29.10.2025 / Bibel heute
Jerusalem – eine treulose Frau
Und des HERRN Wort geschah zu mir: Du Menschenkind, tu kund der Stadt Jerusalem ihre Gräuel und sprich: So spricht Gott der HERR zu Jerusalem: Nach Herkunft und Geburt bist du aus dem Lande der Kanaaniter, dein Vater war ein Amoriter, deine Mutter eine Hetiterin.[...]
Ihr Browser unterstützt HTML5 Audio nicht!
Bestimmt kennen Sie die Beobachtungen auch: die drei Affen mit ihrem irrationalen Verhalten. Der eine hält sich die Augen zu, der andere die Ohren, der andere den Mund. „Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen“. Dazu fällt mir der Refrain eines Liedes von Marie Hüsing und Renate Wagner ein: „Und du gleichst den kleinen Kindern, hältst die Hände vors Gesicht, und versuchst dir einzureden, was man nicht sieht, das gibt es nicht.“
Man verweigert sich der Wirklichkeit. So deute ich die aus Japan stammende Bildfolge der drei Affen. Ursprünglich hatten die drei Affen die Bedeutung: Über „Schlechtes weise hinwegsehen“. Bei uns im Westen ist daraus geworden: „Alles Schlechte nicht wahrhaben wollen“ – also Wirklichkeitsverweigerung. Ich interpretiere mir meine Fakten, wie ich es brauchen kann und sehen will. Was ich nicht wahrnehmen will, dem verweigere ich mich. Gut, das ist auch eine Lebenshaltung. Nur – hilft sie weiter? Ist sie förderlich, um durchs Leben zu kommen, meinen Alltag segensreich und glücklich zu gestalten, um Krisen und Probleme zu bewältigen, sie zu lösen? In meinen Augen wohl kaum!
In seinem Verhalten gleicht das Volk Israel, die Bevölkerung Jerusalems zur Zeit des Propheten Hesekiel, genau dem: Wirklichkeitsverweigerung. Sie wollen weder sehen, woher sie kommen, noch wie es um sie steht. Für die Botschaft Gottes verschließen sie die Ohren und Herzen. Ihre Lippen schweigen. Wohin führt das Ganze?
Ich kann in diesem Text, in den erinnernden, aber auch anklagenden Worten Hesekiels, alarmierende Anzeichen eines sich selbst zerstörenden Lebens, auch des geistlichen Lebens des Volkes Gottes, erkennen. Aus welchen Gründen kommt es zu dieser Schieflage? Ich stelle einige zerstörerische Verhaltensweisen fest. Das für mich Erschreckende: Das alles ist nicht nur Vergangenheit. Das spiegelt sich auch in meinem Leben, im Leben der Gemeinde Jesu wider. Es sind Gefahrenpunkte für das geistliche Leben damals und heute. Ich sehe in diesem Text vier „Warnschilder“, die ich beachten will.
 
Das erste Warnschild ...
… macht auf die Gefahr der Vergesslichkeit aufmerksam. Das Verhalten des Volkes Israel zur Zeit Hesekiels ist gekennzeichnet durch eine massive Gedächtnisstörung. Im Auftrag Gottes erinnert Hesekiel darum das Volk an seine Herkunft (Hesekiel 16,3). Ohne das Eingreifen Gottes hätte es dieses Volk nicht gegeben, wäre es lebensunfähig (Hesekiel 16,4-6). Diesem Gott, dem sie das Leben verdanken, der so unendlich viel Gutes in ihr Leben hineinlegte (Hesekiel 16,7-14), lassen sie nun links liegen. Sie kümmern sich nicht um ihn, um sein Wort und seine Weisungen. Sie verehren fremde Götter. Sie tun so, als ob sie alles, was sie haben, sich selbst zu verdanken hätten.
Wie schnell greift die Vergesslichkeit auch in meinem Leben um sich! Ich vergesse den Geber aller guten Gaben, den, der mich aus seinem Reichtum beschenkt. So fragt viel später als der Prophet Hesekiel auch Paulus die Gemeinde in Korinth (1. Korinther 4,7): „Was hast du, das du nicht empfangen hast? Wenn du es aber empfangen hast, was rühmst du dich dann, als hättest du es nicht empfangen?“
Psalm 103,2 fordert auf: „Und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“ Und vergiss nicht … heißt nicht Nostalgie und Geschichtsverklärung. Es geht darum, dass ich Vergangenes nicht ignoriere, mir meiner Herkunft bewusst bleibe und meine Schlüsse für die Gegenwart daraus ziehe. Wer seine Herkunft vergisst, gefährdet seine Zukunft. „Wer sich seiner Vergangenheit nicht erinnert, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen“. so sagt der US-amerikanische Philosoph und Schriftsteller spanischer Herkunft George Santayana (1863-1952).
Wie schnell vergesse ich, wie viel Gutes Gott mir schon in meinem Leben getan hat! Ich will das erste Warnschild nicht überfahren.
 
Das zweite Warnschild ...
 … weist auf die Gefahr der Undankbarkeit hin. Vergesslichkeit und Undankbarkeit hängen zusammen. Dietrich Bonhoeffer schreibt in einem Aufsatz über die Dankbarkeit des Christen ungemein wahre und geistlich gewichtige Sätze (Gesammelte Schriften III, 418 ff.) Er sieht diesen Zusammenhang und führt ihn weiter: »Undankbarkeit beginnt mit dem Vergessen, aus Vergessen folgt Gleichgültigkeit, aus der Gleichgültigkeit Unzufriedenheit, aus der Unzufriedenheit Verzweiflung, aus der Verzweiflung der Fluch.«, »Undank erstickt den Glauben, verstopft den Zugang zu Gott.«, »Lass dich fragen, ob dein Herz durch Undank so mürrisch, so träge, so müde, so verzagt geworden ist. Opfere Gott Dank, und „da ist der Weg, dass ich ihm zeige das Heil Gottes“« (Psalm 50,23). Dem Rat des Psalmbeters will ich gerne folgen, mir Zeit nehmen, Gott für die guten Dinge und Gaben an jedem Tag zu danken. Tun sie es mir gleich?
 
Als drittes Warnschild ...
... begegne ich der Gefahr der Einbildung. Wer nur noch sich selbst und seine vermeintlichen Vorzüge sieht, bekommt eine verschobene Perspektive. In Hesekiel 16,15 heißt es: „Du verließest dich auf deine Schönheit.“ Und das wurde von anderen auch noch bestätigt und unterstützt. Da kommt es mir am Ende so vor, als habe ich nur Vorzüge, keine Fehler. Die machen nur die anderen. Einbildung landet schnell und meistens im Hochmut. Der Hochmut stellt sich über andere! Die dänische Katholikin Iben Thranholm schreibt in ihrem Buch zu den sieben Todsünden über den Hochmut, der nach der katholischen Tradition die Hauptsünde darstellt: »Der Kern des Hochmuts ist die Einbildung, dass man glaubt, besser zu sein als alle anderen. Dass man selbst am klügsten ist – und außerdem, dass man andere Menschen verachtet. Der Hochmütige bewundert sich selbst. Nicht nur in Bezug auf andere Menschen, sondern auch in Bezug auf Gott.«
 
Das vierte Warnschild ...
...warnt vor dem Übermut. Ein Sprichwort sagt: „Übermut tut selten gut.“ Übermut schlägt über die Stränge, hält sich an keine Ordnungen und kennt am Ende keine Grenzen. Das erkennen wir auch am Verhalten des Volkes zur Zeit Hesekiels. In ihrer Selbstgefälligkeit und Gottvergessenheit verfällt das Volk in Götzendienst und heidnische Praktiken (Hesekiel 16-21). Der Abfall vom lebendigen, lebensrettenden und lebensspendenden Gott ist perfekt. Begonnen hat alles mit dem Vergessen und der Undankbarkeit. Ich werde noch einmal an das Wort von Dietrich Bonhoeffer erinnert: »Undankbarkeit beginnt mit dem Vergessen, aus Vergessen folgt Gleichgültigkeit, aus der Gleichgültigkeit Unzufriedenheit, aus der Unzufriedenheit Verzweiflung, aus der Verzweiflung der Fluch.«, »Lass dich fragen, ob dein Herz durch Undank so mürrisch, so träge, so müde, so verzagt geworden ist.«
Angesichts dieses Kapitels und seiner Warnzeichen kann ich nur beten, und ich lade sie ein mit mir zu beten: „Herr, bewahre mich vor den Fehlern, die dein Volk damals gemacht hat. Lass mich erkennen, wer ich vor dir wirklich bin. Halte mein Herz bei dir und bewahre es vor Irrwegen und Straucheln. Und hilf mir, dankbar für deine Gegenwart und deine Hilfe durch jeden Tag zu gehen. Amen.“
Sie haben Fragen zum christlichen Glauben, zur Bibel und der Beziehung zur Gegenwart?
►  Fragen Sie doch Nikodemus.AI