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© Gina Sanders / fotolia.de

02.09.2013 / Themenwoche: Leistungsdruck in Gemeinden / Lesezeit: ~ 7 min

Autor/-in: Nelli Bangert

Burnout? Nein danke!

Auch Gemeinden fördern Burnout. Trotz Präventionsmaßnahmen Gottes.

Ich habe keine Puste mehr. Das sagt jemand, der sich nach einem 100-Meter-Lauf zum Ausruhen auf die Wiese setzt. Diesen Satz sagen aber auch Menschen, deren Leben gerade aus dem Ruder läuft. Sie versuchen, ihre Aufgaben eifrig zu erfüllen und haben das Gefühl, dass von ihnen weit mehr gefordert wird, als sie leisten können. Häufig fehlt ihnen die Balance zwischen Arbeit und Entspannung. In vielen Fällen führt dies zu einer Erschöpfungsdepression, auch Burnout genannt. Die WHO prognostiziert, dass bereits 2015 die Anzahl der Erkrankungen an Burn-Out vor der Anzahl der Krebserkrankungen stehen wird.

Gemeinden fördern Burnout

Auch Mitarbeiter in Gemeinden, sowohl Hauptamtliche als auch Ehrenamtliche, erleben in ihrem Dienst, dass sie innerlich ermüden. Eine gewisse Zeit haben sie sich in viele Bereiche leidenschaftlich investiert, ohne dass es sie spürbar viel Kraft kostete. Möglichkeiten dazu gibt es unüberschaubar viele: Seelsorge, Musik, Jugendliche, Kinder, Diakonie, Hauskreise usw.

Bloß: Wer nicht bewusst auf seinen persönlichen Energiehaushalt achtet, befindet sich schnell in einem ungesunden Strudel, der einen immer mehr vereinnahmt und auf Dauer zermürbt. Die Überanstrengung geht nicht unbemerkt an dem Körper vorbei und er reagiert auf die Überlastung. Der Gemeinde- und Krankenhauspfarrer Andreas Heyl fasst die Folgen von Überforderung in seinem „Anti-Burnout-Buch“ zusammen: „Eine tragende Säule des inneren Menschen nach der anderen bricht weg: Konzentrationsfähigkeit und Durchsetzungsvermögen, Empfindungsfähigkeit und Mitgefühl, Fantasie und Kreativität, Schaffenslust und Lebensfreude und vor allem das Selbstwertgefühl.“

Außerdem sinke die Arbeitsmoral rapide und die ursprüngliche Leidenschaft für die Aufgabe löse sich auf. In der Arbeit mit Menschen wachse die Abneigung gegenüber den Menschen, mit denen man in der Arbeit oder im Ehrenamt zu tun hat. Zum Beispiel hat ein Jugendreferent plötzlich keine Muße mehr, sich mit den Problemen seiner Kleingruppe zu konfrontieren und zieht sich innerlich von den Jugendlichen zurück.

Gottes Vorsorgemaßnahmen

Der Burnout ist unaufhaltbar, so scheint es. Doch Gott hat vorgesorgt, schließlich gibt es gegen Burnout drei zentrale Aussagen im christlichen Glauben. Wenn Menschen diese verinnerlichen würden, wäre bereits viel gewonnen, sagt Heyl. Dabei spricht er auch von dem Sabbatgebot in der Bibel. „Nicht ohne Grund hat Gott den Menschen befohlen, einen Tag in der Woche freizuhalten.“

Heyl stellt fest, dass gerade Pfarrer gerne Dinge auf den freien Tag schieben, die im Laufe der Woche liegen geblieben sind. Doch wenn sie auf Erholung verzichten, würden sie allmählich zu Gefangenen ihrer Arbeit und ihrer Gemeinde: „Wer sich nicht regelmäßig Zeit zum Aufatmen und Atemholen nimmt, wird zunehmend gehetzt und atemlos.“

Das Gebot der Nächstenliebe fordert zur Liebe dem anderen gegenüber auf - aber auch sich selbst gegenüber. Es gilt, die gesunde Balance zwischen diesen beiden Polen zu entwickeln. Andreas Heyl gibt den Ratschlag: „Man müsste erst einmal ganz stark das Gewicht auf die Selbstachtung legen, weil es völlig verkümmert ist bei vielen von uns. Man müsste lernen, sich mit all den Schwächen selbst anzunehmen. Und sich selbst lieben.“ Dabei gehe es nicht um narzisstische Selbstverliebtheit, aber um Selbstachtung.

Die reformatorische Grunderkenntnis Martin Luthers, dass der Mensch aus Gnade gerettet ist und nicht aufgrund von seinen Werken, ist die dritte Präventionsmaßnahme Gottes, glaubt Heyl: „Die Pfarrer würden frei werden, weil sie aus ihrem Leistungsdruck rauskämen.“ Pfarrer würden immer von der Rechtfertigung der Sünde ohne Werke predigen, sich aber ganz anders benehmen. „Was diese Geschichte wirklich aufhorchen ließe, wäre eine Kirche, die gegen den Strom schwimmt, die verkündet und dafür einsteht, dass das Leben aus mehr als Arbeit besteht, die den Sabbat heiligt und der man etwas abspürt von der Freiheit, die uns von Gott angeboten wird.“

Nur Theorie von der Kanzel?

Doch die besten Vorsorgemaßnahmen Gottes bringen niemand etwas und schützen nicht vor Überforderung, solange sie bloße Theorie von der Kanzel bleiben. Wenn sie nicht umgesetzt werden, geraten Menschen durch ungesunden Leistungsdruck in Gemeinden und Kirchen in Erschöpfung und Überarbeitung. Besonders bei vollzeitigen Mitarbeitern sieht Heyl folgende Gründe für ein Burnout: „Meist sind sie tendenziell eher hochidealistische Personen, die Dinge in der Gemeinde und dadurch auch in der Gesellschaft bewegen wollen. Dieser hohe Selbstanspruch treibt sie an, ihre Arbeit möglichst perfekt zu machen.

Da ihre Arbeit von Menschen gesehen und auch bewertet werden kann, wollen sie es möglichst jedem Recht machen, um keine negative Kritik einstecken zu müssen. Das kann dazu führen, dass sie bei fehlender inneren Stärke zu einem Spielball von unterschiedlichen Menschen und Arbeitsbereichen der Gemeinde werden. Dabei verlieren sie sich schnell selbst.

„Doch auch der fehlende Ausgleich an schönen Dingen, bei denen jemand selbst auftankt“, so Heyl, „kann zu einem Burnout beitragen“. Es benötige Ehrlichkeit und Selbstkritik, um auf negative innere Antreiber zu stoßen, die solange von innen heraus arbeiten, bis sie einen Namen bekommen und beseitigt werden. „Das können Leitsätze sein, wie: Ich brauche mehr Anerkennung. Ich darf keinen Fehler machen.“

Die Gesellschaft forciere so stark die Schönen und die Starken, dass man sich unbewusst davon antreiben lasse. Heyl spricht davon, dass Jesus das absolute Gegenbild von der Leistungsgesellschaft bildet. Er stirbt am Kreuz als der Ohnmächtige und der Schwache. Ihn interessierten nicht in erster Linie die scheinbar erfolgreichen Menschen, sondern die Kranken und die Schwachen der Gesellschaft.

Wenn jemand sich ernsthaft mit seinen persönlichen Antreibern konfrontieren will, ist ein Beratungsgespräch mit einem Psychologen oder einer Psychologin ratsam, so Andreas Heyl. „Oft kann man sich nicht alleine aus dem Sumpf ziehen. Besser wäre es, wenn man sich für zwei oder drei Stunden fachliche Hilfe sucht, um mit dieser auf die inneren Stressfaktoren zu schauen und ihnen einen Namen zu geben.“ Er glaubt, „wenn der Antreiber keinen Namen hat, dann saugt er mir Energie ab. Häufig sind es Leitsätze aus der Kindheit, die wir von unseren Eltern oder engen Angehörigen aufgenommen haben.“

Andreas von Heyl ist erfahrener Gemeinde- und Krankenhauspfarrer. Er ist heute Privatdozent für Praktische Theologie an der Augustana-Hochschule Neuendettelsau sowie Leiter der "Fortbildung in den ersten Amtsjahren" in der Evangl.-luth. Kirche in Bayern. Er ist Autor des Buches "Das Anti-Burnout-Buch für Pfarrerinnen und Pfarrer" (Bild: privat)

Wo sind die Energiefresser?

Esther Kuhn-Luz, Wirtschafts- und Sozialpfarrerin aus Stuttgart, vergleicht gerne das Energie-Reservoir eines Menschen mit einem Energietopf. In ihrem Online Artikel Entspannen – trotz Stress schreibt sie: „Für viele ist es sehr hilfreich, auf ein Blatt Papier einen Topf zu malen – als Bild für unseren Energiespeicher, unseren Energietopf. Dann schreiben Sie auf die eine Seite, was Ihnen Energie nimmt. Im nächsten Schritt schreiben Sie auf die andere Seite, woher Sie selbst Energie bekommen.

Die meisten wissen sofort, wo Ihre Energiefresser sind.“ Die Balance zwischen Energiefressern und Energiespendern sei wichtig, um Leistung zu bringen. Einen guten Weg finde dabei derjenige, der selbstkritisch sei und ungesunde Denkstrukturen bei sich erkenne. Doch das ist leichter gesagt, als getan. Die Broschüre „Stay wild statt burn out“ möchte helfen, persönliche Energiefresser zu entlarven. Dabei gibt sie praktische Tipps:

  • Ein geregelter Tagesablauf mit festen Essenszeiten und ausreichendem Schlaf sorgt dafür, dass jemand einen gesunden Lebens-Rhythmus hat.
  • Zum Leben gehören eindeutig auch Freunde. Der Austausch mit ihnen erfrischt das Leben und lenkt den Blick weg von der eigenen kleinen Welt.
  • Spannung ist gut, Entspannung ist wichtig. Ein Tag in der Woche sollte möglichst frei sein von Verpflichtungen. An diesem Tag sollte das getan werden können, worauf man selbst Lust hat.
  • Gerade bei einem Bürojob ist Bewegung äußerst wichtig. Einfach mal raus an die frische Luft und eine halbe Stunde joggen. Das kann schon dafür sorgen, dass man seinen Frust loswird.
  • Negative Gedanken können einem ganz schön viel Kraft kosten. Es kann helfen, sich einige Minuten Zeit zu nehmen, um sich über eigene Gedanken klar zu werden und diese loszulassen.
     

„Ich bin vergänglich.“

Die gesunde Beziehung zu Gott ist notwendig, um sich nicht zu überfordern. Dabei sei vor allem die Meditation wertvoll, meint Andreas Heyl. Unter Meditation versteht er das stille Hinsetzen, um einige Minuten auf den Atem zu achten. Mit dem Atem der Seele könne man einen Gebetsruf hin und her gehen lassen. In dieser Zeit könne man auch in der Bibel lesen oder ein Bild betrachten. Es sei gerade als Pfarrer wichtig, immer wieder in der Verbindung mit Gott Kraft zu schöpfen, um für seine Aufgaben gestärkt zu sein.

Neben den praktischen Hilfen, wie Menschen sich vor Überforderung schützen können, stellt Andreas Heyl fest: „Es ist eine tiefe Glaubensangelegenheit, vor Gott anzunehmen, dass ich vergänglich und schwach bin, alles was ich tue, bruchstückhaft ist und darüber nicht zu verzweifeln, sondern zu vertrauen, dass Gott mich trotzdem annimmt.“

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Kommentare (1)

Angelika D. /

Danke für diesen Beitrag. Auch ich habe "viele Kühe zu melken" und bin immer bemüht, allem und allen gerecht zu werden. Und trotzdem bleibt so manches (auch unbeabsichtigt) auf der Strecke und ein mehr

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