Navigation überspringen
© Marc Bremer

28.04.2021 / Interview / Lesezeit: ~ 5 min

Autor/-in: Martina Eibach

Vom Sterben für's Leben lernen (3/3)

Musikproduzent Christoph Siemons litt an einer lebensbedrohlichen Krankheit.

Christoph Siemons ist ein bekannter Rock- und Popkomponist, verantwortlich für mehr als zehn Millionen verkaufte Tonträger. 2012 verändert eine schwere Herzerkrankung sein Leben. Wochenlang liegt er auf der Intensivstation und ist dem Tod sehr nahe. In dieser Situation macht er einen Deal mit Gott.

 

ERF: Wie kam es zu dieser lebensbedrohlichen Situation?

Christoph Siemons: 2012 hatte ich eine Zahnreinigung. Der Zahnarzt hat nichts falsch gemacht, aber wahrscheinlich sind bei der Zahnreinigung Bakterien ins Blut geschwemmt worden. Die sind dann an meine Herzklappe rangekommen und haben sie zerstört und mir außerdem ein Aneurysma in der Baucharterie beschert. Endokarditis nennt man diese Erkrankung. Sie ist schwer zu diagnostizieren. Es hat länger gedauert, bis klar war, warum ich immer schlapp war und Fieber hatte. Insgesamt war ich dann drei Monate im Krankenhaus und viele Wochen davon auf der Intensivstation.

„Ich war bereit zu sterben.“

ERF: War Ihnen bewusst, wie schlecht es Ihnen ging?

Christoph Siemons (Foto: ERF Medien)
Christoph Siemons (Foto: ERF Medien)

Christoph Siemons: Ich hatte starke Schmerzen und habe viele Medikamente bekommen. Das heißt, dass ich nicht immer voll bei Sinnen war. In der gesamten Zeit habe ich 28 Kilo verloren. Die Kraft war weg, aber meine Frau war jede Minute im Krankenhaus bei mir. Sie hat acht Wochen lang auf einer 40 Zentimeter breiten Fensterbank in meinem Zimmer geschlafen, um mich nicht allein zu lassen. Und sie hat natürlich alles mitbekommen.

Im Nachhinein haben wir alles so ein bisschen rekonstruiert. An eine Situation kann ich mich aber sehr gut erinnern, das war die Nacht nach der Herz-OP. Da gab es wieder lebensbedrohliche Komplikationen, weil der Herzbeutel voll Blut gelaufen war. In dieser Phase habe ich zu meiner Frau gesagt:

„Wenn es jetzt vorbei ist, ist es okay.“ Also, ich war bereit zu sterben. Ich hatte einfach keine Kraft mehr.

ERF: Wie hat Ihre Frau darauf reagiert?

Christoph Siemons: Meine Frau ist eine sehr, sehr nette und vor allem auch ruhige Person, aber da wurde sie dann sehr energisch und hat zu mir gesagt: „Dann tu es nicht für dich, dann tu es für mich. Halt durch!“ Daraufhin habe ich gedacht: „Okay, das bin ich ihr schuldig.“ Ich habe mir dann vorgenommen, immer die nächsten fünf Minuten zu überleben. Danach die nächsten fünf Minuten. Und dann ist in dieser Nacht etwas passiert, was für mich ein Schlüsselerlebnis war.

Ein Deal mit Gott

ERF: Was ist in dieser Nacht passiert?

Christoph Siemons: Eine Patientin, die mir auf der Intensivstation gegenüberlag, ist aus dem Koma aufgewacht. Das war ein ganz berührender Moment und damals habe ich gedacht: „Wenn sie das schafft, dann muss ich das auch schaffen. Und wenn ich das schaffe, dann muss ich auch mal Danke sagen. Und zwar Gott.“ Denn ich glaube, auch wenn wir es nicht immer fühlen, ist er doch immer da. Und dann habe ich zu ihm gesagt, wenn ich wieder gesund werde, schreibe ich ihm eine Messe.

ERF: Was ist eine Messe und was steckte hinter der Idee?  

Das ist eine musikalische Form, die sich am Ablauf eines Gottesdienstes orientiert und ihn musikalisch begleitet. Allerdings war mir nicht so ganz klar, was ich da eigentlich machen würde.

Wichtig war mir, falls ich überleben sollte, mich bei Gott zu bedanken auf meine Art und Weise, mit Musik.

ERF: Sie sind dann wieder genesen. Was ist aus diesem Versprechen geworden?

Christoph Siemons: Interessant ist, dass dieser Moment, als ich Gott das Versprechen gegeben habe, sehr nüchtern war. Es war äußerlich keine große Geste dabei und es war auch kein Licht plötzlich da. Dennoch war es aber sehr nah. Und damit war für mich auch klar, dass ich das Versprechen wirklich einlöse. Als ich nach drei Monaten dann wirklich aus dem Krankenhaus raus war, habe ich angefangen, die ersten Ideen zu sammeln.

Ich meine schon, in dem allem so etwas wie Gnade erlebt zu haben. Und ich habe erlebt, dass der Glaube mir Trost und Hoffnung gespendet hat.

Das ist für mich das Wesentliche, wenn wir einen Glauben haben. Wir haben eine Dimension mehr, die uns trägt. Und das ist ein großes Geschenk. Das würde ich frei von irgendwelchen Konfessionen sehen.


ERF: Wie hat Sie dieser Einschnitt ins Leben verändert?

Christoph Siemons: Ich muss gestehen, ich bin schon immer ein bisschen Hypochonder gewesen.

Ich hatte immer Sorge vor Krankheiten. Nur diese Krankheit, an der ich fast gestorben wäre, die habe ich überhaupt nicht kommen sehen.

Das heißt, eigentlich hat sich das gebessert, weil ich gemerkt habe, das bringt dir gar nichts. Verändert hat sich außerdem auch meine Sicht auf meinen Job, meine Geschäftsbeziehungen und Freunde. Das hat dazu geführt, dass ich auch mich von Dingen, die mir nicht gut getan haben, getrennt habe. Teilweise habe ich mich auch von Menschen getrennt, die mir viel Energie geraubt haben. Ich habe das offen angesprochen und wir konnten dann einen fairen Weg finden.

Zum Glücklichsein braucht man relativ wenig

ERF: Dann hatte die Krankheit nicht nur negative Aspekte?

Christoph Siemons: Tatsächlich sind letztlich ganz viele tolle Sachen dabei rausgekommen. Der Professor, der mein Lebensretter geworden ist, weil er die Krankheit erkannt hat, ist zum Beispiel heute einer meiner besten Freunde.
 

Christoph Siemons (Foto: Matthäus-Walotek)
Christoph Siemons (Foto: Matthäus-Walotek)

ERF: Was haben Sie von der Begegegnung mit dem Sterben für’s Leben gelernt?

Christoph Siemons: Zum Glücklichsein braucht man eigentlich relativ wenig. Dazu gehören vor allem Menschen und für mich ganz stark auch die Musik. Ich war früher Geschäftsführer von einem Musikunternehmen, das hab ich aufgegeben, denn ich möchte jetzt wieder in erster Linie selbst Musik machen.
 

ERF: Inzwischen kann jeder das Ergebnis Ihres Deals mit Gott hören auf dem Album „Sinfoglesia – Das Versprechen“. Rausgekommen sind 13 monumentale Pop-Klassiksongs mit großem Orchester.

Christoph Siemons: Ja, nach achteinhalb Jahren ist das Werk fertig geworden und soll 2022 vor dem Kölner Dom uraufgeführt werden. Letztlich waren an diesem Projekt über 100 Musiker als Chorsänger und Instrumentalisten beteiligt. Ganz bewusst habe ich mich übrigens für lateinische Texte entschieden. Das kann helfen, bei den Songs seinen eigenen Gedanken nachzuhängen, ohne permanent auf jedes Wort achten zu müssen. Denn darum geht es mir: Jeder soll seinen eigenen Zugang dazu finden.
 

ERF: Welche Botschaft liegt für Sie in diesen Songs?

Christoph Siemons: Im Wesentlichen geht es mir um meine Dankbarkeit gegenüber Gott und es geht um Hoffnung. Wir wollen mit der Musik - und ich sage jetzt bewusst wir, denn mittlerweile sind wir so viele Leute, die hinter diesem Projekt stehen - Menschen das Gefühl der Hoffnung in ihr Zuhause bringen. Ich selbst hatte in ganz düsteren Momenten keine Hoffnung mehr.

In dieser Zeit hat mir meine Frau und mein Glaube diese Hoffnung gegeben und ich durfte erfahren: Wenn es ganz dunkel ist, irgendwo ist auch ein Lichtchen Hoffnung. Und wenn man sich darauf konzentriert, werden viele Dinge wahr, die man vorher nicht für wahr gehalten hatte.
 

ERF: Vielen Dank für das Gespräch.


Banner zum Schwerpunktthema Endlichkeit

 Martina Eibach

Martina Eibach

  |  Redakteurin

Sie mag Lebensgeschichten. Spannend findet sie: Die Herausforderungen sind jeweils ganz unterschiedlich. Jedoch fast immer beginnen Veränderungen mit einer leisen Ahnung.

Ihr Kommentar

Die E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.
Alle Kommentare werden redaktionell geprüft. Wir behalten uns das Kürzen von Kommentaren vor. Ein Recht auf Veröffentlichung besteht nicht.

Das könnte Sie auch interessieren