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© Toa Heftiba / unsplash.com

09.04.2014 / Interview / Lesezeit: ~ 6 min

Autor/-in: Rebecca Schneebeli

Das Umfeld allein macht nicht unglücklich

Wieso Lebensumbrüche manchmal Angst machen. Supervisorin Kerstin Hack im Interview.

Veränderungen und Umbrüche gehören zum Leben dazu. Oft handelt es sich um positive Veränderungen: ein neuer Job, die Geburt eines Kindes oder ein Umzug. Dennoch fallen Lebensveränderungen nicht leicht. Wieso das so ist und wie man Umbrüche positiv gestalten kann, erklärt Autorin und Supervisorin Kerstin Hack im Interview mit ERF.

 

ERF: Im Leben stehen immer wieder Umbrüche an: ein Umzug, die Geburt eines Kindes oder eine neue Beziehung. Meistens freut man sich auf die Veränderung, doch oft kommen auch Ängste auf. Woher kommen diese?

Kerstin Hack: Die Ängste kommen psychologisch gesehen daher, dass man immer in der Spannung lebt zwischen Neues erfahren, lernen wollen und Sicherheit. In dieser Spannung befinden wir uns ein Leben lang und je größer die Veränderung ist, umso größer sind auch das Angstpotenzial und der Wunsch die Sicherheit zu bewahren.
 

ERF: Wie kann man solchen Ängsten denn begegnen?

Kerstin Hack: Zuerst ist es hilfreich, Ängsten ins Auge zu schauen. Es ist wichtig sich einzugestehen: „Das sind neue Umstände, vor denen ich Angst habe.“ Zweitens bringt jede Veränderung immer auch ein Stück Trauer mit sich, weil man Dinge loslassen muss. Man kann zum Beispiel nicht mehr mit der Freundin Tennis spielen, wenn man 100 Kilometer entfernt wohnt. Ich halte es bei Veränderungen für hilfreich, das ganz bewusst zu betrauern. Ich persönlich frage mich dann: „Was muss ich aufgeben?“ und bespreche das ganz bewusst mit Gott im Gebet.
 

ERF: Nun freut man sich ja normalerweise auf neue Lebensabschnitte. Wenn ein Ehepaar zum Beispiel lange auf ein Kind gewartet hat, ist es ein Grund zur Freude, wenn sich das langersehnte Kind ankündigt. Wieso fällt diese Veränderung trotzdem schwer?

Kerstin Hack: Es gibt keine Sache, die nur positive Seiten hat. Jede Veränderung hat immer auch einen Preis. Es ist natürlich traumhaft, wenn man ein Kind bekommt, auf das man sich lange gefreut hat. Doch es heißt auch: Man muss die ungestörte Nachtruhe und gemütliche Kuschelmorgende aufgeben.

So schön das ist, es bedeutet anderes loszulassen. Auch diesen Aspekt gilt es zu berücksichtigen, sonst ist man irgendwann unzufrieden und denkt, der Grund dafür wäre das Neue. Dabei ist es nur noch ein Stück Trauer über das Alte, was nicht mehr ist.

Die Route wird neu berechnet

ERF: Oft muss man im Vorfeld einer Veränderung viele Entscheidungen treffen. Aber Menschen fällt es oft schwer, Entscheidungen tatsächlich zu treffen, auch wenn man schon lange darauf hingelebt hat.

Kerstin Hack: Entscheidungen sind harte Arbeit für das Gehirn, denn man scannt bei einer Entscheidung sozusagen sein ganzes Gehirn ab, um die bestmögliche zu treffen. Das ist schlicht und ergreifend ein sehr anstrengender Prozess. Man kann sich selbst aber helfen, indem man Pros und Kontras aufschreibt und diese gewichtet. Wenn man überlegt, ein neues Haus zu kaufen, hilft es nicht nur zu sagen: „Ich will ein Haus mit Garten, das ruhig gelegen ist“, sondern man sollte sich auch fragen: „Was ist mir wichtiger – der Garten oder die Ruhe?“
 

ERF: Sie sprachen eben von der bestmöglichen Entscheidung. Gibt es die überhaupt?

Kerstin Hack: Es gibt immer eine Entscheidung, die relativ gut ist, und oft ist es besser, eine Entscheidung zu treffen, die man hinterher noch mal revidieren kann, als jahrelang einfach nicht zu entscheiden. Das gilt gerade für Leute, die perfektionistisch veranlagt sind und sich immer fragen: „Gibt es noch was Besseres?“
 

ERF: Das ist oft auch ein Problem, das Christen haben. Man weiß zwar: Gott lenkt den eigenen Lebensweg und man müsste sich eigentlich keine Sorgen machen, aber oft tun gerade sie sich schwer aus Angst, eine Entscheidung zu treffen, die Gott nicht genehm ist. Wie kann ich Gott in meine Planungen miteinbeziehen?

Kerstin Hack: Zunächst einmal ist Angst nicht von Gott. Ich glaube, dass Gott zutiefst gut ist und es ganz wichtig ist, sich in dieser Güte Gottes zu verankern. Es ist nicht so schlimm, wenn man eine falsche Entscheidung trifft, diese aber nach bestem Wissen und Gewissen. Gott ist in unserem Leben wie ein Navi. Wenn wir uns verfahren, sagt er: „Wenn möglich, bitte wenden“ und erinnert uns mehrfach daran. Falls wir das nicht hinkriegen, sagt er: „Die Route wird neu berechnet“.

Es gibt natürlich schwerwiegende Entscheidungen und eine falsche Entscheidung kostet Zeit, Energie und Geld. Aber die meisten Entscheidungen kann man in irgendeiner Weise wieder korrigieren. Es kann auch sehr entspannen, wenn man sich fragt: „Was ist das Schlimmste, was mir passieren kann?“ Denn in der Regel kann man auch das Schlimmste bewältigen.

Veränderungen machen die Seele müde

ERF: Nun ist man am neuen Wohnort angekommen oder das Kind ist endlich da – und plötzlich erinnert man sich wehmütig an die gute alte Zeit. Ist diese Reaktion ein Stück weit normal?

Kerstin Hack: Diese Reaktion habe ich vorhin als Trauer beschrieben. Man trauert um das Schöne, was man nicht mehr hat ‒ und das ist völlig normal! Problematisch ist, wenn man in dieser Phase in Selbstanklage und Selbstzweifel verfällt. Wenn man, statt dieses Gefühl als Trauer zu identifizieren, sagt: „Womöglich habe ich mich falsch entschieden.“

Die Umgewöhnung an eine neue Situation kann je nach Veränderung mehrere Monate bis ein Jahr dauern. Zuerst kommt die sogenannte Euphoriephase: Man ist begeistert und findet alles toll. Danach kommt die Phase, die oft als Kulturschock bezeichnet wird. Doch eigentlich ist es eine Kulturmüdigkeit: Die Seele ist müde von den Anstrengungen, die das Neue mit sich bringt.

Vertrautes hat viel mit Entspannung zu tun. Wenn ich den kürzesten Weg zur Arbeit kenne, ist es leichter als alles neu entdecken zu müssen. In einem neuen Lebensabschnitt mit einer neuen Umgebung oder einem neuen Partner, sind tausend Dinge neu. Das ist einfach anstrengend.
 

ERF: Wie kann man aktiv Zwischenphasen zwischen Altem und Neuem nutzen, um das Alte loszulassen und sich mit dem Neuen vertraut zu machen?

Kerstin Hack: Eine gute Möglichkeit ist, die materiellen Veränderungen zu nutzen, um auch innere Prozesse zu gestalten. Bei jedem Umzug, jeder Partnerschaft und jedem Kind bedeutet es meistens, dass man Dinge ausräumen muss, um Platz für das Neue zu schaffen. Wenn man dann Bücherkisten durchgeht oder Möbel umräumt, kann man diese Zeiten bewusst nutzen, um auch die inneren Prozesse mitzugestalten. Das ist ein Stück des Lösungsprozesses.

Kreativ werden hilft gegen Unglücklich-Sein

ERF: Gerade für Paare und Familien bieten Umbrüche im Leben Konfliktpotenzial. Vielleicht ist der eine Partner mit der neuen Situation sehr glücklich, der andere aber nicht oder die Kinder wollen unbedingt an den alten Wohnort zurück. Was macht man, wenn der eine superglücklich mit der Entscheidung ist und der andere am liebsten zurück will?

Kerstin Hack: Wenn der Eine sagt „Ich möchte am liebsten wieder zurück“, steckt da ein Bedürfnis dahinter. Das kann zum Beispiel das Bedürfnis nach Vertrautheit oder Geborgenheit sein. Und dann gilt es zu überlegen: „Wie können die Bedürfnisse des anderen bestmöglich erfüllt werden?“

Denn es ist nie die Umgebung allein. Man macht oft das Glücklich- oder Unglücklich-sein am Umfeld fest. Und natürlich gibt es Orte, wo man sich wohler fühlt, aber ich glaube: Ein Mensch, der gelernt hat, gut auf seine Bedürfnisse zu achten, findet Wege, diese zu erfüllen. Ich kann Geborgenheit auf meinem Balkon finden, aber wenn ich keine Wohnung mit Balkon habe, kann ich kreativ werden und mir etwas anderes ausdenken. Hilfreich sind auch gemeinsame Rituale als Familie, denn Rituale vermitteln Geborgenheit.
 

ERF: Woher kommt es, dass Menschen oft ihr Lebensglück an solchen Äußerlichkeiten festmachen, zum Beispiel daran, ob ich den Bäcker persönlich kenne?

Kerstin Hack: Wir haben alle unsere Lieblingsstrategien zu entspannen. Ich habe zum Beispiel ein Fußmassagegerät und das schalte ich an, wenn ich entspannen will. Wenn das aber nicht da ist, muss ich mir etwas anderes einfallen lassen. Doch wir Menschen sind tendenziell faul. Wenn wir unsere Lieblingsstrategien nicht mehr erfüllen können, dann erlauben wir uns unglücklich zu sein anstatt kreativ zu werden. Aber Gott hat uns eine große Menge Kreativität gegeben. Die Bedürfnisse kann man nicht leugnen, aber man kann neue Wege finden, sie zu erfüllen!
 

ERF: Vielen Dank für das Interview.
 

 Rebecca Schneebeli

Rebecca Schneebeli

  |  Redakteurin

Sie schätzt an ihrem Job, mit verschiedenen Menschen und Themen in Kontakt zu kommen. Sie ist verheiratet und mag Krimis und englische Serien.

Ihr Kommentar

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Kommentare (6)

Susanne /

Vielen Dank für diesen sehr wertvollen Artikel. Mir gibt das sehr viel Kraft und Weg-Weisung. Einer der besten Artikel, welche ich bei erf bislang gelesen habe und ich lese hier viel. Lieber Gruß an die Autorin und die Leser.

Wolfgang K. /

Die Fragen und Antworten sind alle sehr relevant und treffen auch auf unsere Situation eines geplanten Umzugs voll zu.
Vielen Dank für das sehr hilfreiche und nachdeckenswerte Interview.

esther /

Ich stimme Chris zu.
Das Interview blieb recht oberflächlich.

Jutta /

Vielen Dank für die vielen Inspirationen, die dieses Gespräch uns Lesern gibt.

Chris /

Finde den Artikel zu banal gehalten, was die Beispiele anbelangt. Was ist mit den wirklichen Lebensümbrüche, wie z.B. Verlust eines geliebten Menschen, schwere Krankheit, Trennung, Scheidung, mehr

Anne /

Einige Gedanken finde ich in Ihrem Beitrag sehr gut! Allerdings finde ich bei dem letzten Aspekt, der Sehnsucht zum Beispiel nach dem alten Wohnort, in der gedanklichen Umsetzung nicht so gelungen. mehr

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