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© Brooke Cagle / unsplash.com

29.01.2020 / Serviceartikel / Lesezeit: ~ 7 min

Autor/-in: Micaela Kassen

Damit man wieder lachen kann

Was ich selbst gegen die Krankheit Depression unternehmen kann.

„Das Leben ist sinnlos“, „Ich bin wertlos“, „Ich will nicht mehr leben“ – solche Gedanken können Anzeichen einer Depression sein. Besonders, wenn sie über einen längeren Zeitraum auftreten. Eine Depression kann entweder körperlich bedingt sein, d.h. durch interne Stoffwechselstörungen erworben oder als Folge von persönlichen Erlebnissen entstehen, zum Beispiel den Tod eines geliebten Menschen oder einem dauerhaften Erschöpfungszustand.

Ganz unabhängig von der Ursache sind Depressionen eine schwere Erkrankung, die fast immer ärztlicher Unterstützung bedarf. Der Gang zum Hausarzt ist oftmals der erste wichtige Schritt auf dem Weg zur Heilung. Inzwischen gibt es viele Therapieformen und -ansätze, die Betroffenen helfen können, wieder gesund zu werden. Vielen Betroffenen hilft ein Mix aus medikamentöser Behandlung, Verhaltens-, Gesprächs- und Ergotherapie sowie Bewegungs- oder Kreativangeboten.
Allerdings können Betroffene auch selbst Einiges tun, um den Heilungsprozess zu fördern.
 

Hier kommen ein paar Tipps, was man selbst gegen Depression tun kann.

Sich selbst klar machen: Ich muss nicht depressiv bleiben

Wer unter Depressionen leidet, hat oft das Gefühl, der Krankheit nichts entgegensetzen zu können. Aber ich darf mir klar machen, dass ich nicht depressiv bleiben muss. Ich entschließe mich, der Krankheit den Kampf anzusagen: Dass ich alles tun werde, um meine Depression zu überwinden. Es lohnt sich zu leben. Ich will nicht aufgeben, auch wenn es sich manchmal so anfühlt. Ich kann mich fragen: Will ich, dass das Leben mich fertig macht oder werde ich das Leben verändern? Einen gewissen Stolz zu haben, ist vielleicht nicht fehl am Platz.

Einen Notfall-Plan entwickeln

Ein sehr belastendes Symptom von Depressionen können Todeswünsche oder sogar Selbstmordgedanken sein. Wenn ich mich tief in meiner negativen Gedankenspirale befinde und mit Selbstmordgedanken kämpfe, ist es hilfreich, wenn ich mir vorher überlegt habe, was ich im Notfall tun kann, um mir schnell Hilfe zu holen. Vielleicht gibt es einen Kumpel, der von meiner Krankheit weiß und den ich anrufen oder mit dem ich mich treffen kann? Wenn ich allein bin, kann es sein, dass es mir hilft, wenn ich mir ein Foto meiner Familie oder meiner Kinder ansehe, um mich aus einem negativen Gedankenstrudel zu ziehen.

Wenn ich spüre, dass die negativen Gedanken immer schlimmer werden, ist ein Anruf bei einer Notfallstelle eine gute Möglichkeit, Soforthilfe zu bekommen, zum Beispiel bei der Telefonseelsorge. Ich kann mir vorher diese Nummer im Handy einspeichern, damit ich in meiner Not schnell darauf zugreifen kann (https://www.telefonseelsorge.de).

Den Tag planen

Ein weiteres Symptom bei Depressionen ist ein starkes Erschöpfungsgefühl. Das führt oftmals dazu, dass Betroffene ihren Alltag vernachlässigen. Dagegen hilft es, dass ich den Tag im Kopf plane oder mir eine To-do-Liste mache. Ich sollte eine gewisse Alltagsstruktur haben und z.B. immer um die gleiche Uhrzeit aufstehen und essen. Dazwischen kann ich mir schöne Dinge einplanen, Sport oder einen Spaziergang zu machen. Die Routine kann davor bewahren, tiefer in die Depression zu fallen und mich unproduktiv zu fühlen. Ich finde es zum Beispiel hilfreich, wenn ich mir jeden Tag vornehme, das Haus zu verlassen und an die frische Luft zu gehen. Übrigens: Depressionen fühlen sich morgens in der Regel schlimmer an als am Nachmittag. Es kann also hilfreich sein, den Morgen etwas luftiger zu planen, damit man am Nachmittag noch Energie hat, etwas zu erreichen. 

Die Routine kann davor bewahren, tiefer in die Depression zu fallen und mich unproduktiv zu fühlen.

Ressourcen ausbauen

Eine der ersten Merkmale einer Depression ist, dass Betroffene die Dinge vernachlässigen, die ihnen eigentlich Freude machen, zum Beispiel Hobbys und Sport. Der Grund: Die inneren Kraftreserven sind aufgebraucht, selbst schöne Dinge fühlen sich auf einmal anstrengend an. Gleichzeitig sind es aber gerade diese Bereiche meines Lebens, aus denen ich Energie und Selbstwert schöpfe. Deswegen ist mein Tipp: Dinge, die mir Freude machen, bewusst weiterzutun, auch wenn ich mich müde oder lustlos fühle. Wenn ich z.B. Kunst mag, sollte ich dafür sorgen, dass ich regelmäßig Zeit habe, am Tag irgendwie kreativ zu werden. Das sollte für mich dann eine Priorität werden. Denn wenn die Dinge, die mir guttun, keine Prioritäten werden, wird es mir nicht besser gehen.

Mich informieren und Lügen entlarven

Ich sollte mir bewusst machen, welche Symptome typisch für eine Depression sind. Ich finde es wichtig zu lernen, eigene Gedanken von dem Gefühl zu unterscheiden, das von der Krankheit kommt. Hier kann die Unterstützung eines Therapeuten oder geschulten Seelsorgers sehr hilfreich sein. Es hilft manchmal auch laut „Stopp“ zu sagen, wenn ich den Eindruck habe, dass falsche Gedanken mich einnehmen wollen. Oft schafft man es nicht sofort, Lügen zu entlarven. Mir hat es geholfen, zuerst meine Ressourcen etwas auszubauen, um klarer sehen zu können.

Erkennen: Jetzt bin ich wichtig

Depression ist eine Krankheit! Und genauso wie bei anderen Erkrankungen muss ich mir selbst Raum und Zeit geben, gesund zu werden. Es ist überlebenswichtig, dass ich mich um mich selbst sorge! Wenn ich mich in einem depressiven Zustand befinde, ist es nicht egoistisch, wenn ich meine Gesundheit als Priorität sehe und anderen Menschen nicht unterstützen kann, wenn sie meine Hilfe haben wollen. Es ist nicht egoistisch, auch wenn mein „Nein“ auf Unverständnis trifft.

Ich persönlich habe oft gedacht: „Ich möchte anderen helfen, denn es geht ihnen noch schlechter als mir oder sie schaffen es nicht ohne Unterstützung“. Für mich war es gut, wenn ich Menschen, die mich um Hilfe gebeten haben, gezeigt habe, wo sie andere Hilfe finden oder was sie selbst tun können. In manchen Fällen habe ich versucht, andere Menschen zu organisieren, die meine Aufgabe übernehmen konnten. Wenn ich mich ausgelaugt fühle, darf ich sagen: „Ich habe keine Zeit“. Langfristig bringt es schließlich weder mir noch meinen Freunden etwas, wenn ich depressiv bleibe.

Es ist überlebenswichtig, dass ich mich um mich selbst sorge! Wenn ich mich in einem depressiven Zustand befinde, ist es nicht egoistisch, wenn ich meine Gesundheit als Priorität sehe.

Raum zur Trauer und Klage finden

Wenn ich einen nahestehenden Menschen verloren habe, meinen Beruf nicht mehr ausüben kann, plötzlich gesundheitlich eingeschränkt bin oder andere Verluste erlitten habe, brauche ich einen Raum zur Trauer und zur Klage. Ohne einen solchen Raum gibt es keinen Raum für Heilung. Der Mangel ist da und er muss beklagt werden. Das ist ein Schritt, der sich nicht überspringen lässt. Es ist wichtig, dass ich einen Ort finde, an dem ich mir alles von der Seele reden kann und wo ich nicht das Gefühl bekomme, dass meine Verluste mit Lappalien verglichen werden.

Hilfe am richtigen Ort suchen

Es kommt oft vor, dass Betroffene, die nach Hilfe suchen, auf Menschen stoßen, die ihnen eher schaden als weiterhelfen. Im Kirchenumfeld haben Betroffene zum Beispiel erlebt, dass Autoritätspersonen, an die sie sich gewandt haben, die Depression mit Rebellion oder falschen Verhaltensweisen verwechselten. In extremen Fällen kann dies zu geistlichem Missbrauch führen, wenn plötzlich nicht mehr die Depression, sondern die eigene Person als Problem angesehen wird.1

Es kann auch sein, dass man an ungeschulte Seelsorger gerät, die die Tragweite des Problems nicht erkennen. Sie stellen eine Gefahr dar, auch wenn sie die besten Absichten haben. Manche Menschen sehen Depression immer noch als eine Krankheit an, die man selbst zu verschulden hat oder sogar Sünde sein soll.2

Manchmal können Kirchenmitglieder, wenn sie mit Verachtung reagieren, sogar der Auslöser dafür sein, dass Menschen noch den letzten Mut verlieren und ihre Selbstmordgedanken verwirklichen.3 Ein verantwortungsbewusster ehrenamtlicher Seelsorger wird Menschen mit einer depressiven Erkrankung ermutigen, sich fachliche Hilfe zu holen und nicht versuchen, die Krankheit selbst zu „therapieren“.

Mir die Frage stellen: Bin ich froh, ich zu sein?

„Willst du überhaupt gerne die Person sein, die du wärst, wenn du manche Dinge nicht erlebt hättest?“ – das hat eine Freundin mich neulich einmal gefragt, als ich angefangen habe, mich wieder an meinen Schwachpunkten zu vergleichen. Manchmal denke ich, dass ich einige Probleme heute nicht hätte, wenn so manches anders abgelaufen wäre. Ich hätte wahrscheinlich weniger Stresshormone im Blut und nicht so viele Sachen, die mir jetzt Schmerzen bereiten.

Je länger ich jedoch über die Frage nachdenke, komme ich zu dem Schluss, dass ich nicht anders würde sein wollen. Denn in all den negativen Erlebnissen kann ich auch etwas Positives herausziehen, weil es meine Persönlichkeit geformt und mich Durchhaltevermögen gelehrt hat. Bin ich froh, ich zu sein? – diese Frage beantworte ich mit einem klaren „Ja“.

Fazit: Depressionen sind heilbar

Zum Glück wurde in den letzten Jahren in den Medien immer offener über psychische Erkrankungen berichtet. Depressionen sind nicht mehr das Tabu, dass sie vor einem Jahrzehnt noch waren. Inzwischen weiß man, dass Depressionen eine körperliche Komponente aufweisen und zum Beispiel durchaus auch erblich begünstigt sein können. Trotzdem schämen sich viele Betroffene immer noch, über ihre Probleme zu reden und suchen sich deswegen erst spät Hilfe.

Vor allem, da die Krankheit in der Regel schleichend beginnt und erst, wenn der Beruf oder persönliche Beziehungen darunter leiden, erkannt wird. Doch die gute Botschaft lautet: Depressionen sind in den allermeisten Fällen heilbar! Wie bei jeder ernsten Erkrankung kann der Heilungsweg mühsam sein und dauert in der Regel einige Monate, doch wer sich diese Zeit gibt und sich helfen lässt, kann wieder einen Neustart erleben. Und auch als Betroffener kann ich selbst einiges dafür tun, um mein Leben wieder freier gestalten zu können.
 

[1] David Johnson & Jeff Van Vonderen, Die zerstörende Kraft des geistlichen Missbrauchs, Hünfeld 2016, 25.

[2] Dieterich, Michael, Handbuch Psychologie & Seelsorge, 1989, 7.Aufl. Witten 2012, 198.

[3] Dieterich, Michael, Handbuch Psychologie & Seelsorge, 1989, 7. Aufl. Witten 2012, 205.
 

 Micaela Kassen

Micaela Kassen

  |  Freie Mitarbeiterin

Theologin, studiert derzeit Psychologie und ist auf Kinder- und Jugendpsychologie spezialisiert. Sie hat als Lerntherapeutin gearbeitet und ist aktuell als Sozialarbeiterin in einer intensiv-pädagogischen Einrichtung tätig. Redaktionell setzt sie ihre Schwerpunkte auf die psychische Gesundheit und Kindererziehung. 

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Kommentare (5)

C.D. /

Danke für die klaren Worte, die ich aus eigener Depression (seit Ende Januar 2023) bestätigen kann. Eine sehr komplexe Erkrankung. Schwierig zu verstehen, was in mir körperlich, seelisch, mental mehr

Magdalena /

Vielen Dank, Frau Kassen für diesen aufschlußreichen und wirklich sehr gut recherchierten Artikel! Da steckt aus meiner Sicht von Ihnen als Autorin viel Fleißarbeit darin! Ich habe den Artikel an mehr

gast /

danke [ich fuehle mich verstanden]

Gast /

Depressionen kenne ich auch.
Das Einzige was wirklich geholfen hat das waren die Worte von Jesus Christus.
Insbesondere das Johannes-Evangelium. Ich kanns nur weiterempfehlen.

FranzX /

Vielen Dank für diesen Artikel, liebe Micaela! Ich selber bin gerade dabei aus einer monatelangen schweren Depression herauszukommen und habe mich in meinem Weg und meinen Nöten wiedererkannt und mehr

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