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© Brunnen

09.11.2012 / Interview / Lesezeit: ~ 8 min

Autor/-in: Ella Friesen

Angst trifft auch starke Christen

Pierre Tschanz ist einem menschlichen Grundgefühl auf der Spur – der Angst. Sein Fokus: Was wir diesbezüglich von verfolgten Christen lernen können.

Angst lässt viele Dinge in falschem Licht erscheinen und führt zu falschen Entscheidungen. Im Gespräch mit ERF Medien zeigt Pierre Tschanz, Autor des Buches „Angst – von verfolgten Christen lernen“, dass es wichtig ist, Mut zu haben – unabhängig davon, in welchem Land man lebt. Und er erzählt, wie Christen Angst überwinden können.

 

ERF: Als Ursachen der Angst unterscheiden Sie unter anderem zwischen sozialem, ideologischem und religiösem Druck. Können Sie diese Ursachen von Ängsten kurz vorstellen?

Pierre Tschanz: In der freien westlichen Welt sind wir täglich damit konfrontiert, uns an die Wahrheit zu halten, die wir erkannt haben. Heutzutage muss man sich als tolerant ausgeben, muss sich praktisch dem Zeitgeist anpassen. Dieser soziale Druck erzeugt eine Angst nicht zur Mehrheit dazu zu gehören. In der Arbeitswelt kann das bedeuten: Habe ich den Mut mit meinem Arbeitgeber über etwas zu sprechen, was ich als Ungerechtigkeit erkannt habe?

Im Buch habe ich auch über Ideologien gesprochen. In Indien herrscht beispielsweise die Hindutva - Ideologie, die einen geistigen Druck erzeugt. Sie ist eine Reinheitsideologie, die sich auf die ursprünglichen Bewohner Indiens bezieht und alles als schlecht abtut, was nicht indischen Ursprungs ist, wie Moslems oder Christen. In Indien gibt es viele Verfolgungen und je nach dem, wo ich mich aufhalte, stellt sich mir eine Frage, die mir sogar das Leben kosten könnte: Habe ich den Mut, mich als Christ auszugeben?

Mit religiösem Druck kann man beispielsweise in Form von Gruppenzwang konfrontiert werden. Wenn ich in einer großen Versammlung bin, in der beim gottesdienstlichen Gesang jeder seine Arme hochhebt, fühle ich mich praktisch gezwungen mit der Menge mitzumachen und meine Arme auch zu heben.
 

ERF: Wie gehen verfolgte Christen mit solchen Ängsten um?

Pierre Tschanz (Foto: privat)
Pierre Tschanz (Foto: privat)

Pierre Tschanz: Zuallererst muss man als Christ bereit sein, Widrigkeiten standzuhalten. Das ist eine tägliche Übung, die es gilt, auf eine bestimmte Art vorzubereiten. Erstens: Durch das Lesen der Bibel. Es ist sehr wichtig, in der Essenz der biblischen Botschaft verwurzelt zu sein und Bibelstellen auswendig zu können.

Genauso wichtig für Christen ist das Gebet. Ein Pastor sagte einmal: „Im Gebet ist nicht das Anliegen an sich das Wichtigste, es ist die persönliche Beziehung zu Gott. Die Anliegen kommen danach.“ Diese zwei Elemente helfen Christen, aufrecht zu stehen und sich nicht zu fürchten.

Ich kenne keinen verfolgten Christen, der noch nie Angst hatte. Von der Angst kann man ganz plötzlich erfasst werden. Ein algerischer Freund sagte mir von seiner Zeit während des Terrorismus in den 90er Jahren: „Auf einmal geriet ich in Panik. Ich fing an zu zittern, weil ich draußen Gewehrschüsse hörte – Terroristen, die andere Leute töten. Ich konnte nichts tun, als Gott anzubeten. Nach diesem Gebet hatte ich wieder inneren Frieden.“ Diese Panikzustände treffen auch starke Christen. Doch durch das Gebet und die Wirkung des Heiligen Geistes stellt Gott den Frieden in den Herzen wieder her.

Gehorsam in kritischen Momenten dient als Vorbild

ERF: An einigen Stellen in Ihrem Buch führen Sie aus, dass man zwar Annehmlichkeiten gewinnt, wenn man kein Risiko eingeht, dabei aber einen Teil seiner Seele verliert. Wie meinen Sie das?

Pierre Tschanz: Es gibt immer wieder Gelegenheiten im Leben eines Christen, in denen er zu seinen Überzeugungen stehen muss. Tut er das nicht, ist er Gott ungehorsam gewesen. Mit dieser möglichen Angst davor, gehorsam zu sein, spiegelt man als Christ in seinem Verhalten nicht das Wesen Gottes wider. Wir sollten uns als Vorbild die Menschen nehmen, die in gefährlichen Momenten ihres Lebens trotzdem gehorsam blieben. Ich denke da an den deutschen Märtyrer Dietrich Bonhoeffer. Dieser Mann gab seinen Glauben und seine Überzeugungen nicht auf. Mit christlichem Gehorsam sind immer wieder Risiken verbunden und man ist geneigt, das zu tun, was der Zeitgeist uns anbietet. Das sind die Risiken. Doch es lohnt sich, sie auf sich zu nehmen.

Wenn man dieses Risiko einmal auf sich genommen hat, wird man davon gestärkt. Beim nächsten Mal zögert man viel weniger. So ist es bei den Christen, die verfolgt werden. Im entgegengesetzten Fall wird man immer ungehorsamer. Es sei denn, das Gewissen lässt einen nicht in Ruhe und man bittet Gott um Vergebung. Zu sündigen oder ungehorsam zu sein ist keine Ermutigung, aber als Christ sollte man sich bewusst sein, dass es Anfechtungen gibt und man auch mal fällt. Aber auch, dass Gott einen mit seiner Vergebung wieder auffängt, wenn man ihn aufrichtig darum bittet.

In den Augen der Welt ein „Verlierer“ – aber in den Augen Gottes ein Sieger

ERF: Gehorsam im Glauben ist riskant. Wie verändert es einen Menschen, wenn er zwar das Risiko eingeht und gehorcht, aber die Situation hinterher nicht versteht - bringt das nicht ein Riss in sein Gottvertrauen?

Pierre Tschanz: Ein sehr erfolgreicher christlicher Geschäftsmann sagte mir: „In manchen Geschäften bin ich sehr aufrichtig und ehrlich gewesen und trotzdem habe ich das Geschäft verloren.“ Es passiert immer wieder, dass man in den Augen der Welt „verliert“ – doch in den Augen Gottes ist man ein Sieger. Wenn man in seinem Herzen ehrlich ist, kann man nicht von Gott enttäuscht werden. Auch Christen, die verfolgt worden sind, verstehen oft eine Zeitlang nicht, warum ihnen bestimmte Dinge passiert sind. Aber schlussendlich gibt Gott immer eine Antwort. Es kann natürlich eine Zeit der Bitterkeit geben. Oft sind es Situationen, in denen man von Glaubensgeschwistern betrogen wurde, die man nicht versteht. So etwas hat sicher jeder einzelne Christ erlebt.

Meine persönliche Überzeugung bleibt: Gott ist uns immer treu. Männer Gottes wie der Prophet Habakuk oder Hiob haben Gott angeschrien – doch sie blieben ihm treu. Sie schrien Gott an, weil er für sie ein Vater war. Meinem Vater kann ich auch Sachen sagen, die ihm nicht unbedingt gefallen. Trotzdem muss ich vor meinem himmlischen Vater natürlich Ehrfurcht haben. Aber das eine schließt das andere nicht aus.
 

ERF: Christen, die in verfolgten oder bedrängten Ländern leben, gehen ganz andere Risiken ein als Christen, die in Europa leben. Oft bekommt man den Eindruck, dass sich das wirkliche Leben in anderen Ländern abspielt, die eigenen Ängste im Verhältnis dazu nur eine untergeordnete Rolle spielen. Müssen wir wegen unserer Angst ein schlechtes Gewissen haben?

Pierre Tschanz: Wir werden zwar in Europa nicht verfolgt, müssen aber trotzdem Gott gegenüber gehorsam sein. Wir leben in einer Welt voller Versuchungen und brauchen selbst als Christen in Europa den Mut, unseren Glauben zu bezeugen. Einen Mut, der uns nicht arrogant, sondern liebevoll macht. Ich bin zum Beispiel Mitglied der Landeskirche. Kürzlich wurde in der Synode die Frage diskutiert, ob homosexuelle Paare gesegnet werden könnten. Zusammen mit anderen Mitgliedern haben wir uns gegen diese Art von Verbindung gestellt.

Mit unserer Petition haben wir uns nicht gegen die Homosexuellen gerichtet. Aber wir sind der Meinung, dass eine Hochzeit laut der Bibel zwischen einem Mann und einer Frau stattfindet. Wir als Kirche sollten an diesem Punkt keinen falschen Eindruck vermitteln. Uns haben Leute gesagt: „Sie sind ganz schön mutig, dagegen zu gehen.“ Meines Erachtens brauche ich dafür nicht direkt Mut. Doch ein paar Tage vor dieser Veranstaltung habe ich am Ende eines Gottesdienstes eine Erklärung für diese Petition gegeben, dafür brauchte ich Mut. Denn ich dachte, es wird hier sicher Leute geben, die nicht einverstanden sind mit dem, was ich sagen werde.
 

ERF: Sie führen an einer Stelle im Buch aus, dass Ängste und Vorurteile je nach geistiger und psychischer Prägung aufgebaut werden können und unsere Wahrnehmung bestimmen. In den letzten Jahren wurde Europa immer wieder von Terror- und Krisennachrichten erschüttert. Sind das auch Ängste, die unsere Wahrnehmung bestimmen, weil wir in einer bestimmten Form geprägt werden?

Pierre Tschanz: Auf jeden Fall. Es ist wichtig, sich dessen bewusst zu werden: Bin ich nun von Ängsten beeinflusst oder nicht? Je mehr man sich dessen bewusst ist umso besser.

Ein anschauliches Beispiel dafür ist ein Vorfall vor wenigen Wochen: Ein koptischer Christ hat den Film „Die Unschuld der Muslime“ gedreht. Dieser Film hat Unruhen in der ganzen muslimischen Welt ausgelöst. Bei uns in der Schweiz habe ich dazu viele verurteilende Bemerkungen gegenüber dem Regisseur gehört. Dieser Mann hat sicherlich nicht richtig gehandelt.

Doch was mich immer wieder überraschte: Man hat sich mehr über diesen Mann geärgert als über die grausamen Taten von einigen Moslems, die sich zu brutalen Ausschreitungen haben hinreißen lassen. Das eigentliche Vergehen ist damit in den Hintergrund gerückt. Weil man weiß, dass diese Leute auch sehr gewalttätig werden können, schweigt man. Man hat nicht mehr den Mut, eine bestimmte Wahrheit auszusprechen. Wir stehen unter diesem Druck, der uns prägt.
 

ER Medien: Was können wir in Deutschland bzw. in Europa diesbezüglich von den verfolgten Christen lernen?

Pierre Tschanz: Die meisten der verfolgten Christen sind tief verwurzelt in der Bibel und beten viel. Nicht ohne Grund ist die Bibel in totalitären Staaten wie der Sowjetunion früher oder moslemischen Ländern heute ein verbotenes Buch. Wer die Bibel liest, bekommt ein Unterscheidungsvermögen und eine unabhängige Denkart. Je tiefer man in der Bibel verwurzelt ist, desto größer ist das eigene Unterscheidungsvermögen. Und umso klarer unterscheidet man zwischen dem Willen Gottes und dem Willen der Welt. Das ist die allerbeste Hilfe, um als Kind Gottes überhaupt standfest bleiben zu können.

Die Bibel ermutigt uns zu lieben. Vollkommene Liebe treibt die Furcht aus und lässt einen die Welt mit Gottes Augen betrachten. Ich sehe einen Terroristen nicht mehr als erstes als Terroristen, sondern als ein Geschöpf Gottes. Das ist der ganze Unterschied. Je mehr man liebt, umso weniger fürchtet man. Liebe gibt uns dieses Unterscheidungsvermögen. Denn echte Liebe macht nicht blind, sie macht uns Sachen bewusst.
 

ERF: Vielen Dank für das Gespräch!


Zur Person: Pierre Tschanz, ausgebildeter Schiffskapitän, fuhr 14 Jahre zur See und war anschließend in der Industrie tätig. Von 1982 bis zu seiner Pensionierung 2009 arbeitete er in leitender Funktion bei Open Doors. In diesem Zusammenhang war er sehr oft in unterschiedlichen Ländern unterwegs, in denen Christen verfolgt werden. Schwerpunkt seiner Arbeit waren Geschäftsführung von Open Doors Schweiz und Open Doors Deutschland. Heute lebt er mit seiner Frau in Lausanne / Schweiz und ist als Prediger und zu Einsätzen in islamischen Ländern unterwegs.

Ihr Kommentar

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Kommentare (4)

Brigitte /

Es ist ein sehr aufrüttelnder Artikel, wenn man ihn wirklich mit offenem Herzen liest, sieht man, wie wir Christen, wenn wir Christen sind, uns schämen müssen angesichts unserer Toleranz dem Zeitgeist gegenüber

Harry Puschel /

Lasst uns den nacheifern.

Ute /

Danke für diesen Artikel.Sehr mutmachend !
Sehen wir jeden Menschen als von Gott geliebt an,dann verliert sich unsere Angst und "alles soll uns zum Besten dienen",wie es im Römerbrief heisst.Gott mehr

Gertrud /

Einerseits ein beeindruckender Artikel! Mir fehlte an einer Stelle jedoch der Zusammenhang: Da wird völlig konfus und übergangslos von einem Film gesprochen, der angeblich die Unschuld der Muslime mehr

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