/ Bibel heute
Menschenfurcht und Gottesfurcht
Jan-Peter Graap über Matthäus 10,26b–33.

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Matthäus 10
Darum fürchtet euch nicht vor ihnen. Denn es ist nichts verborgen, was nicht offenbar wird, und nichts geheim, was man nicht wissen wird. [...] (Mt 10,26-33; LUT)
bibleserver.comIch erinnere mich an die Zeit, in der ich als Teenager frisch zum Glauben kam. In unserer lebendigen Jugendarbeit diskutierten wir über den christlichen Glauben, sangen glaubensstarke Lieder und beteten hinter den Kirchenmauern. Allerdings war ich darüber beunruhigt, dass keiner in der Schule etwas von meinem Glauben mitbekam. Aus diesem Grund steckte ich mir an einem Tag ein kleines rotes Schildchen mit der Aufschrift „Jesus lebt!“ an das Revers meiner Jacke und stellte mich vor dem Sportunterricht demonstrativ vor den Eingang unserer Turnhalle. Wie ein Türsteher im hartnäckigen Eisregen hielt ich wacker durch – und so manchen Blicken und Sprüchen stand. Die Idee von Paul Deitenbeck mit dem Anstecker finde ich heute immer noch gut. Aber auf dem Schulhof brachte er mich doch in Verlegenheit. Denn in dem Moment, als meine Mitschüler mich musterten, verkrampfte ich: All meine Fröhlichkeit flog dahin und mein Gesicht nahm die Farbe meines Abzeichens an. Da habe ich es heute als Pastor einfacher. Denn wenn ich mit Leuten ins Gespräch komme und ich gefragt werde, was ich beruflich so mache, bin ich schon gleich mitten im Thema. Damals stand ich unter dem komischen Druck „Zeugnis geben zu müssen“. Doch es ist nicht hilfreich, wenn unser Jesusbekenntnis unnatürlich und „aufgesetzt“ wirkt.
Andererseits ist das keine Ausrede dafür, den eigenen Glauben „hinter dem Berg“ zu halten: Kann unser Reden und Bekennen von Jesus nicht immer mit Ergebnissen rechnen? Geht es nicht darum, dass die Menschen ohne die persönliche Beziehung zu Jesus verloren gehen? Der Evangelist Johannes beschreibt es in einem seiner Briefe so: „Wer den Sohn hat, der hat das Leben, wer den Sohn nicht hat, der hat das Leben nicht!“ Mutig Jesus im Alltag zu bekennen, heißt eben, dass wir dem Bekenntnis auch etwas zutrauen.
Wenn ich an die Anfänge der damals noch jungen Jesusbewegung denke, fällt mir auf, dass Jesus seine Jünger im kleinen Kreis gelehrt hat, ihre Erfahrungen, die sie mit ihm gemacht haben, nicht weiterzuerzählen. Offenbar wollte er nicht vorschnell an der Spitze einer Bewegung stehen, die ihn aus falschen Motiven zum König Israels krönen wollte. Trotzdem ist das Christentum keine Religion, die Geheimlehren weitergibt. Im Gegenteil: Alles, was jetzt noch verborgen und geheim ist, wird offenbar werden. Was in der Parallelstelle im Lukasevangelium mehr als Feststellung formuliert ist, ist hier bei Matthäus ausdrücklich als Auftrag formuliert: „Was ich euch sage in der Finsternis, das redet im Licht; was euch ins Ohr geflüstert wird, das predigt von den Dächern!“ Mit der Aussendung der Zwölf und dem Auftrag zur Weltmission, ist das Messiasgeheimnis, also dass Jesus der versprochene Retter ist, was noch nicht offensichtlich erkennbar ist, für immer aufgehoben. Christen haben keine Geheimnisse vor der Welt. Die Botschaft von Jesus gilt allen Menschen.
Doch das Evangelium war von Anfang an eine Provokation für andere Mächte und Ideologien. Christus ist der Herr! Diese Botschaft kollidierte schon bald mit dem Herrschaftsanspruch der römischen Kaiser. Und sie erfährt bis heute erbitterten Widerstand von Machthabern, Ideologien und anderen Religionen. Und zunehmend auch in unserer Gesellschaft, die den Absolutheitsanspruch von Jesus nicht als Wahrheit gelten lassen will. Dieser Widerstand trifft manche. Jesus bereitet seine Jünger bis zum heutigen Tag darauf vor, dass der Widerstand uns nicht nur Besitz, Ehre oder Freiheit kosten kann, sondern sogar das Leben. Verfolgte Christen in vielen Teilen der Erde können uns das bestätigen. Aber Jesus macht uns auch Mut: „Mehr als umbringen kann euch niemand!“ Eigentlich kann uns gar nichts passieren. Diese Erkenntnis hat Spurgeon, ein Prediger, so formuliert: „An jedem Tag, den ich lebe, ist Jesus bei mir. Und wenn ich nicht mehr lebe, bin ich bei Jesus.“ Das ist ein starker Trost!
Der Herr verbindet diesen Zuspruch allerdings auch mit einer Warnung: „Fürchtet euch viel mehr vor dem, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle!“ Hier denke ich spontan an Satan, den Widersacher und Durcheinanderbringer. Aber Jesus redet an dieser Stelle tatsächlich von Gott. Der allein hat die Macht, zu richten die Lebenden und die Toten, wie es im Glaubensbekenntnis heißt. Die Furcht, von dem richtenden Gott verworfen zu werden, hatte Martin Luther ins Kloster geführt. Aber auch nachdem er im Evangelium den „gnädigen Gott“ gefunden hatte, blieb die Gottesfurcht, die jede Menschenfurcht überwindet, sein vordringliches Thema. Im Kleinen Katechismus schärft Martin Luther uns ein, dass die Gottesfurcht immer an erster Stelle zu stehen hat: „Wir sollen Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen!“ Wir dürfen uns also in unserem Bekenntnis so frei fühlen wie ein Sperling in der Schöpfung. Gott hat das Leben von jedem einzelnen Sperling im Blick bzw. in der Hand. Wenn ihm diese bescheidenen Vögelchen so am Herzen liegen, wie viel mehr wird er dann auf seine Kinder achten? In Gottes Augen ist jeder Mensch ungleich wertvoller als ein ganzer Schwarm Spatzen. Ein Grund mehr, sich nicht um sein Leben zu fürchten. Gott hat die Kontrolle über jedes einzelne Haar auf unserem Kopf.
Die Gefahr, in der die Jünger von Jesus stehen, ist eine ganz andere. Sie können ihrem Auftrag untreu werden, indem sie ihren Herrn verleugnen. Und dann sind sie nicht nur ihrem Auftrag untreu, sondern verlieren auch die Beziehung zu Jesus Christus. Wer nicht vor den Menschen von Jesus sprechen will, für den wird Jesus auch nicht vor Gott sprechen (V. 33). Glauben ist eben nicht nur eine Herzensangelegenheit. Im Römerbrief, Kapitel 10, Vers 9f. macht Paulus deutlich: „Wenn man mit dem Herzen glaubt, so wird man gerecht, und wenn man mit dem Munde bekennt, so wird man gerettet.“ Wie gesagt, dieses Bekenntnis kann in dieser Zeit üble Konsequenzen haben. Aber noch teurer wird es, wenn man dieses Bekenntnis verschweigt. Dann drohen nämlich Konsequenzen in der Ewigkeit.
Es geht hier weder um eine Lehre, die richtige Ethik oder Wissen: Es geht allein um unsere Beziehung zu Jesus, aus der wir keinen Hehl machen sollten. Wenn wir ihn bekennen, hat das „in sich“ eine eigene Wirksamkeit. Es ist viel mehr als nur Information. Wir reden von „einem Lebendigen“.
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Kommentare (1)
Und was bedeutet der Text für die vielen verfolgten Christen, die nur heimliche Christen im Untergrund sind?