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© Mads Schmidt Rasmussen / unsplash.com

29.07.2016 / Interview / Lesezeit: ~ 6 min

Autor/-in: Ute Heuser-Ludwig

Wie wäre Jesus heute?

Diese Frage hat sich Susanne Niemeyer in ihrem Roman „Große Freiheit“ gestellt.

Wie wäre Jesus wohl, wenn er heute leben würde? Was würde er tun? Wie würden die Menschen ihm begegnen? Diese Fragen haben sich Susanne Niemeyer und Matthias Lemme für ihren Jesusroman „Große Freiheit – Die Geschichte eines Wasserwandlers“ gestellt. Im Interview berichtet Susanne Niemeyer, was ihr bei diesem Gemeinschaftsprojekt wichtig war und wie sie selbst Jesus durch das Schreiben näher gekommen ist.
 

ERF: Frau Niemeyer, Sie verlegen das, was die Bibel von Jesus erzählt, nach Hamburg und in unsere Zeit. Ist Ihnen das leicht gefallen? Hatten Sie gleich Ideen dazu?

Susanne Niemeyer (Foto: adeo)
Susanne Niemeyer (Foto: adeo)

Susanne Niemeyer: Ich fand es am Anfang schwierig, mir vorzustellen, was Jesus in unserer Zeit tun würde. Als erstes habe ich gedacht: Er würde wahrscheinlich in alle Gesellschaftsschichten gehen. Weil in der Bibel ist es ja auch so. Er hat keine Gesellschaftsschicht ausgeschlossen. Tendenziell habe ich angenommen, dass er eher zu denen gehen würde, die weniger gut bemittelt sind, also in die Randbezirke, in die Randgruppen, da wo andere vielleicht nicht so gerne hingehen. Gleichzeitig habe ich aber auch gedacht: Er soll auch da sein, wo ich bin. Also mitten in meinem Leben.
 

ERF: Gab es eine Art inhaltliches Gerüst für Ihr Buch? Oder ist das Buch im Prozess entstanden?

Susanne Niemeyer: Wir hatten am Anfang ein ganz klares Gerüst, weil wir uns an der Bibel orientieren wollten. Wir wollten die Geschichten nicht völlig neu erfinden. Wir wollten nicht so einen Jesus bauen, wie er uns am besten gefällt. Sondern wir haben gedacht: Wir nehmen ein biblisches Evangelium. Wir haben das Markusevangelium genommen, weil das am schnörkellosesten ist. Daran hangeln wir uns entlang. Im Laufe des Schreibens haben wir gemerkt: Das Markusevangelium ist uns noch zu wenig, weil da einfach bestimmte Geschichten fehlen, die uns wichtig waren. So haben wir auch noch auf die anderen Evangelien geguckt.

Und genau das war das Spannende, uns zu überlegen, diese Geschichten, die da erzählt werden: Wie würden die heute passieren? Also wenn von Wundergeschichten die Rede ist. Wie sieht das heute aus? Oder ich erinnere mich an die Geschichte von der Dämonenaustreibung. Wie funktioniert das in unserer Gesellschaft? „Dämonen in Schweine“ ist ja irgendwie ein altes Bild. Und das war spannend und auch nicht ganz anspruchslos, das zu überlegen.

Jesus – ganz normal und doch besonders

ERF: Sie haben das Buch zusammen mit Matthias Lemme geschrieben. Einem Pfarrer und Autor, mit dem Sie befreundet sind. Sie haben auch zwei Hauptfiguren gewählt: eine weibliche und eine männlich. Das kann man bei zwei Autoren gut verteilen. Aber war das wirklich so einfach, dass sich das später zu einem Ganzen zusammengefügt hat?

Susanne Niemeyer: Wir haben am Anfang gedacht, dass wir eine Geschichte schreiben wollen, die auch von uns handelt. Also unsere Frage war schon: Was hat Jesus mit unserem Leben zu tun? Hat das überhaupt einen Zusammenhang? Am Anfang war uns Jesus relativ fern als Person. Da gibt es diese Geschichten. Die sind immer ein bisschen Besserwisser-Geschichten. Es sind Geschichten in einer völlig anderen Zeit.

Wir haben versucht, diese Geschichten ins Heute zu übertragen und uns zu fragen: Was haben die eigentlich mit uns zu tun, mit unserem Leben? Insofern ist die Sophie schon ein bisschen mein Alter Ego und der Alex ist sozusagen Matthias. Aber nicht eins zu eins. Wir haben die Geschichten schon weiterentwickelt und eigenständige Personen daraus gemacht. Aber insofern war es relativ einfach, weil wir in die beiden Figuren unsere eigenen Fragen legen konnten.
 

ERF: Ich finde es stark, dass Jesus im Buch als Normalo rüberkommt. Er spült. Er verteilt Bouletten. Er singt Cat Steven Songs. Das bringt ihn mir sehr nah. Aber Jesus ist ja auch etwas Besonderes. Wie würden Sie dieses Besondere beschreiben?

Susanne Niemeyer: Ich würde zum einen sagen, dass er sich zeigt. Also er zeigt seine Gefühle. Er zeigt, dass er ganz nah bei Gott steht. Und er schämt sich nicht dafür. Er ist in seiner Person so ganz. Das ist das eine. Zum anderen würde ich sagen: Besonders an ihm ist sein großes Vertrauen. Das kommt besonders im zweiten Teil des Buches raus, in dem Jesus sich in einem Flüchtlingsheim engagiert. Da hat er einfach ganz großes Vertrauen, dass das gut werden wird. Zum Beispiel, dass man mit den Flüchtlingen zusammen beten kann. Jedenfalls mit denen, die das möchten. Und dass es egal ist, welcher Religion sie angehören. Da ist er fast ein bisschen kindlich naiv. Ich glaube, das ist das ganz Besondere an ihm.

Die Person Jesus in das Leben der Leser holen

ERF: Es hat eine Release-Party gegeben, als das Buch erschienen ist. Wie waren die ersten Reaktionen des Publikums?

Susanne Niemeyer: Wir hatten eine tolle erste Lesung mit 90 Gästen, einem Akkordeon und unseren Geschichten. Die Reaktionen waren überwältigend, weil tatsächlich viele Leute auf uns zugekommen sind und gesagt haben, dass sie berührt wären von diesem Jesus, dass er ihnen auf einmal viel näher gekommen sei und dass sie das Gefühl hatten: Das sind tatsächlich Geschichten, die mit ihrem eigenen Leben zu tun haben. Insofern war die Resonanz großartig. Mittlerweile gibt es auch ein paar Bewertungen auf Amazon. Und die sind tatsächlich auch eher positiv.
 

ERF: Haben Sie beim Schreiben an bestimmte Leser gedacht, zum Beispiel an solche, die sich in der Kirche auskennen? Oder an andere, die der Titel neugierig macht?

Susanne Niemeyer: Wir haben tatsächlich an beide Gruppen gedacht. Einmal die Kirchenleute. Weil wir angenommen haben, dass es vielleicht mehreren Leuten wie uns geht, dass sie vertraut mit Jesus sind. Aber dass es keine Person ist, die so richtig viel mit ihrem eigenen Leben zu tun hat. Aber wir haben auch an die anderen Leute gedacht. In meinem Freundeskreis gibt es viele nichtkirchliche Menschen, die hatte ich auch immer vor Augen: Was würden die wohl denken? Was wäre das für ein Jesu für sie? Ich habe eine Rückmeldung von einem Freund, der tatsächlich mit Kirche nicht viel zu tun hat, der fand das Buch total spannend. Also einfach einen Zugang zu Jesus zu haben, die Geschichten zu lesen. Er war sogar neugierig auf die Originalgeschichten, also die biblischen, nachdem er das Buch gelesen hat.

Mein persönliches Jesusbild hat sich verändert

ERF: Was denken Sie, wie müsste eine Kirche heute sein, damit Jesus sich darin wohlfühlt oder als Teil davon wohlfühlen würde?

Susanne Niemeyer: Ich gebe zu, dass die Kirchengemeinden in unserem Buch nicht so super gut wegkommen, weil wir als Vorbild Jesu Auseinandersetzung mit den Pharisäern und mit den Menschen im Tempel und den ganzen Strenggläubigen hatten,. Das haben wir versucht zu übertragen, weil wir glauben, dass es das in der Kirche heute auch gibt. Insofern kommen die Kirchengemeinden ambivalent weg. Es gibt aber auch positive Erlebnisse. Und ich glaube oder ich könnte mir vorstellen, dass Jesus sich in Kirchengemeinden wohlfühlt, die tatsächlich lebendig sind. Die sich etwas trauen. Die tatsächlich glauben und das auch leben. Die singen und Spaß haben. Ich sage mal fromm: Die ihn aufnehmen.
 

ERF: Hat sich ihr eigenes Bild von Gott oder Jesus durch das Schreiben verändert? Haben Sie noch mal etwas Neues entdeckt?

Susanne Niemeyer: Ja, mein Jesusbild hat sich tatsächlich sehr verändert. Weil Jesus mir auf einmal ganz nah gekommen ist. Das Schreiben war total faszinierend. Es ging meinem Schreib-Kollegen Matthias auch so. Wir hatten das Gefühl, wir sind ganz nah an dieser Geschichte drin. Und als wir fertig waren, waren wir fast traurig, weil wir das wieder loslassen mussten und eigentlich dachten: Wir würden gerne als Teil dieser Geschichte, als Teil dieser Jesus-Crew weitergehen und weitermachen.
 

ERF: Sie haben eben gesagt: Wir waren an der Geschichte drin. Ein schöner Versprecher. Vielleicht ist das der Unterschied. Drin zu sein. Vielen Dank für das Gespräch.

 

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 Ute Heuser-Ludwig

Ute Heuser-Ludwig

  |  Moderatorin und Redakteurin
Die Schwerpunkte der Moderatorin und Redakteurin sind „Aufgeweckt“ und „Lesezeichen“. Die gelernte Kulturpädagogin ist verheiratet und hat zwei Kinder.

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