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© SCM Hänssler

25.07.2013 / Buchrezension / Lesezeit: ~ 4 min

Autor/-in: Rebecca Schneebeli

Eigentlich kerngesund

Urteil: Lebenslänglich! So empfinden viele chronisch kranke Menschen ihre Situation. Andrea Schneider macht in ihrem Buch Mut, mit Hindernissen leben zu lernen.

Krank sein macht keinen Spaß. Jeder ist froh, wenn er gesund ist. Schließlich leben wir in einer Gesellschaft, in der Gesundheit einen hohen Stellenwert hat. Schon seit Jahren boomen Bücher darüber, wie man sich gesund ernährt, körperlich fit hält und diversen Krankheiten vorbeugt. Das Buch „eigentlich kerngesund: mit Hindernissen mutig leben“ von Andrea Schneider durchbricht diesen Trend. Denn in diesem Buch geht es nicht darum, wie man gesund wird oder bleibt, sondern wie man trotz Krankheit ein erfülltes Leben führen kann.

Was ist eigentlich Gesundheit?

Andrea Schneider, frühere Sprecherin bei „Wort zum Sonntag“, leidet seit 2002 an Multipler Sklerose und hat in einem kleinen Büchlein ihre Erfahrungen mit der Krankheit aufgeschrieben. Gleich zu Beginn stellt Schneider in Frage, ob es Gesundheit im umfassenden Sinne wirklich gibt. Schließlich könne ein Mensch, der körperlich vollkommen gesund sei, seelisch krank sein.

Sie plädiert dafür, Gesundheit nicht allein von der körperlichen Konstitution eines Menschen abhängig zu machen, sondern davon, ob er in dem Rahmen seiner Möglichkeiten ein zufriedenes und sinnvolles Leben führen kann. Wenn man diesen Gesundheitsbegriff dem eigenen Leben zugrunde legt, kann auch ein Leben mit Einschränkungen als wertvoll und erfüllend erlebt werden.

Ungeschönte Ehrlichkeit mit einem Schuss Humor

Schneider weiß aus eigener Erfahrung, dass nicht nur die Krankheit an sich ein Problem für einen chronisch kranken Menschen darstellt, sondern vor allem der Umgang mit ihr. Im Verlauf des Buches buchstabiert Schneider für ihre eigene Situation vor, wie man die eigene Krankheit zu akzeptieren lernt. Dabei verschweigt sie auch nicht die Punkte, an denen sie immer noch verzweifelt.

Ganz ehrlich gesteht sie ein: „Es gibt Tage, da will ich einfach nicht mehr immer ‚die MS-Kranke‘ sein. Und auch nicht die, ‚die ja so bewundernswert gut und tapfer klarkommt mit ihrer Erkrankung‘. Nein, da wünsche ich mir nichts mehr als ganz schlicht ‚nichts Besonderes‘ zu sein.“ Diese ungeschönte Ehrlichkeit macht ihr Buch lesenswert. Man spürt, dass hier jemand spricht, der wirklich erlebt hat, wovon er berichtet.

Schneiders Ton ist ehrlich, aber auch ermutigend. Wenn sie von den Schwierigkeiten erzählt, mit einem Rollstuhl zu verreisen, wirkt das sogar leicht humorvoll, auch wenn dadurch offenbar wird, wie wenig behindertenfreundlich unsere Gesellschaft ist. Doch die Autorin erzählt davon ohne verbittert dabei zu erscheinen. In ihrem fröhlichen Erzählton spiegelt sich wider, dass sie sich mit dem Leben als MS-Kranke abgefunden hat.

Krankheit verändert Leben

Auch wenn Andrea Schneider ihr Buch vor allem auf eigenen Erfahrungen aufbaut, lässt sie immer wieder Begegnungen mit anderen Menschen einfließen. Sie erzählt davon, wie sie die Gelassenheit ihres Vaters geprägt hat oder wie bewundernswert sie es fand, dass eine blinde Frau zu einem ihrer Moderationsseminare kam und dort sogar am Public Viewing teilnahm. Auch die Bibel lässt Schneider zu Wort kommen, um aufzuzeigen, dass auch chronische Krankheiten kein Grund zum Verzweifeln sind. Man spürt ihr ab, dass ihr Glaube für sie ein wichtiger Bezugspunkt ist, um sich mit ihrer Krankheit abzufinden.

Dennoch – so gesteht Schneider – haben Krankheiten eine zerstörerische Macht. Sie verschwinden oft auch nach der Heilung noch nicht, sondern man trägt als Betroffener „die Krankheit unsichtbar mit sich herum – auch in der eigenen Erinnerung.“ Daher versteht die Autorin Krankheiten nicht als Summe verschiedener körperlicher Symptome, die es zu beheben gilt. Krankheit verändert immer den ganzen Menschen und das ganze Leben.

Heilung in und trotz Krankheit

Gerade deshalb macht Schneider Mut, an Heilung zu glauben – und zwar an Heilung, die trotz und in der Krankheitssituation entsteht. Denn Heilung ist für sie mehr ein Prozess des innerlichen „Heil-Werdens“. Als Christin ist sie überzeugt, dass dieses „Heil-Werden“ durch den Glauben geschehen kann. Um dies deutlich zu machen, greift sie auf Psalm 23 zurück: „Ja, da ist die feindliche Krankheit mit ihrer Macht. Brutal. Zerstörerisch. Beängstigend. Aber diese Macht ist doch begrenzt. Denn vor mir und im Angesicht dieses Feindes, mitten in meinem begrenzten Leben, in Schrecken, Leiden und Todesangst – da deckt mir der gute Hirte einen Tisch. Mit Lebensfülle.“

Und dort, wo Krankheit im Leben nicht zu besiegen ist, wo Einschränkungen immer bestehen bleiben, macht Schneider Hoffnung auf den Himmel. Ihre Hoffnung ist dabei nicht weltabgewandt. Vielmehr macht Schneider Mut, das Leben trotz Krankheit zu bejahen. Aber sie weiß sich darin geborgen, dass ihre Krankheit einmal ein Ende haben wird. Diese Perspektive kann auch Betroffenen helfen, tapfer das eigene Leben in allen Beschränkungen anzunehmen und anzupacken.

Fazit

Dieses Buch macht Mut. Es ist persönlich und konkret, aber kein Rundumratgeber zum Umgang mit Krankheiten. Zwar gibt Schneider auch konkrete Tipps wie „Sieh die Situation realistisch“, aber diese stehen im Hintergrund gegenüber ihrem persönlichen Erleben. Genau diese persönliche Form macht „eigentlich kerngesund“ authentisch und spricht in die Situation anderer Betroffener.

Egal ob man selbst chronisch krank ist oder die Erkrankung von Bekannten oder Familie mitträgt, dieses Buch ist Mutmacher, Trostspender und Antreiber in einem. Es zeigt: Krankheit gehört zum Leben dazu. Krankheit verändert und beeinträchtigt Leben. Aber auch Leben mit Krankheit ist möglich und lebenswert. Schneider macht in Ansätzen deutlich, wie das gelingen kann. Den eigenen Weg muss aber jeder Betroffene selbst finden.

 Rebecca Schneebeli

Rebecca Schneebeli

  |  Redakteurin

Sie schätzt an ihrem Job, mit verschiedenen Menschen und Themen in Kontakt zu kommen. Sie ist verheiratet und mag Krimis und englische Serien.

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Kommentare (1)

Ingrid T. /

Dieser Text spricht mir aus der Seele. Ich habe die Diagnose MS 2007 erhalten. Gerade weil ich Christin bin, kann ich gut damit leben. Trotz der ganzen Einschränkungen. Liebe Grüsse

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