/ Bibel heute
Jesu Einzug in Jerusalem
Ralf Krumbiegel über Lukas 19,28-40.
Und als er das gesagt hatte, ging er voran und zog hinauf nach Jerusalem. Und es begab sich, als er nahe von Betfage und Betanien an den Berg kam, der Ölberg heißt, da sandte er zwei Jünger und sprach: Geht hin in das Dorf, das gegenüberliegt. Und wenn ihr hineinkommt, werdet ihr ein Füllen angebunden finden, auf dem noch nie ein Mensch gesessen hat; bindet es los und bringt’s her![...]
Schwarze Rauchschwaden, die den Horizont verdunkeln, brennende Häuser, Schreie von Menschen auf verrußten Straßen, Waffengeklirr und martialische Kampfesrufe, Schmerzenslaute und leiser werdendes Stöhnen … Das sind Bilder gefallener Städte, die ihren Bürgern keinen Schutz mehr bieten können, weil feindliche Truppen ihre Mauern überwinden konnten und sie nun triumphierend und plündernd übernehmen.
Es gab viele solcher Stadteroberungen in der Geschichte. Geplant und durchgeführt von unterschiedlichsten Persönlichkeiten, von Cäsaren und Präsidenten, von Hauptmännern und Räubern, von religiösen Führern und Terroristen.
Manche Städte wurden auch kampflos eingenommen, nachdem man die Bewohner aushungerte oder so in Angst versetzte, dass sie sich freiwillig ergaben. Doch egal wie und aus welchen Gründen auch immer Feinde die Schutzmauern brechen konnten, es hatte immer mit Gewalt zu tun. Der Stärkere nahm sich, was er wollte, und der Schwächere musste weichen.
Welch ein Kontrast zu Jesu Einzug in Jerusalem. Auf einem Esel reitend, begleitet von zumeist einfachen Menschen, nähert er sich der Hauptstadt Israels. Dennoch sehen seine Freunde in ihm mehr als einen armen Wanderprediger. Während sich Jesus auf Jerusalem zubewegt, überkommt es sie gleichsam. Sie fangen an zu singen, loben Gott und preisen den Mann auf dem Esel als Erlöser und König.
Ich wüsste zu gern, was sich diese Menschen damals in ihrem Innern vorgestellt haben. Dachten sie wirklich, dass dieser Rabbi aus der Provinz im Alleingang Jerusalem von den Römern befreien könne? Haben sie im Ernst angenommen, dass jemand, der als Kind in eine Futterkrippe gelegt wurde, nun die Regierungsgeschäfte übernimmt? Haben sie sich wirklich vorgestellt, dass dieser einfache Mann für paradiesische Zustände sorgen wird, Armut und Elend beseitigt, Ungerechtigkeiten aufhebt und eine goldene Zukunft einläutet? Wie genau sah ihr Bild von Jesus aus?
Die letzte Frage stellt sich auch in Bezug auf die im Text erwähnten Pharisäer, die Jesus ebenfalls begleiteten. Sie bleiben kühl und reserviert. Man könnte meinen, dass sie sich für das Verhalten der anderen schämen. Zumindest nehmen sie Anstoß daran und bitten Jesus, dass er sie zum Schweigen bringe. Was und wen haben sie in dem Mann aus Nazareth gesehen? Warum haben sie ihn begleitet? Was dachten sie, was in Jerusalem geschehen wird?
Für die Gefolgsleute Jesu, die sich von ihrer Freude mitreißen lassen, scheinen rationale Erwägungen und eine sachliche Analyse der Situation eher nebensächlich zu sein. Es ist vielmehr ein Gefühl der Begeisterung und eine diffuse Ahnung davon, dass sie Zeugen eines Geschehens sind, das die Welt verändern wird. Gleichsam eines Sonnenstrahles, der unverhofft durch eine dichte graue Wolkendecke bricht und es für einen Augenblick hell sein lässt, werden Jesu Begleiter plötzlich in ihrem Herzen berührt und sehen ihr Leben in einem anderen Licht. Sie können für einen kurzen Moment erkennen, dass sie nicht allein sind, dass Gott für sie da ist, dass sie geliebt werden und dass sie eine Zukunft haben.
Diese innere Bewegtheit lässt die Menschen singen und Jesus königlich verehren.
Doch so schnell, wie sich eine Lücke in einer Nebelwand wieder schließen kann, so schnell kann auch Begeisterung und eine wahrhaft überirdische Erfahrung wieder schwinden. Die Evangelien sagen nichts darüber aus, welche konkreten Personen gerade noch ihre Kleider huldvoll vor Jesus auf die Straße legen, um nur einige Stunden später ihr „Kreuzige ihn!“ zum Stadthalter Pilatus zu schreien. Dass es aber dazu kommt, zeigt, dass die Nachfolge Jesu kein Rausch ist, dem man erliegt und ausgeliefert ist. Der Mensch bleibt auch als Christ ein Zweifler, ein Suchender und ein Sünder. Und doch gibt es da Hoffnung und Erlösung. Für einen Moment konnten die Menschen damals erkennen, dass Jesus das Ziel ist, dass in ihm die Schöpfung Heilung findet.
Aber trotz dieser Größe ist Jesus auch der Mann auf dem Esel, das Kind in der Krippe und der Geschundene am Kreuz.
So will er mir auch heute begegnen. Die Stadt Jerusalem ist vergleichbar mit meinem Herzen. Jesus kommt nicht mit Gewalt, um meinen Widerstand zu brechen. Er kommt nicht als Heeresführer, um mich für meine Fehler büßen zu lassen. Er bricht sich nicht Bahn und brennt alles Hinderliche nieder. Er regiert nicht durch das Schüren von Ängsten und droht mir. Nein, Jesus will in mein Herz einziehen, wie er es damals in Jerusalem tat: als Messias auf einem Esel, in Liebe und Demut. Er hat sein Leben für mich gegeben und wirbt damit auch um mein Herz.
Die Frage, die mit dem biblischen Text von Jesu Einzug in Jerusalem verbunden ist, ist die, nach meinem Herzen. Öffne ich die Tore für diesen Herrn der Liebe oder halte ich sie verschlossen? Werde ich ihn begrüßen und später kreuzigen? Halte ich es aus, dass Jesus ganz anders ist als ich ihn mir immer wieder zurechtlege? Darf er in meinem Herzen König sein? Fast wirken solche Fragen anmaßend. Wer bin ich, dass ich Jesus etwas zugestehen könnte? Doch es ist andersherum, Jesus lässt es zu, dass ich in Freiheit entscheiden kann. Er schenkt mir den Raum, den ich brauche, um auf seine Liebe zu reagieren. Er ist eben gerade nicht einer der Kriegsherren, die sich mit subtilen oder gewaltsamen Mitteln eine Stadt gefügig machen. Nein, Jesus kommt mir auf dem Esel entgegen.
Ich wünsche mir, dass ich immer wieder die Erfahrung machen kann, die Jesu Begleiter damals vor Jerusalem machen konnten. Dass es immer wieder Momente in meinem Leben gibt, in denen ich wenigstens für einen Augenblick das Heil erkenne, was in diesem Jesus zu finden ist. Dass ich in diesem Mann auf dem Esel meine Erlösung sehe und dass ich ihn willkommen heiße und glücklich darüber bin, dass nicht die Gewalt, sondern Gottes Liebe das letzte Wort spricht. Hosianna.
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