Navigation überspringen
© Michal Parzuchowski / unsplash

26.09.2017 / Interview / Lesezeit: ~ 7 min

Autor/-in: Tanja Rinsland

Du hast immer eine Wahl

Wie aus dem Heimkind Robby der erfolgreiche Geschäftsmann Rob Mitchell wurde.

Bis zu welchem Maß bestimmt die Vergangenheit eines Menschen, ob er später Erfolg hat? Ist es automatisch so, dass eine problematische Kindheit zu einem gescheiterten Leben führt? Es klingt manchmal fast nach einem psychologisch begründeten Fatalismus, was man über so manche gescheiterte Existenz zu hören bekommt: „Der hatte es früher halt schwer, kein Wunder dass es so gekommen ist.“

Der Amerikaner Rob Mitchell würde dieser Argumentation wahrscheinlich vehement widersprechen. Er selbst hatte denkbar schlechte Startbedingungen, denn Rob Mitchell ist in einem Kinderheim großgeworden. Sein Vater hat sich das Leben genommen, seine Mutter war alkoholabhängig. Trotzdem wurde aus ihm ein erfolgreicher Geschäftsmann, sogar ein Millionär. 

Manche würden sagen: er hatte einfach Glück. Doch Rob Mitchell sieht das anders: für ihn basiert sein Erfolg auf richtigen Entscheidungen, nicht auf Zufällen. Er hat uns seine Geschichte erzählt.

Eine traumatische Kindheit

ERF: Wie warst du früher drauf, als Teenager?

Mitchell: Ich war wütend. Ich habe gesoffen und Hasch geraucht, weil ich so verbittert über meine Kindheit war. Ich war nicht gerade das, was man unter einem „netten Jungen“ versteht.
 

ERF: Warum warst du so wütend?

Mitchell:Als ich drei Jahre alt war, hat mein Vater uns verlassen. Er hat sich eine Waffe an den Kopf gehalten und sein Gehirn weggepustet. Drei Monate später hat meine Mutter mich in einem Kinderheim abgeliefert – Dort habe ich die nächsten 14 Jahre meines Lebens verbracht, bis man mir mit 17 ein Zugticket in die Hand drückte und sagte: „Viel Glück, Junge.“ Damit war ich praktisch obdachlos.
 

ERF: Kein Wunder, dass man da wütend wird. Vor allem, weil es ja irgendwo da draußen noch deine Mutter gab, Großeltern, eine Familie, die eigentlich für dich hätte sorgen können.

Mitchell: Als Kind war das sehr verwirrend. Ich habe meine erste Begegnung mit meiner Mutter nie vergessen, drei Jahre, nachdem sie mich im Heim abgeliefert hatte. Ich war auf dem Spielplatz, als jemand mir sagte: „Deine Mama ist da!“ Und wie jedes Heimkind wollte ich einfach nur nach Hause – dann würde alles besser werden. Ich rannte ins Haus und da stand sie, im Warteraum.

Sie fluchte und schrie herum und ich umarmte ihre Beine. Ich erinnere mich, dass sie stank, eben wie Alkoholiker und Drogenabhängige riechen. Dann schaute sie auf mich herab und sagte mir, sie müsse jetzt gehen. Kein Wort, dass sie mich lieben würde. Oder dass es ihr Leid täte, die letzten drei Jahre nicht da gewesen zu sein. Sie drehte sich einfach um und ging.

Ich blieb völlig verwirrt zurück: Warum sollte meine eigene Mutter mich nicht mitnehmen wollen? Und es war nicht das einzige Mal, dass sie mir so etwas antat.

ERF: Hast du dir damals die Schuld gegeben, dass sie dich verlässt?

Mitchell: Kinder sind egozentrisch. Sie glauben das alles, was ihnen widerfährt, ihre Schuld sei. Wenn Kinder reich aufwachsen, dann denken sie, dass sie das ganze Geld verdient hätten – das stimmt natürlich nicht.

Und verlassene Kinder wie ich nehmen an, dass sie all das Leid verdient hätten, das ihnen wiederfährt. Außerdem sagte man mir damals: „Du bist genauso schlecht wie dein Vater und deine Mutter. Du wirst genauso wie sie enden.“ Und ich habe es ihnen damals geglaubt.

Vom Gejagten zum Jäger

ERF: Du bist heute nicht mehr wütend – wie konntest du deine Gefühle loslassen?

Mitchell: Ich war 17 und wusste nicht, was ich mit meinem Leben anfangen sollte. Dann fragte man mich, ob ich über den Sommer bei einem christlichen Freizeitcamp als Rettungsschwimmer einspringen könne.

Ich fand das großartig, denn dort konnte ich einfach Rob sein – nicht Robby aus dem Kinderheim. Und außerdem konnte ich meiner Lieblingssportart frönen: das Jagen und Fangen von albernen Mädchen! Ich liebte es!
 

ERF: Na – das kann ich mir lebhaft vorstellen!

Mitchell: Das Problem waren allerdings diese ganzen braven christlichen Mädchen auf dem Camp. Eine bedrohte mich sogar mit einer Bratpfanne und meinte: „Wenn du dich nicht benimmst, verpass ich dir eine!“

Dann tauchte diese süße, blauäugige, blonde Pastorentochter auf und ich dachte nur: die Jagd ist eröffnet! Also versuchte ich, sie zu beeindrucken. Doch sie fragte mich nach drei Tagen: „Wie sieht eigentlich deine Beziehung zu Jesus aus?“

Ich erklärte ihr, dass ich ihm diese ganze liebender-himmlischer-Vater-Nummer einfach nicht abkaufte. Worauf sie mich anlächelte und meinte, ich hätte wohl die Beweise nicht hinreichend geprüft.

Da ich immer noch vorhatte, sie zu beeindrucken, war ich bereit, jegliche Dummheit zu begehen – sogar die Bibel zu lesen.

Und in diesen Texten begegnete mir ein Jesus, der völlig anders war als den, von dem ich bisher gehört hatte. Ich dachte vorher, Jesus würde drei Fuß über den Boden schweben und sich niemals dreckig machen. Doch dieser Jesus wurde dreckig, hungrig, durstig. Er wurde verraten.
 

„Auch Jesus wurde wütend"

ERF: Er wurde sogar wütend.

Mitchell: Ja, er wurde wütend! Doch seine Wut war anders als meine. Er war vor allem frustriert, weil die Menschen zu dickköpfig und herzlos waren, um die Liebe Gottes zu erkennen, die er ihnen zeigen wollte. Ich habe mit diesem Jesus gekämpft, bis ich bei einer zentralen Frage landete: Warum?

Wenn Gott heilig ist, warum würde er einen Jungen wie mich wollen? Er wusste, was ich alles gesagt und getan habe, vor allem was ich anderen angetan hatte – und was mir angetan wurde. Ich hätte mich nie von all dem reinwaschen können, um einem heiligen Gott zu genügen.

Und dann wurde mir klar, dass Gott mich adoptieren wollte – den Heimjungen. Ihm war meine Vergangenheit egal. Und da entschied ich mich und sagte ihm: „Jesus, wenn du real bist und mich verändern kannst, dann gehöre ich dir.“

In dem Moment habe ich zwar keine Engelschöre gehört oder bin in spirituelle Extase verfallen. Aber für mich war es so, als ob Gott selbst aus dem Himmel herabkam und das Herz eines wütenden, bitteren Chaoten aus einem amerikanischen Kinderheim berührte.

Jesus, wenn du real bist und mich verändern kannst, dann gehöre ich dir.

„Ein anderes Wort für Liebe ist Zeit.“

ERF: Du hast dich für Jesus entschieden – Warst du nicht wütend auf Gott, nach allem was passiert ist?

Mitchell: Zwei Jahre nach dieser Begegnung wurde ich noch einmal richtig wütend auf Gott – wegen meiner Kindheit. Ich habe ihn angeschrien, habe ihm alles vorgeworfen. Und dann sprach Gott zu mir: „Rob, nenn mich deinen Vater, nenn mich dein Zuhause.“ Mit 17 war ich praktisch heimatlos, aber das wird mir nie wieder passieren. Denn egal, wo ich bin, ist Gott auch da.
 

ERF: Deine Geschichte klingt ein bisschen nach modernem Märchen: das Heimkind, dass zum Millionär wurde. Warum hattest du so viel Glück – im Gegensatz zu all den anderen?

Die Autobiografie von Rob Mitchell erschien 2013 (© SCM Hänssler)

Mitchell: Ich würde nicht sagen, dass ich Glück hatte. Ich habe Entscheidungen getroffen. Wir können uns nicht immer aussuchen, was uns wiederfährt. Ich habe mir nicht ausgesucht, verlassen zu werden. Ich wollte nie in einem Kinderheim groß werden.

Aber ich habe erkannt, dass ich selbst entscheiden kann, wie ich auf die Umstände reagiere. Und das kann mir keiner wegnehmen! Es war kein Glück – es waren Entscheidungen! Ich entschied mich, manch schlechte Einflüsse hinter mir zu lassen und gute Einflüsse zuzulassen. Ich hörte auf zu trinken, und entschied mich, anders mit Frauen umzugehen. Es waren kleine Schritte – aber sie haben den Unterschied gemacht.

Ich wollte nie in einem Kinderheim groß werden. Aber ich habe erkannt, dass ich selbst entscheiden kann, wie ich auf die Umstände reagiere. Und das kann mir keiner wegnehmen!

ERF: Wo hast du nach diesem positiven Einfluss gesucht? Welche Menschen haben den entscheidenden Unterschied gemacht?

Mitchell: Es waren die normalen Menschen und nicht irgendwelche Promis. Und es fing schon früh an. Eine Frau namens Nola war meine Heimmutter. Sie hat jeden Tag für uns Jungs gebetet und war fest davon überzeugt, dass es in jedem von uns etwas liebenswertes gab.

Es ist nicht einfach, Kinder wie uns zu lieben – mit unserer Vergangenheit, dem Missbrauch, den Alpträumen, der Wut. Aber sie glaubte, dass wir liebenswert waren.

Dann war da dieser Mann, Jim, der mir beibrachte, Gewichte zu stemmen. Oder Bob, der mir zeigte, wie man durch den Wald laufen kann ohne sich zu verirren. Ein anderer brachte mir Autofahren bei. Ich glaube, ein anderes Wort für Liebe ist Zeit.

Diese Menschen sind einfach regelmäßig in meinem Leben aufgetaucht, selbst als ich mich von ihnen zurückziehen wollte. Das waren die Menschen, die einen echten Unterschied gemacht haben – die Leute, die einfach immer wieder da waren.  
 

ERF: Vielen Dank für das Gespräch.

Ihr Kommentar

Die E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.
Alle Kommentare werden redaktionell geprüft. Wir behalten uns das Kürzen von Kommentaren vor. Ein Recht auf Veröffentlichung besteht nicht.

Kommentare (1)

Madleen /

Eine sehr beeindruckende Lebensgeschichte!! Bei Gott gibt es keine hoffnungslosen Fälle!
"Ich glaube ein anderes Wort für Liebe ist Zeit", diesen Satz möchte ich mir merken. In Menschen am Rande mehr

Das könnte Sie auch interessieren