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© Matt Quinn / unsplash.com

21.05.2019 / Serviceartikel / Lesezeit: ~ 3 min

Autor/-in: Natalie Mantai

Anhalten, hinsehen, begegnen

Wie mich ein Artikel inspirierte, Menschen bewusster wahrzunehmen.

Viele Momente im Alltag, gehen unbewusst vorüber. Ich kann mit unzähligen Menschen an einem Ort sein, doch keinen von ihnen wirklich wahrnehmen. Ich kann mir etwas ansehen, aber das Eigentliche übersehen. Manchmal ist es, als wäre gar nichts gewesen. Als hätte ich, was geschehen ist, gar nicht wirklich erlebt.

Doch dann gibt es auch Momente, die mich inne halten lassen. Worte, die mich tiefer treffen als andere. Die mich inspirieren, eine Verknüpfung meiner Gedanken schaffen, oder auch einfach eine andere Perspektive bieten.

Anhalten – Mitten im Alltag

Als ich einen Artikel der Autorin Regina Neufeld las, geschah genau das. Mitten in meinem Alltag war auf einmal Pause und ich konnte mehr als nur ihre Worte lesen. Ich kannte Reginas Geschichte und wusste, dass ihr drittes Kind, Samuel, nach nur 54 Tagen gestorben war. Ich wusste auch, dass sie anfangs hin- und hergerissen war, wenn die Frage „Wie viele Kinder hast du?“, kam. In ihrem Artikel verlieh sie Müttern eine Stimme, deren erstes Kind gestorben ist:

„Ich bin Mutter. Von vier Kindern. Eins davon ist ein Himmelskind. Doch was ist, wenn das erste Kind nicht nach Hause kommt? Weil das Herz schon im Bauch der Mama aufhört zu schlagen. Oder wenn es Komplikationen bei der Geburt gibt. Oder wenn es aufgrund einer Krankheit nur wenige Atemzüge macht. Oder wenn es nur wenige Male in seiner liebevoll hergerichteten Wiege liegen kann. Jede Geschichte ist anders. Aber eins haben diese Frauen gemeinsam: Sie alle sind auch Mütter. Man sieht es ihnen nur nicht an. Sie haben die Liebe einer Mutter im Herzen, vielleicht zeigt der Körper noch Spuren der Schwangerschaft. Aber da ist kein Baby. Und niemand, der sie am Muttertag umarmt“ (Regina Neufeld – Ich bin auch eine Mutter).

Diese Worte haben mich getroffen. Ich las sie nochmal und nochmal. Sie berührten mich, nicht weil ich selbst ein Kind verloren hätte und direkt nachfühlen könnte, was Regina in ihrem Artikel anspricht. Aber hinter ihren Worten stehen Geschichten. Erlebte Geschichten, die es wert sind, gehört zu werden. Kinder, deren Name viel zu selten gesagt wurde. Erinnerungen, die viel zu selten geteilt wurden. Leben, die viel zu wenig bewundert wurden.

Hinsehen – Wo du stolperst, liegt der Schatz

Im Laufe meiner Ausbildung beim ERF habe ich schon öfter diesen einen Satz in mein Notizbuch geschrieben: „Wo du stolperst, liegt der Schatz.“ Denn ich erlebe so oft, dass es sich da, wo ich ins Stocken komme, lohnt genauer hinzusehen. Nicht immer. Manche Sachen sind auch einfach so herausfordernd und verdienen nicht mehr Aufmerksamkeit als nötig. Doch manchmal spüre ich ein Werben, sanft und zaghaft, nicht nur das Offensichtliche wahrzunehmen, sondern genauer hin zu sehen.

»Wo du stolperst, liegt der Schatz.« – Ich erlebe so oft, dass es sich da, wo ich ins Stocken komme, lohnt genauer hinzusehen.

Als ich Reginas Artikel las, spürte ich eine Ungerechtigkeit, Enttäuschung und auch Wut. Diese Mütter und die Kinder, die sie verloren haben, werden immer wieder übersehen. Ich selbst habe sie lange übersehen. Das Gefühl, übersehen zu werden, kenne ich. Je nach dem, wer mich übersieht, tut das ganz schön weh. Denn gerade, wenn es mir nicht gut geht, wünsche ich mir, dass mein Gegenüber mich wahrnimmt und nicht während ich spreche schon seinen nächsten schlauen Satz überlegt.

Ich brauche oft keine Antwort darauf, warum es mir schlecht geht – ich will einfach gesehen werden. Denn gesehen zu werden, nimmt die Einsamkeit. Es macht mich zu einem Gegenüber und ist wertschätzend und tröstend.

Begegnen – Den anderen sehen

Ich habe einen Bibeltext gelesen, der für mich das Thema „Übersehen und Gesehen sein“ mit Hoffnung besetzt. In Psalm 139,16 steht: „Du hast mich gesehen, bevor ich geboren war. Jeder Tag meines Lebens war in deinem Buch geschrieben. Jeder Augenblick stand fest, noch bevor der erste Tag begann.“ Gott sieht mich. Ich bin ihm so wertvoll, dass er jedes Detail meines Lebens festgehalten hat.

Gott ist ein Gott der Begegnung, der mich wahrnimmt und sich Zeit für mich nimmt.

Es tut mir so gut, von Gott gesehen zu sein! Und irgendwie, entsteht da der Wunsch, auch andere zu sehen. Ihre Geschichte zu hören. Mir Zeit für sie zu nehmen. Reginas Artikel hat mich inspiriert und mir eine neue Perspektive geschenkt. Ich will in meinem Alltag bewusster leben: anhalten, hinsehen und anderen Menschen begegnen. Mir ihre Geschichte anhören, denn sie ist oft anders als gedacht.
 

 Natalie Mantai

Natalie Mantai

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Kommentare (1)

Magdalena M. /

Es gibt leider viel zu viele Menschen die übersehen werden. Gestern war ich in einem großen Supermarkt. Da haben viele einen Tunnelblick - ich schließe mich da mit ein - man schaut/scannt die Reihen mehr

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