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© Jürgen Werth

23.02.2019 / Interview / Lesezeit: ~ 5 min

Autor/-in: Lothar Rühl

... und immer ist noch Luft nach oben

Jürgen Werth zeigt, dass das Älterwerden neue Chancen eröffnen kann.

In Deutschland gibt es immer mehr ältere Menschen. Wissenschaftler haben errechnet, dass der Anteil der unter 20-Jährigen zwischen 1950 und 2017 von 30 auf 18 Prozent zurückgegangen ist. Bis 2060 wird er voraussichtlich auf 17 Prozent sinken. Das Altern der Bevölkerung bedeutet auch, dass Hochaltrigkeit zum Massenphänomen wird. 1950 war jeder hundertste Einwohner 80 Jahre und älter. Heute sind bereits sechs Prozent hochaltrig und der Anteil wird sich bis 2060 noch einmal verdoppeln.

Was liegt da näher, als ein Buch übers Älterwerden zu schreiben? Das hat der ehemalige Vorstandsvorsitzende von ERF Medien, Jürgen Werth, getan. Im Gütersloher Verlagshaus ist sein 192 Seiten umfassendes Werk erschienen unter dem Titel „... und immer ist noch Luft nach oben! Entdeckungen beim Älterwerden“.

Wir haben mit ihm über sein Buch und das Älterwerden gesprochen.

 

Jürgen Werth hat ein Buch über das Älterwerden geschrieben. (Foto: Lothar Rühl)
Jürgen Werth war von 1994 bis 2014 Vorstandsvorsitzender bei ERF Medien und ist aktuell weiter als Referent, Liedermacher und Autor unterwegs. (Foto: Lothar Rühl)

ERF: Jürgen Werth, Sie sind Jahrgang 1951, also Zeit, um ein Buch über das Älterwerden zu schreiben. Was hat Sie zu diesen Zeilen bewegt?

Jürgen Werth: Eigene Erfahrungen natürlich. Und Erfahrungen der Menschen um mich herum. Da geht ja noch was. Da geht ja vielleicht sogar noch ausgesprochen viel. Mancher hat noch einmal ein komplett neues und aufregendes Leben begonnen. Wer in Rente geht, hat in der Regel noch ein paar gute Jahrzehnte vor sich. Goethe hat einmal gesagt, dass Älterwerden heißt, „ein neues Geschäft“ zu beginnen. Jetzt nicht im Sinne von Geld verdienen, sondern im Sinne von „es gibt viel Neuland zu entdecken und zu erobern“. Das ist allemal besser und sinnvoller als dem, was nicht mehr ist, hinterher zu jammern.


ERF: Das Buch wendet sich an die wachsende Zahl von Menschen im dritten Lebensabschnitt. Auf fast 200 Seiten geben Sie viele Ratschläge weiter. Ist das Buch eher ein Verarbeiten deines eigenen Lebens oder mehr ein Ratgeber für andere?

Jürgen Werth: Beides, klar. Ich schreibe hier nicht als einer, der sich das alles von draußen anschaut. Ich stecke selber mittendrin. Und ich will auch nicht anderen raten, was bei mir nicht funktioniert. Das Buch erzählt ziemlich offen und mit einer gehörigen Portion Selbstironie von den Vorteilen und den Nachteilen des Äterwerdens, so wie ich das am eigenen Leib erfahre. Ich glaube, ich kann nur für andere aufschreiben, was ich mir selber hinter die Ohren schreiben möchte.
 

ERF: Sie beschäftigen sich auch mit Ihrer Biografie und wie sie hätte anders verlaufen können. Auch Versagen und Niederlagen werden nicht ausgespart. Braucht es eine Versöhnung mit dem eigenen Lebensverlauf?

Jürgen Werth: Das ist ganz wichtig. Man zieht ja Bilanz. Einmal und vielleicht immer wieder. Vieles ist geworden, vieles nicht. Manches wird vielleicht noch, manches aber nie. Ich schaue auf Erfolge und auf Niederlagen zurück. Ändern kann ich im Nachhinein weder das eine noch das andere. Also will ich es einfach so nehmen, wie es nun einmal geworden ist. Ja, und ich will mich mit mir und mit meiner Lebensgeschichte versöhnen. Nur so habe ich Kopf und Hände frei für Neues.

Ich will mich mit mir und mit meiner Lebensgeschichte versöhnen. Nur so habe ich Kopf und Hände frei für Neues. – Jürgen Werth

ERF: Herr Werth, Sie haben sich für den Einstieg in die Zeit nach der Arbeitswelt einen Coach geleistet. Wofür ist solch ein Begleiter gut?

Jürgen Werth: Da schaut einer von außen auf das, was war und auf das, was da noch kommen könnte. Sieht manches anders, als du es selber siehst. Hat Ideen, auf die du selber nie und nimmer gekommen wärst. Macht dir Mut, dich weiter einzumischen in das Leben. Mein Coach hat mir zum Beispiel geraten, mal all das aufzuschreiben, wer ich nun sein möchte und was ich machen möchte in den Jahren, die mir noch geschenkt werden. Das Leben bleibt sinnvoll bis zum Schluss. Aber ich muss ihm selber immer wieder diesen Sinn geben.

Das Leben bleibt sinnvoll bis zum Schluss. Aber ich muss ihm selber immer wieder diesen Sinn geben. – Jürgen Werth

ERF: Der Buchtitel macht Mut noch etwas für den letzten Lebensabschnitt zu erwarten. Sie empfehlen aber auch sich mit den abnehmenden Kräften auseinander zu setzen. Wie können Menschen im Rentenalter zwischen Zukunftshoffnungen und Wahrnehmen der Realitäten leben?

Jürgen Werth: Das ist eine permanente Auseinandersetzung. Natürlich schwinden die Kräfte, natürlich wird der Radius kleiner. Aber ich entdecke dabei auch manchen Schatz, den ich in der Vergangenheit immer übersehen habe. Ich fliege im Urlaub nicht mehr nach Malle, sondern ich fahre in die Lüneburger Heide. Aber auch da ist es schön. Vor allem will und darf ich mich nicht nur um mich selber drehen. Das macht unzufrieden und unglücklich. Wer andere zum Lächeln bringt, wird selber froh.
 

ERF: Wer viel Lebenserfahrung angesammelt hat, will diese gerne der nächsten Generation weitergeben. Welche Wege haben Sie dazu gefunden?

Jürgen Werth: Ein Freund hat einmal augenzwinkernd gesagt: „Ich weiß jetzt alles. Aber keiner fragt mich mehr.“ Älter werdende Menschen sollten ihre Umgebung mit allzu vielen Geschichten aus der Vergangenheit verschonen. Aber bereit sein zu erzählen, wenn sie gefragt werden. Ich habe festgestellt, dass mich früher die Geschichten meiner Großeltern eher gelangweilt haben. Heute, wo ich selber älter bin, würde ich sie gerne fragen. Das geht aber nicht mehr. Mein Rat: Schreiben Sie doch auf, was Ihre Kinder und Enkel interessieren könnte, was sie wissen müssen. Dann legen Sie’s irgendwo hin. Vielleicht interessiert es Ihre Familie ja erst dann so richtig, wenn Sie selber nicht mehr da sind. Fürs Aufschreiben gibt es viele Hilfen im Buchhandel.

Schreiben Sie doch auf, was Ihre Kinder und Enkel interessieren könnte, was sie wissen müssen. Dann legen Sie’s irgendwo hin. – Jürgen Werth

ERF: Wer an Jürgen Werth denkt, kann nicht anders, als an seinen Gottesglauben erinnert zu werden. Wie kann der Glaube auch im dritten Lebensabschnitt Hilfe sein?

Jürgen Werth: Je älter einer wird, desto mehr ist er auf Hilfen angewiesen. Von Menschen und von Gott. Man empfindet auch sehr viel stärker als früher, dass das Leben endlich ist. Da sind neue Fragen. Wie geht’s danach weiter? Gibt es Gott? Gibt es einen Himmel? Und ist dieser Gott vielleicht schon jetzt daran interessiert, wie’s mir geht? Ich glaube das. Und das macht meine Schritte in die Zukunft zuversichtlicher.
 

ERF: Plus und Minus des Älterwerdens, so ist das letzte Kapitel des Buches überschrieben. In wenigen Zeilen schreiben Sie, was zu- und was abnimmt und Sie geben konkrete Aufgaben an die Leser weiter. Was können diese Ratgeberseiten bewirken?

Jürgen Werth: Ich habe das schon in Seminaren mit älter werdenden Menschen ausprobiert. Es hilft einfach über die vielen kleinen und großen Bereiche des eigenen Lebens nachzudenken. Sich nichts in die Tasche zu lügen. Sich dann aber auch vorzunehmen, das Beste aus der aktuellen Situation zu machen. Für sich selbst und für die Menschen, mit denen man das Leben teilt.
 

ERF: Danke für das Gespräch.


Hinweis: Am 3. März um 15 Uhr gibt es eine Sendung der Reihe Lesezeichen mit Jürgen Werth zu seinem Buch.


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