12.12.2025 / Wort zum Tag
Klage erlaubt
Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab!
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„Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab!“ Steht als Losung für diesen Tag.
Dieser Satz wirkt zunächst seltsam, fast verstörend, wenn ich ihn ohne Zusammenhang lese.
Darum habe ich mir den Zusammenhang von Jesaja 63 angesehen. Ich war schon überrascht, mit welcher Offenheit hier geklagt wird.
Der Satz: „Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab,“ hat noch einen weiteren Teil: „dass die Berge vor dir zerflössen.“
Für die Menschen damals galten Himmel und Berge als unerschütterliche Größen. Doch hier geraten selbst diese scheinbar festen Ordnungen ins Wanken.
Die Klage ist bemerkenswert. Nicht äußere Mächte bringen alles in Bewegung, sondern Gott selbst.
In den Versen zuvor spiegelt sich die innere Zerrissenheit von Jesaja wider. Er erinnert Gott an sein starkes Eingreifen, an seinen Schutz und seine Führung für sein Volk. Dann aber auch an die Verlassenheit des Volkes Israels. Das kommt z.B. in dem Satz zum Ausdruck: „Warum lässt du uns, HERR, abirren von deinen Wegen und unser Herz verstocken, dass wir dich nicht fürchten?“ (V. 17)
Die Klage hat hier ihren Platz. Wie oft hat er sein Herz schon vor Gott ausgeschüttet, wie oft um den Glauben seines Volkes gerungen?
Er weiß auch um die großartigen Zusagen für sein Volk, er hat Worte der Hoffnung und Ermutigung. Beides, Trost und Klage liegen manchmal dicht beieinander.
Ich selbst kenne diese Spannung, wenn auch nicht so existentiell wie Jesaja. Ich kenne wunderbare Zusagen und Erfahrungen, die mich sehr aufgebaut haben. Kurze Zeit später erlebte ich eine tiefe Enttäuschung. Da merkte ich, die Klage darf sein. Ich darf meine Not aussprechen. Auch die Not über den Zustand des Volkes Gottes. Ob es nun die Zerrissenheit des jüdischen Volkes ist oder auch die der Christen.
So eine Klage zeigt mir, wie tief das eigene Erschrecken gehen kann. Mitunter bleibe ich mehr an der Oberfläche und beruhige mich mit der Aussage: „So schlimm ist es nun auch wieder nicht.“ Doch eine echte Klage geht tiefer. Sie vermeidet vorschnelles Urteilen und richtet sich an Gott.
Wie tragisch es um uns Christen bestellt ist, kann ich nicht wirklich sagen. Bei Jesaja bleibt es eine tiefe Klage. Er macht sich dabei nicht zum Richter über andere. Bei aller Ohnmachtserfahrung klagt Jesaja seine Not zu Gott.
Das ist schwer auszuhalten. Vielleicht ist das eine Chance, einen ganzen Gottesdienst zu einem Klagegottesdienst zu gestalten. Anlässe dafür gibt es wohl genug. Vom Leid der Kriegsopfer, der Zerstörung der Schöpfung, dem Machtmissbrauch mancher Mächtigen, der überhöhten Selbstgerechtigkeit so mancher Mitmenschen, der Überheblichkeit Gott gegenüber, bis zu dem ganz persönlichen Leid derer, die von Krankheit und Entbehrung gezeichnet sind.
All das kann so vor Gott ausgesprochen werden, ohne sich selbst zum Richter aufzuspielen. So eine Klage öffnet eine neue Sicht auf diese Welt und das eigene Leben. Sie fragt auch, wo trage ich selbst dazu bei, dass es so ist wie es ist, auch wenn es doch viel besser sein könnte?
Eine echte Klage ist ehrlich mir der eigenen Situation. Sie schafft Raum, auch für diejenigen, die ihre Stimme sonst nicht erheben können. Mich bringt dieser Vers neu ins Nachdenken, wie ich vielleicht noch andere finde, um die Not dieser Welt vor Gott auszusprechen. So wichtig und großartig es ist, Lob- und Dankgottesdienste zu feiern, so unentbehrlich sind auch die Gottesdienste der Klage. Sie helfen, festgefahrene Situationen zu lösen. Sie öffnen den eigenen Gefühlsstau, damit das Leben wieder ins Fließen kommt.