Navigation überspringen
© Mitchell Hartley / unsplash.com

14.11.2020 / Serviceartikel / Lesezeit: ~ 8 min

Autor/-in: Rebecca Schneebeli

Unzufrieden, aber glücklich?

Wie schließe ich Frieden mit mir und meinem Leben, selbst wenn manches unvollkommen bleibt?

Manchmal fehlt nur eine Sache zu unserem Glück und schon scheint unser Leben fade und unbefriedigend. Es ist dann, als fehle das Salz in der Suppe. Die eine Zutat, die unserem Leben Würze geben könnte. Das kann etwas ganz Kleines und Banales sein oder auch ein großer Lebenstraum, der nicht in Erfüllung geht.

Für manche ist das der langersehnte Partner, für andere die verdiente Beförderung oder ein Kinderwunsch, der nicht in Erfüllung geht. In diesen Tagen gibt es sicherlich etliche Menschen, die unter den erneuten strengen Corona-Maßnahmen der Bundesregierung ächzen und konstatieren: „Unter diesen Umständen kann ich nicht glücklich sein.“

Doch ist das wirklich so? Ist Glück und Zufriedenheit nur dann möglich, wenn alles stimmt, wenn unser Leben quasi vollkommen ist? Die Autorin Christina Ott ist überzeugt, dass dem nicht so ist. Sie vertritt die These, dass man auch „Unvollkommen glücklich“ sein kann. Wie das gehen kann, hat sie im gleichnamigen Buch ausgeführt. Einige Gedanken daraus möchte ich herausgreifen.

Das Kind in uns ernstnehmen

Ob wir im Leben eher von einem halbvollen oder einem halbleeren Glas sprechen, entscheidet sich bereits in der Kindheit. Keine andere Lebensphase prägt uns so sehr wie diese erste, verhältnismäßig kurze Zeit. In der Kindheit trainieren wir uns Verhaltensmuster an, um auf Erlebtes zu reagieren – auf Schönes und auf Schweres. Wir programmieren uns quasi selbst. Hatten wir eine eher positive Kindheit und haben in ihr gesunde Verhaltensmuster antrainiert, wird daraus eine wertvolle Ressource für unser weiteres Leben.

Doch allzu oft waren die Erfahrungen in unserer Kindheit nicht durchweg positiv. Manches hat uns als Kind verstört, vielleicht sogar traumatisiert. Wir konnten das, was mit und um uns herum geschieht, noch nicht so einordnen, wie wir es später als Erwachsener können. Die daraus entstandenen Reaktions- und Verhaltensmuster haben sich uns eingeprägt. In vielerlei Hinsicht steckt in uns immer noch das Kind von damals, mit all seinen Verletzungen und Enttäuschungen. Dies wahrzunehmen, hält Christina Ott für wichtig, um unsere Zukunft mit Zuversicht zu gestalten.

In vielerlei Hinsicht steckt in uns immer noch das Kind von damals, mit all seinen Verletzungen und Enttäuschungen.

Denn gerade Situationen, die uns herausfordern und entmutigen, katapultieren uns quasi zurück in unser damaliges Kinderdenken. Doch, so macht Ott klar, wir sind keine Kinder mehr. Wir haben neue Ressourcen, um mit Enttäuschungen, Verlust und Schmerz umzugehen. Sie beschreibt dies so: „Ich sage meinem inneren Kind, in welcher Realität ich heute lebe und welche Kraftquellen mir zu Verfügung stehen.“

Wer bereit ist, einen ehrlichen Blick auf die eigene Prägung zu werfen, versteht plötzlich, warum er in dieser oder jener Situation immer die Nerven verliert. Statt hier weiter Frust über uns selbst zu schieben, können wir lernen, uns neue gesündere Verhaltensmuster anzutrainieren.

Lebensträume nicht verloren geben

Genauso hilfreich wie der Blick zurück, ist auch der Blick nach vorne. Nahezu jede und jeder von uns hatte wohl mal einen oder mehrere Lebensträume. Doch im Alltag sind diese häufig ins Hintertreffen geraten. Sicher ist nicht jeder Traum, den man einmal als Kind oder Jugendlicher hatte, geeignet, in die Tat umgesetzt zu werden.

Aber so mancher Kindheitstraum wurde zu schnell begraben. Christina Ott glaubt, wir sind zu mehr geschaffen als für das Klein-klein des täglichen Alltags. Sie ist überzeugt: „In jedem Menschen steckt ein riesiges Potenzial, das darauf wartet, sich entfalten zu können.“

Doch dieses Potenzial zu entfalten trauen sich nur die wenigsten Menschen. Im Herzen tragen wir vielleicht noch große Ziele und Träume, aber im Alltag lassen wir uns gefangen nehmen vom Hier und Jetzt. Wir lassen uns von Herausforderungen ausbremsen oder trauen uns eine Veränderung erst gar nicht zu. Auch ich selbst habe dies bei einem meiner Lebensträume erlebt.

Durch Veränderungen in meinem Alltag war die Erreichung dieses Ziels plötzlich nur durch extreme Mühen möglich und so verschob ich den Traum mit dem Hinweis „nicht so wichtig“ auf später. Es hat Jahre gedauert zu erkennen, dass ein guter Teil der Unzufriedenheit mit meinem Leben daher kam, dass ich diesen Traum verloren gegeben hatte.

Heute habe ich diesen Traum in kleine Ziele aufgeteilt, denn mich hatte damals die Größe und Unerreichbarkeit meines Lebenstraums erschreckt. Ich habe mir Vorbilder gesucht, die mich motivieren, und Zeit frei geräumt für dieses Ziel. Vielleicht schlummert auch in Ihnen ein Lebenstraum, der entdeckt und gestaltet werden möchte.

Dann zögern Sie nicht, diesem Drängen nachzugeben. Gott ist es, der uns diese Träume ins Herz legt. Wenn Sie mit Blick auf ihn Ihrem persönlichen Traum folgen, wird er Ihnen schon zeigen, wo er die entsprechenden Türen öffnen will.

Sich selbst nicht genug?

Doch nicht nur unerfüllte Lebensträume können uns unzufrieden werden lassen, oft sind wir selbst es, mit denen wir in unserem Leben am unzufriedensten sind. Schon wieder sind wir gegenüber den Kindern oder dem Ehemann laut geworden, schon wieder müssen wir aufgrund unserer fragilen Gesundheit Pläne streichen. Und kaum passiert uns das, ist da wieder das altbekannte Gefühl der Unzulänglichkeit und des Selbstzweifels.

Mir sagte letztens mal jemand in einem Coaching-Gespräch, ich würde immer erschöpft und unzufrieden bleiben, wenn ich immer mehr erreichen wolle, als ich schaffen könne. Mich hat dieser Satz wütend gemacht, nicht auf meinen Coach, sondern auf Gott. Denn ich würde doch so gerne alles schaffen können, was ich mir vornehme.

Vielleicht geht es Ihnen ähnlich! Vielleicht setzen auch Sie bei niemanden die Messlatte so hoch an wie bei sich selbst. Die Sätze, die ich mir selbst sage, würde ich nie einem anderen Menschen sagen. Christina Ott berichtet in ihrem Buch Ähnliches. Besonders anfällig für Selbstzweifel scheinen wir Frauen zu sein, aber auch viele Männer sehnen sich nach Bestätigung. Doch es ist leider so, wie Christina Ott schreibt: „Je schwächer das Selbstvertrauen ausgebildet ist, desto schwerer fällt es uns, Bestätigung anzunehmen.“

Vielleicht setzen auch Sie bei niemanden die Messlatte so hoch an wie bei sich selbst.

Was hilft dagegen? Drei Dinge:

  1. Den Blick auf Gott als meinen Schöpfer richten. Er hat mich geschaffen und er liebt mich mitsamt aller meiner Unzulänglichkeiten.
  2. Endlich aufhören, mich selbst mit Worten und Gedanken weiter herabzusetzen. Je mehr ich das nämlich tue, desto tiefer graben sich die Selbstzweifel in mein Herz.
  3. Meinen eigenen Fähigkeiten vertrauen und in sie investieren. Wo ich mich verbunden mit anderen fühle, befähigt bin, etwas Bedeutsames zu tun, und dies auch beherzt umsetze, schmelzen die Selbstzweifel.

Mit „Dennoch“-Glauben durch Stürme gehen

Doch es bleiben trotz allem Zeiten, in denen das Leben uns schlicht und einfach zu viel aufbürdet. Jeder Mensch erlebt Krisenzeiten und jeder Mensch wird auch die Erfahrung machen müssen, dass mancher Lebenstraum sich nicht erfüllt. Wie also umgehen mit Situationen, in denen uns schlicht alles überrollt? Und wie sich damit abfinden, dass man manchen Lebenstraum begraben muss?

Christina Ott rät hier zu Loslassen und einem „Dennoch“-Glauben. Dieser „Dennoch“-Glauben hält an Gott fest, selbst wenn die Umstände zum Verzweifeln einladen. Unser „eiserner Vorrat“ für diese Zeiten ist das Gebet, nicht nur das persönliche Gebet, sondern auch Psalmen und das Vaterunser. Wer in guten Zeiten bereits eingeübt hat, mit Problemen zu Gott zu kommen, dem fällt dies auch in stürmischen Zeiten leichter. Daher lohnt es sich, unsere Beziehung zu Gott schon jetzt zu stärken.

Auch andere Übungen können helfen, sich nicht von diesen Krisen überrollen zu lassen, zum Beispiel der eigenen Angst mit einer Prise Humor zu begegnen, sich mit sinnvollen Dingen zu beschäftigen statt mit unseren Sorgen oder unseren Kummer offen mit anderen zu teilen. Oft sind wir stärker, als wir glauben, wenn es um die Bewältigung von Lebenskrisen geht. Wer sich das bewusst macht, hat schon viel gewonnen. Denn er ist mutig und dieser Mut hilft entscheidend weiter, schwierige Lebenssituationen zu ertragen und durch sie hindurchzugehen. Christina Ott dazu: „Mut ist das Vertrauen, dass die Schwierigkeiten des Lebens mich nicht erdrücken werden.“

Mut ist das Vertrauen, dass die Schwierigkeiten des Lebens mich nicht erdrücken werden. – Christina Ott

Zum Loslassen bereit werden

Manches Mal aber ist Loslassen gefragt. Dinge, die uns teuer und wertvoll geworden sind, wieder loslassen zu müssen, ist eine Erfahrung, die unser ganzes Leben begleitet. Denn ohne Loslassen ist keine Entwicklung möglich. Nur wer Altes loslässt, kann auch wieder Neues anfangen. Christina Ott sieht im Loslassen sogar eine Art Training für das Sterben: „Eines Tages müssen wir uns und unser Leben loslassen. Dafür üben wir ein Leben lang. Jeder Verlust ist ein Training dafür.“

Eines Tages müssen wir uns und unser Leben loslassen. Dafür üben wir ein Leben lang. Jeder Verlust ist ein Training dafür. – Christina Ott

Mir persönlich erscheinen diese Worte schwer und endgültig. Ja, manches bin ich bereit, loszulassen, bei anderem löst allein der Gedanke daran Beklemmung bei mir aus. Selbst einige kleinere Lebensveränderungen haben schon Gefühle der Trauer in mir bewirkt. In solchen Situationen rät Christina Ott dazu, zu überlegen, wozu wir noch an bestimmten Dingen festhalten.

Was verbindet mich immer noch so sehr mit dieser Arbeitsstelle oder jener Freundschaft, dass ein Loslassen und damit auch der notwendige Schritt nach vorne nicht möglich ist? Wenn wir verstehen, was wir mit unserem Festhalten bezwecken wollen, ist ein Kurswechsel und ein Loslassen aus freien Stücken leichter möglich.

Wachstum suchen, aber nicht erzwingen

Die eigene Prägung verstehen, den Blick auf Lebensziele richten, Balance finden, Selbstzweifeln denn Kampf ansagen, krisenfest werden und loslassen – sie alle sind nur Puzzleteile eines größeren Bildes. Letztlich geht es in all diesen Bereichen darum, innerlich zu wachsen. Dieses innere Wachsen ist jedoch keine Disziplin und kein Wettkampf, es ist eine Entwicklung wie das Wachstum einer Pflanze. Wir können es nur sehr bedingt beschleunigen und erst recht nicht erzwingen. Und das ist auch okay so. Christina Ott schreibt dazu: „Du darfst beides gleichzeitig sein. Ein Meisterstück und ein Werk in Arbeit.“

Wer sich als Meisterstück und als Werk in Arbeit versteht, kann lernen, trotz aller Unzufriedenheit und Unvollkommenheit glücklich und zufrieden zu leben.

Wer sich als Meisterstück und als Werk in Arbeit versteht, kann lernen, trotz aller Unzufriedenheit und Unvollkommenheit glücklich und zufrieden zu leben. Christina Ott macht Mut, dazu, diese Wirklichkeit anzunehmen: „Wir sind chronisch unvollkommen, und das darf so sein.“ Jeder und jede von uns hat Lebensbereiche, in denen „Nachreifen“ angesagt ist.

Die Frage ist also nicht so sehr, wo wir jetzt stehen, sondern wie wir langfristig mit unseren Baustellen umgehen. Denn Wachstum geschieht nicht automatisch. Weder können wir es auf Knopfdruck erzwingen noch wird es zufällig geschehen. Es braucht unser Bemühen und gleichzeitig unser Loslassen, um zu der Person zu werden, zu der Gott uns erschaffen hat. Wer das verstanden hat, wird „unvollkommen glücklich“.

 Rebecca Schneebeli

Rebecca Schneebeli

  |  Redakteurin

Sie schätzt an ihrem Job, mit verschiedenen Menschen und Themen in Kontakt zu kommen. Sie ist verheiratet und mag Krimis und englische Serien.

Ihr Kommentar

Die E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.
Alle Kommentare werden redaktionell geprüft. Wir behalten uns das Kürzen von Kommentaren vor. Ein Recht auf Veröffentlichung besteht nicht.

Das könnte Sie auch interessieren