Jerusalem sind zerstört, d.h., als er den Beweis für die Erfüllung seiner vielen Prophezeiungen hört, kann er wieder reden. Wahrscheinlich war er ein bis eineinhalb Jahre stumm gewesen - bis zur Zerstörung der Heimat. Wie hat er das bloß ausgehalten, habe ich mich gefragt. 

Es war im Frühjahr 2003, während einer Predigt verlor ich mehr und mehr meine Stimme - ein Kollege führte den Gottesdienst zu Ende. Stimmband-Krebs hieß die Diagnose, für einen Redner eine besonders harte Ansage. Ich dachte, ich würde nie mehr sprechen können. Im Krankenhaus hatte ich immer eine kleine Tafel zur Hand, auf der ich meine Wünsche mitteilte. Etwa drei Monate später, nach zwei Operationen und den ersten Stimm- und Sprechübungen kam meine Stimme langsam wieder. Inzwischen kann ich sogar wieder zur Ehre Gottes Singen - aber die „sprachlose Zeit“ war hart. Mein Stummsein hatte nichts mit einem prophetischen Zeichen zu tun, wie bei Hesekiel. Gott machte ihn zu einem lebendigen Wahrzeichen seiner Gerichtsbotschaften. Sein ganzes Leben war eine einzige lange Predigt an das halsstarrige israelitische Volk, mit dem Thema, dass im Buch etwa 70-mal vorkommt: Sie sollen erfahren, dass ich JAHWE, GOTT bin!

Genau darum geht es in unserem Dienst, wo, wann und wie er auch geschieht, Gott will zu Wort kommen, denn alle sollen erfahren, dass er in Christus unser rettender Gott werden will, der uns alle Schuld vergeben und vor dem Endgericht Gottes bewahren will!

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