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© Daria Kaats / pexels.com

19.02.2021 / Andacht / Lesezeit: ~ 6 min

Autor/-in: Hanna Willhelm

Ur-Dilemma der Menschheit

Warum es schwerfällt, Wahrheit und Liebe zusammenzubringen und was dabei hilft.

Ein Dilemma ist laut Duden eine „Zwangslage, in der sich jemand befindet, besonders wenn er zwischen zwei in gleicher Weise schwierigen oder unangenehmen Dingen wählen soll oder muss.“ Ich wage einmal zu behaupten, dass wir Menschen genau in einer solchen Situation stecken, wenn es um Wahrheit und Liebe geht.

Denn Wahrheit kann weh tun, wenn sie mir meine blinden Flecken oder unschönen Angewohnheiten aufzeigt. Liebe hingegen versucht es zu vermeiden, den anderen zu verletzten.

Dazu kommt, dass beide, Liebe und Wahrheit, eine existenzielle Bedeutung für unser Leben haben. Wir brauchen Liebe. Ausnahmslos jeder Mensch hat das Bedürfnis, angenommen und wertgeschätzt zu sein. Ohne Liebe verkümmern wir, werden einsam und tragen eine unerfüllte Sehnsucht in uns.

Und wir brauchen Wahrheit. Ausnahmslos jeder Mensch braucht Korrektur und eine klare Sicht für sein Leben. Ohne Wahrheit verkümmern wir ebenfalls, werden einsam und drehen uns hilflos um uns selbst im Kreis.

Potenzial zur Veränderung

Wenn ich die Bibel lese, fällt mir auf, dass viele ihrer Geschichten genau mit diesem Dilemma zu tun haben:

Menschen suchen unbewusst und intuitiv Liebe und Erfüllung und Gott spricht in ihre Sehnsucht Wahrheit hinein – damit sie Liebe finden können.

Das ist immer wieder auch mit unangenehmer Kritik verbunden und oft hören die Angesprochenen nicht auf Gottes Worte.

Auf der anderen Seite begegnen mir Charaktere, die ohne Rücksicht auf Verluste an dem festhalten, was sie für Wahrheit halten. Sie ermahnt Gott zu Barmherzigkeit – und stößt dabei ebenfalls auf taube Ohren. In beiden Fällen bleibt alles beim Alten, die Chance auf Veränderung bleibt ungenutzt.

Es gibt aber auch Geschichten im Alten und Neuen Testament, in denen Liebe und Wahrheit zusammenkommen. Und genau in diesen Erzählungen gelingt den beteiligten Personen ein Neuanfang, der ihr Leben hin zum Positiven verändert. Ich möchte auf zwei dieser Geschichten einen Blick werfen, in der Hoffnung, dass sie auch Lesern heute einen Ausgang aus dem Dilemma ermöglichen.

David – die Wahrheit befreit

David, ein König aus dem Alten Testament, hatte Ehebruch begangen. Um seine Schuld zu vertuschen, lässt er den gehörnten Ehemann kurzerhand umbringen und heiratet einige Zeit später die zur Witwe gemachte Ehefrau. Mit einer unfassbaren Ignoranz geht der ansonsten so gottesfürchtige Mann über seine gewaltige Schuld hinweg.

Niemand aus seinem Hofstaat wagt es, ihm die Wahrheit zu sagen. Nur Nathan, ein väterlicher Freund und Ratgeber, besucht den König. Er erzählt ihm eine gleichnishafte Geschichte, in der ein Mann sich offensichtlich falsch verhält.

Als David sich (zu Recht) über das Fehlverhalten dieses Mannes empört, spricht Nathan Klartext: „Du bist der Mann! Du hast Dich genauso verhalten, wie der Mann in der Geschichte.“

Trotz Schuld an der Liebe festhalten

Davids Reaktion auf diese Konfrontation wird zum Wendepunkt in dem traurigen Schlamassel, in das er sich selbst und andere hineingeritten hat: Er bekennt seine Schuld. David lässt sich die Wahrheit sagen und bereut sein falsches Verhalten. Er sehnt sich nach Vergebung und Veränderung. Das ist nicht selbstverständlich. 

Als König hätte er Nathan aus dem Weg räumen lassen können oder zumindest seine Mahnung ignorieren. Aber David will nicht weiter mit seiner Schuld leben. Als Folge davon erlebt er, dass die Wahrheit ihn frei macht. Eine Aussage, die Jesus einige Jahrhunderte später seinen Zuhörern ebenfalls mit auf den Weg gibt (vgl. Johannes 8,32).

Was mich an Davids Verhalten dabei am meisten fasziniert, ist folgendes: Er ist sich seiner schweren Schuld bewusst und appelliert trotzdem an Gottes Gnade und Liebe. Seine Worte lauten im Originalton:

Du freust dich, wenn ein Mensch von Herzen aufrichtig ist; verhilf mir dazu und lass mich weise handeln! Reinige mich von meiner Schuld, dann bin ich wirklich rein; wasche meine Sünde ab, dann bin ich weißer als Schnee! Du hast mich hart bestraft; nun lass mich wieder Freude erfahren, damit ich befreit aufatmen kann! Sieh nicht länger auf meine Schuld, vergib mir alle meine Sünden! (Psalm 51,8-11).

Liebe und Wahrheit kommen hier zusammen. David hat beides in Gott gefunden und erlebt einen Neuanfang als König und in seiner Beziehung zu Gott.

Die namenlose Ehebrecherin – Liebe verändert

Die Situation war entwürdigend für sie. Sie hatte Schuld auf sich geladen – daran gab es nichts zu diskutieren. In flagranti beim Ehebruch ertappt zu werden, war zur Zeit des Neuen Testamentes ein Vergehen, das zumindest theoretisch mit dem Tod bestraft werden konnte.

Trotzdem – diese Bloßstellung vor allen Augen ist einfach nur demütigend. Die religiösen Gelehrten hatten sie aus dem Haus gezehrt, vor Jesus und seine Zuhörer geschleppt und ein Urteil über sie verlangt.

Vermutlich spürt die Frau außerdem, dass sie hier nur vorgeführt werden soll. Niemand interessiert sich für ihren Fall, ihre Scham, ihr Versagen. Sie ist lediglich das Objekt, mit dem einige gelehrte Männer Jesus in ein Dilemma bringen wollen.

Scheinheilig fragen die guten Herren Jesus, was mit der Sünderin zu tun ist. Ist er der Meinung, dass sie nach dem Gesetz in aller Konsequenz verurteilt werden soll? Oder lässt er Gnade vor Recht ergehen, beugt damit aber Gottes moralische Vorgaben? Die Männer setzen die Zukunft der Betroffenen aufs Spiel, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.

Jesus durchschaut dieses herzlose Pochen auf Recht und Gerechtigkeit. Er lässt sich durch die lautstarke Forderung der Gesetzeslehrer nicht beeinflussen.

Ihr Anliegen – Gottes Gesetz zu kennen und einzuhalten – teilt Jesus. Aber nicht die lieblose Art und Weise, wie die es durchzusetzen versuchen. Ihr Verhalten wirkt auf ihn wie ein dröhnender Gong, der zwar Aufmerksamkeit erzeugt, den Zuhörern aber in den Ohren wehtut (vgl. 1. Korinther 13,1-2).

In Liebe einen Weg aus der Schuld zeigen

In dieser Geschichte bringt Jesus Wahrheit und Liebe zusammen, und zwar auf erstaunliche Art und Weise. Er begegnet allen Beteiligten mit Wahrheit und Liebe. Er macht die angesehenen Männer nicht in aller Öffentlichkeit einen Kopf kleiner, indem er sie auf ihr arrogantes Verhalten hinweist. Stattdessen gibt er ihnen die Chance, sich selbst in Frage zu stellen.

Das wirkt! Einer nach dem anderen verlässt den Schauplatz, weil er erkennt: „In Gottes Augen habe ich selbst Dreck am Stecken. Was maße ich mir also ein Urteil über diese Ehebrecherin an?“

Auf der anderen Seite verzichtet Jesus im Blick auf die Angeklagte auf ein Urteil, spricht sie sogar frei von ihrer Schuld. Er richtet sie innerlich auf, gibt ihr ihre Würde zurück. Und damit das so bleibt, gibt er ihr einen Auftrag mit auf den Weg. Die Namenlose soll sich nicht mehr von ihrer unerfüllten Sehnsucht nach Anerkennung und Liebe zu einem Verhalten hinreißen lassen, das in Gottes Augen nicht richtig ist.

Jesus sagt zu ihr: „Du kannst gehen, aber sündige nun nicht mehr!“ (Johannes 8,11). So wie David erhält auch diese Frau die Chance auf einen Neuanfang in ihrer Beziehung zu Gott, zu sich selbst, zu Männern und zu ihren Mitmenschen. Jesus bietet ihr die Chance zu erleben, dass sie auch ohne die Bestätigung von fremden Männern, geliebt und angenommen ist.

Wir erfahren im Neuen Testament nicht, ob die Frau nach Jesu‘ Worten gehandelt hat. Aber wenn sie es getan hat, dann vermutlich, weil sie die Kraft für diese radikalen Veränderungen aus der Begegnung mit Jesus bekommen hat. 

Ein Ausweg aus dem Dilemma

David und die anonyme Frau mussten nicht zwischen Wahrheit und Liebe wählen. In Gott, in der Person Jesu‘ Christi, haben sie beides gefunden (vgl. Johannes 3,16).

Jesus begegnet jedem Menschen mit Liebe und Wahrheit. Weil er jeden bedingungslos annimmt, wird die menschliche Sehnsucht nach unbedingter Annahme gestillt.

Und weil Jesus aufzeigt, was in einem Leben nicht gut läuft, wird ein Neuanfang möglich.
 

Dieser Ausweg aus dem Dilemma steht jedem offen. Gehen muss ihn jeder selbst. Zwei Fragen helfen dabei, ihn zu finden:

  1. In welchen Bereichen meines Lebens gehe ich der Wahrheit aus dem Weg, weil ich Angst habe, dass sie weh tut oder dass ich nicht mehr liebenswert bin, wenn sie ans Licht kommt? Was kann ich im Blick auf diese Angst aus der Geschichte von David lernen (nachzulesen in 2. Samuel 12,1-25)?
  2. In welchem Bereich meines Lebens bin ich anderen gegenüber distanziert und lieblos, weil ich Angst habe, dass ein freundlicheres Verhalten die Wahrheit verwässern könnte? Was kann ich im Blick auf diese Angst aus dem Verhalten von Jesus gegenüber der Ehebrecherin lernen (nachzulesen in Johannes 8,1-11)?

 

 Hanna Willhelm

Hanna Willhelm

  |  Redakteurin

Hanna Willhelm ist Theologin und Redakteurin im Bereich Radio und Online. Sie ist fasziniert von der Tiefe biblischer Texte und ihrer Relevanz für den Alltag. Zusammen mit ihrer Familie lebt die gebürtige Badenerin heute in Wetzlar und hat dabei entdeckt, dass auch Mittelhessen ein schönes Fleckchen Erde ist.

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Kommentare (2)

Sabine /

Wow, das ist mal toll auf den Punkt gebracht! Danke für diese treffenden Beispiele und das Bild von Gott, das sie vermitteln: Gott ist Licht und ein Gott der Neuanfänge! Grad heute Morgen hat mich diese Frage nach "Wahrheit und Liebe" beschäftigt...

Mathilde D. /

Geschätzte Frau Willhelm
Vielen Dank für Ihr analytisches Durchdenken jener
Problematik von W<<L und Ihr anschauliches Sprechen/Schreiben dazu.
Nun möchte ich noch ein paar Gedanken+ mehr

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