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© Sarah Noltner / unsplash.de

04.12.2018 / Interview / Lesezeit: ~ 6 min

Autor/-in: Timo König

„Dankbarkeit ist messbar heilsam“

Wie sich mehr Lebenszufriedenheit trainieren lässt.

Thorsten Dietz (Foto: ev. Hochschule Tabor)
Thorsten Dietz (Foto: ev. Hochschule Tabor)

Mehr Gelassenheit im Alltag, weniger Sorgen und Stress  - das wünschen sich viele. Dabei lässt es sich mit relativ wenig Aufwand trainieren, sagt Thorsten Dietz, Professor für systematische Theologie an der Evangelischen Hochschule Tabor. Mit Kollegen seiner Hochschule und in Kooperation mit der Universität Lüneburg hat er eine App entwickelt, die Dankbarkeit trainiert. Mit verblüffenden Ergebissen.

 

ERF: Herr Prof. Dietz, gibt es heute schon etwas, wofür Sie dankbar sind?

Prof. Dietz: Ich war heute Morgen dankbar dafür, dass ich Zeit habe, ein bisschen zu lesen und zu studieren. Die letzten Wochen waren sehr voll, aber heute habe ich keine großen Außentermine. Das genieße ich sehr und bin dankbar dafür.
 

ERF: Sie beschäftigen sich viel mit dem Thema Dankbarkeit. Wie ist dieses Thema in Ihrem Leben auf die Agenda gekommen?

Prof. Dietz: Es gibt zwei Spuren. Die eine ist die des Glaubens. Dankbarkeit ist ein wertvoller Teil meiner Gottesbeziehung.

Dann gibt es in den letzten fünf Jahren auch eine wissenschaftliche Spur. Dankbarkeit ist immer mehr ein Forschungsthema geworden. Ich arbeite beim Marburger Institut für Religion und Psychotherapie der Evangelischen Hochschule Tabor. Wir haben zum Beispiel eine Dankbarkeits-App entwickelt, um durch empirische Studien herauszufinden, wie Dankbarkeit auf Menschen wirkt, welche guten Erfahrungen sie damit machen und welche Probleme es geben kann.
 

ERF: Wie ist die Idee für die Dankbarkeits-App entstanden?

Prof. Dietz: Beim Thema psychische Gesundheit geht man klassischerweise auf schwierige, problematische Dinge ein: Ängste, Sorgen, Wut, Probleme. Es gibt aber einen neuen Ansatz in der Psychotherapie, in dem versucht wird, sogenannte Ressourcen zu stärken. Also etwas, das Menschen stärkt, das sie schützt und ihrer psychischen Gesundheit gut tut. Da kam die Frage auf, inwiefern religiöse Verhaltensweisen eine Ressource sind. Die Idee mit der App ist in Zusammenarbeit mit der Universität Lüneburg entstanden. Da haben wir ein Dankbarkeitsprogramm mitentwickelt und mitausgewertet und beschäftigen uns insofern seit Jahren damit.
 

ERF: Wie funktioniert dieses Dankbarkeitsprogramm?

Prof. Dietz: Im Moment ist es in der Forschungsphase und es können nur Menschen mitmachen, die eine Form von psychischer Beschwerde haben: Grübeln, Sorgen, leichte Depressionen oder ähnliches. Wie das bei empirischen Studien immer so ist, gibt es eine Kontrollgruppe, die sich in einer Warteschleife befindet und nichts macht.

Eine Schlüsselübung der App ist, dass die Teilnehmer morgens und abends durch einen Klingelton dazu ermutigt werden, sich einige Minuten Zeit zu nehmen, bewusst Dinge zu sammeln, für die sie dankbar sind. Im Laufe des Tages können sie bei Gelegenheit Fotos machen. Zum Beispiel von der Kaffeetasse, wenn sie die Mittagspause genießen, Fotos von der Novembersonne, die noch ein bisschen wärmt oder von einer Spiellandschaft mit den eigenen Kindern. Am Abend — das ist der wichtigste Zeitraum — haben sie dann mehrere Minuten, in denen sie diese Fotos sehen und bewusst dankend noch einmal durch den Tag gehen können.
 

ERF: Welche Ergebnisse haben Ihre Tests erzielt?

Prof. Dietz: Die Ergebnisse sind positiv und erfreulich. Es gibt eine deutliche Reduktion von Sorgen und Grübeln und auch eine substantielle Reduktion von depressiven Beschwerden. Und es gibt eine deutliche Zunahme von psychischer Widerstandsfähigkeit gegen Alltagsfrustration aller Art. Das Erfreulichste für uns ist, dass es sich nicht nur um kurzfristige Effekte handelt, die auftreten, solange die Probanden in die Übung integriert sind. Die Effekte waren auch drei bis sechs Monate nach Trainingsende noch stabil. Das heißt, das Training hat dazu beigetragen, dass die Menschen grundsätzlich eine Ausrichtung auf Dankbarkeit in ihren Alltag und in ihr Denken übernommen haben. Das erweist sich als bleibend hilfreich für ihre Lebenszufriedenheit.
 

ERF: Wie erklären Sie das? Warum wirkt Dankbarkeit?

Prof. Dietz: Es hat schlicht mit Fokus zu tun. Wir haben die natürliche Eigenschaft, uns auf schlechte Nachrichten, Probleme und Krisen zu fokussieren. Wenn man zu viel Input hat, zu viel Information durch die Medien zum Beispiel, türmt sich das ganze Negative im Bewusstsein auf und zieht insgesamt die Stimmung nach unten. Unsere Dankbarkeits-App leitet dazu an, den Fokus auf das zu richten, was Menschen schnell übersehen. Eben Angenehmes, Positives, Wertvolles. Wer sich darauf fokussiert und wer das genießt und nachwirken lässt, der gewinnt damit insgesamt größere Zufriedenheit.

Im Grunde ist das etwas, was auch Glaube mit Menschen macht. Wer sich auf Gott ausrichtet und dankbar ist für gute Dinge, der richtet sich auf positive Dinge im seinem Leben aus und arbeitet so ein bisschen gegen den Trend, immer nur das Negative zu sehen. Das ist heilsam. Unsere App macht daraus im Grunde ein psychotherapeutisches Tool. Man kann das als Christ machen und Gott danken. Aber auch auf Menschen ganz ohne Glaube oder Religion hat es positive Effekte, wenn sie Dankbarkeit einüben.

Wer sich auf Gott ausrichtet und dankbar ist für gute Dinge, der richtet sich auf positive Dinge im seinem Leben aus und arbeitet so ein bisschen gegen den Trend, immer nur das Negative zu sehen. Das ist heilsam. – Prof. Thorsten Dietz

ERF: Und wie kann ich mir diesen Effekt zunutze machen? Ihre App kann ja nicht jeder benutzen.

Prof. Dietz: Es gibt natürlich Ideen, die App irgendwann, wenn die ganzen Studien durch sind, allgemein verfügbar zu machen. Darüber reden wir schon seit Jahren, das kann noch dauern. Das hat immer auch mit dem nötigen Geld zu tun.

Aber es gibt ja die Möglichkeit, seinen Alltag mit Ritualen zu versehen. Morgens und abends eine bewusste Zeit zu nehmen und dankbar zu sein, ist eine hilfreiche Sache. Manchmal gibt es unter Christen die Verkürzung darauf, in der persönlichen Zeit mit Gott nur Sorgen und Probleme zu wälzen. Das fällt einem leichter, denn das fällt einem so schnell ein. Aber die Psalmen sind zum Beispiel eine Sprachschule der Dankbarkeit und der Ausrichtung auf Gott. Das ist heilsam, sogar messbar heilsam. Die Erfahrung vieler gläubiger Menschen bestätigt dies.
 

ERF: Wie kann ich das trainieren?

Prof. Dietz: Das ist eine Schwierigkeit. Unsere App ist natürlich auch deswegen so erfolgreich, weil sie eine gewisse soziale Kontrolle mit sich bringt. Es gibt für die Teilnehmer Kontaktmöglichkeiten, sie werden zum Beispiel regelmäßig befragt. Im Alltag besteht die Schwierigkeit darin, diese Regelmäßigkeit zu implementieren. Da ist guter Rat teuer. Da kann eine Gemeinde helfen oder eine Gruppe von Menschen, die das gleiche Anliegen haben.

Aber es ist natürlich eine Lebenstechnik, Dinge, die wertvoll sind, zur Regel zu machen. Wir haben beobachtet, dass die Effekte sich noch verstärken, wenn man das mit anderen zusammen macht. So etwas wirkt nochmal exponentiell stärker, als wenn man einfach versucht, eine Minute lang dankbare Ideen zu haben. Wenn also die Möglichkeit besteht, zum Beispiel im Hauskreis Dankbarkeit auszutauschen nach dem Motto „Lasst uns alle eine Minute erzählen, wofür wir dankbar sind“, dann ist das eine super Sache.
 

ERF: Sie haben aufgezeigt, wie der Glaube dabei hilft, dankbar zu sein. Sie sagen aber, Dankbarkeit können genauso gut auch Menschen einüben, die nicht an Gott glauben. Welchen Unterschied macht es denn dann, ob ich einfach so dankbar bin oder meinen Dank an ein persönliches Gegenüber, an Gott richte?

Prof. Dietz: Die Frage ist schwieriger als man meint. Unser Ergebnis ist nämlich nicht, dass das bei Gläubigen viel besser funktioniert. Es gibt sogar bei bestimmten Gläubigen schwierigere Befunde. Für Menschen, die ein sehr forderndes Gottesbild haben, sind die Dankbarkeitsübungen schlecht. Sie helfen ihnen nicht, weil diese Menschen im Grunde glauben, dass Gott nichts umsonst gib. Insofern hat danken auch viel mit Theologie zu tun, mit dem Gottesbild. Ein forderndes Gottesbild macht solche Übungen kaputt, weil damit der Druck wächst, Gott wieder etwas geben zu müssen. Das ist dann ein Dauerdruck, weil es nie genug ist und man glaubt, eigentlich Strafe zu verdienen.
 

ERF: Welche Art von Glaube hilft?

Prof. Dietz: Als Christ würde ich sagen: Der Glaube an die bedingungslose Liebe Gottes. Also die lutherische oder reformatorische Rechtfertigungslehre, dass Gott bedingungslos schenkt. Dass er uns aus lauter Güte und Barmherzigkeit Leben und alle Güter und Gaben gibt, ohne irgendwelche Gegengaben zu erwarten. Nach der christlichen Botschaft ist überhaupt erst derjenige in der Lage, Gutes zu tun, der Gott aus reinem Herzen dankbar dafür ist, dass er bedingungslos liebt.

Nach der christlichen Botschaft ist überhaupt erst derjenige in der Lage, Gutes zu tun, der Gott aus reinem Herzen dankbar dafür ist, dass er bedingungslos liebt. – Prof. Thorsten Dietz

Ein forderndes Gottesbild ist ganz schlicht schädlich. Ein Glaube, der an Jesus Maß nimmt, am Evangelium von Jesus Christus, ist hingegen etwas Befreiendes und Heilsames.

ERF: Vielen Dank für das Gespräch.

 Timo König

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