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© Fischer / Boris Breuer

17.04.2021 / Interview / Lesezeit: ~ 6 min

Autor/-in: Martina Eibach

Vom Sterben für's Leben lernen (1/3)

Bestatter Christoph Kuckelkorn hat jeden Tag mit dem Tod zu tun.

Es sind hunderte Beerdigungen, auf denen Christoph Kuckelkorn schon war. Den Abschied zu gestalten, gehört zu seinem Beruf. Als Bestatter ist ihm jeden Tag vor Augen, wie zerbrechlich das Leben ist und wie plötzlich sich alles ändern kann. Auch persönlich musste er diese Erfahrung schon machen, als seine erste Frau durch einen Unfall starb.
 

ERF: Herr Kuckelkorn, Sie führen als Bestattermeister eines der ältesten Bestattungsunternehmen in Deutschland, inzwischen in der sechsten Generation. Wie ist es für Sie, jeden Tag mit dem Tod zu tun zu haben?

Christoph Kuckelkorn: Ich kann wirklich sagen, dass ich meinen Traumberuf gefunden habe. Mein Job ist sehr vielschichtig. Als Bestatter ist man einerseits Veranstaltungsorganisator eines Familienfestes, fast wie ein Wedding-Planner. Wir sind aber auch Seelsorger. Und wir kümmern uns darum, Menschen auf den letzten Weg vorzubereiten und eine Abschiednahme möglich zu machen, das heißt, die Körper – selbst nach Unfällen – in einen für die Angehörigen zumutbaren, würdevollen Zustand zu bringen. Da ist man dann eher medizinisch unterwegs. Ich begegne den unterschiedlichsten Menschen und erlebe Situationen, die mich berühren. Dass ich jeden Tag mit dem Tod, aber auch mit dem Leben zu tun habe, empfinde ich als ein großes Geschenk.

Der Tod wird an den Rand gedrängt

ERF: Vielen Menschen fällt es sehr schwer, sich mit dem Tod auseinanderzusetzen. Wie erleben Sie das?

Christoph Kuckelkorn: Ich beobachte, dass in unserer Gesellschaft der Tod immer mehr an den Rand gedrängt wird. Er ist fast im Tabu. Obwohl er allgegenwärtig ist, nimmt man ihn nicht mehr wahr. Es kommt nicht selten vor, dass ein Erwachsener noch nie einen toten Menschen gesehen hat und dass es ihm schwerfällt, über den Tod zu sprechen, selbst mit dem Partner.

Früher war es normal, dass ein Leichenzug durch die Stadt ging. Heute sind Leichenwagen keine Leichenwagen mehr, sondern Transporter, damit sie im Verkehr nicht auffallen. Weil für mich jedoch Leben und Tod zusammengehören, ist es meiner Meinung nach wichtig, dafür zu sorgen, dass diese Verbindung wieder einen Platz in unserer Gesellschaft erhält.

Der Tod gehört zum Menschsein. Wir sind endlich. Das Akzeptieren des Todes kann das Leben viel reicher machen, indem man dankbar wird für die Zeit, die man hat.

ERF: Was macht den Menschen denn so Angst beim Gedanken an den Tod?

Christoph Kuckelkorn: Ich denke, dass die meisten Menschen Angst haben vor diesem Gefühl, etwas loslassen zu müssen. Ich glaube, einen Menschen loslassen zu müssen und am Ende auch das eigene Leben, ist ganz schwierig. Das weiß ich aus eigener Erfahrung.

Trauer muss nicht primär traurig sein

ERF: Sie mussten diese Erfahrung machen, als Ihre erste Frau bei einem Verkehrsunfall tödlich verunglückt ist.

Christoph Kuckelkorn: Ich war – durch den Beruf meiner Eltern – schon als Kind mit dem Tod konfrontiert und habe ja auch schon einige Jahre als Bestatter gearbeitet. Doch plötzlich war ich auf der anderen Seite und alles teilt sich automatisch in ein Davor und Danach. Man wünscht sich, die Zeit ein klein wenig zurückdrehen zu können. Doch das geht nicht. Alles geht weiter, als wäre nichts geschehen.

Ich habe damals außerdem erkannt: Trauer muss nicht primär traurig sein, zuerst war ich vor allem wütend und ohnmächtig. Und es brauchte eine Zeit, bis ich es wirklich wahrhaben konnte, dass meine Frau tot ist. Mir hat es geholfen, sie nochmal zu sehen und anzufassen, um zu begreifen, was geschehen ist. Ich habe damals total den Halt und meine Struktur verloren. Ich wusste gar nicht, wie ich den Tag organisieren kann. Ich habe vergessen zu essen. Es fühlte sich so an, plötzlich im Nichts zu stehen.

ERF: Was ist Ihnen aus Ihrem Trauerprozess am deutlichsten in Erinnerung geblieben?

Christoph Kuckelkorn: Mir hat mal jemand gesagt: „Ein Mensch braucht neun Monate, bis er auf die Welt kommt, und er braucht mindestens neun Monate, bis er geht.“ Ich hatte nach dem Verlust meiner Frau wirklich fast ein Jahr Zeit notwendig, bis ich wieder voll belastbar im Alltag war. Immer wieder hat es mich eingeholt, immer wieder hatte ich plötzlich Einbrüche und musste mich dadurch arbeiten. Der Beruf fordert natürlich direkt wieder und das ist ganz schwierig. Aber auch die Familie fordert. Das ist wiederum gut.

Zu dem Zeitpunkt war meine Tochter sechs und mein Sohn dreizehn Jahre alt. Die Aufgabe zu übernehmen, sie jetzt dann mehr oder weniger alleine zu erziehen, ist schon nicht so ganz einfach. Aber das war in vielen Fällen auch der Motor. Immer wenn ich dachte, es geht gar nichts mehr, dann kamen die Kids um die Ecke, nahmen mich in den Arm und dann war die Energie wieder da. Und dann wusste man auch wieder, wofür man alles tut.
 

ERF: Welche Auswirkungen hatte der Tod Ihrer Frau auf Ihren Beruf?

Christoph Kuckelkorn: Meine eigene Trauer hat mir letztlich geholfen, dass ich mich heute stärker in die Angehörigen hineinversetzen kann. Ich habe selbst diesen schockierenden Moment erlebt, wenn man erfährt, dass ein naher Mensch gestorben ist. Damals habe ich die Erfahrung gemacht, dass das Realisieren von Tod das Wichtigste ist. Erst dann kann ich in meinen Trauerprozessen weitergehen. Deswegen haben wir seitdem begonnen, offene Abschiednahmen ins Zentrum unseres Wirkens zu stellen.

Wir bieten den Angehörigen jetzt quasi rund um die Uhr die Möglichkeit, ihre Verstorbenen zu besuchen, sie anfassen und berühren zu können.

Früher war das ganz selbstverständlich, man wurde zuhause im Kreis der Familie aufgebahrt und man konnte dort Abschied nehmen. Auch bieten wir an, dass Angehörige bei den Prozessen bis dahin – beim Waschen und Ankleiden des Verstorbenen – dabei sein oder es auch selbst ausführen können. Das hört sich erst einmal komisch an, aber mitunter werden Menschen schon Wochen und Monate vorher im Kreis der Familie gepflegt. Und insofern ist es eine sinnvolle Ergänzung, genau das nach dem Tod auch zu tun. Wir machen die Erfahrung, dass damit die Situation fassbar und auch leichter akzeptierbar wird.

Keine Angst vor dem Tod, aber vor dem Sterben

ERF: Was haben Sie vom Tod für Ihr Leben gelernt?

Christoph Kuckelkorn: Mein Beruf hält mir jeden Tag vor Augen, wie zerbrechlich und fragil das Leben ist. Jeder Tag ist für mich ein echtes Geschenk. Das sagt jeder, das weiß auch jeder. Aber ich bekomme jeden Tag aufs Neue präsentiert, dass das wirklich so ist. Darum lebe ich sehr stark im Jetzt. Natürlich muss man auch ein bisschen vorsorgen und planen, aber mir ist sehr bewusst, dass es keine Garantie für ein Morgen gibt.

Ich verschiebe nichts. Das ist eine Konsequenz aus meinem Beruf.

Deswegen ist bei mir auch die gute Flasche Wein dran, wenn sie vorne steht und nicht, wenn irgendein besonderer Geburtstag ist. Deswegen fahre ich in Urlaub und verschiebe Reisepläne nicht auf meine Rentenzeit. Oder ich fahre dann Motorrad, wenn schönes Wetter ist und nicht, wenn es der Terminkalender hergibt. Das ist für mein Umfeld teilweise nicht so ganz einfach. Aber mittlerweile hat man sich darauf eingestellt und gibt mir auch diese Möglichkeit.
 

ERF: Wie geht es Ihnen mit dem Gedanken an Ihren eigenen Tod?

Christoph Kuckelkorn: Ich habe keine Angst vor dem Tod, aber ich habe Angst vor dem Sterben. Das kann sehr leidvoll und schmerzvoll sein. Die Erfahrungen haben wir jeden Tag. Der Tod jedoch ist für mich etwas Friedliches. Ich bin Christ und finde die Perspektive auf ein Leben nach dem Tod, die das Christentum zeigt, sehr hoffnungsvoll.
 

ERF: Vielen Dank für das Gespräch.


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 Martina Eibach

Martina Eibach

  |  Redakteurin

Sie mag Lebensgeschichten. Spannend findet sie: Die Herausforderungen sind jeweils ganz unterschiedlich. Jedoch fast immer beginnen Veränderungen mit einer leisen Ahnung.

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