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© Gus Moretta / unsplash.com

03.12.2007 / Bibel / Lesezeit: ~ 10 min

Autor/-in: Tanja Omenzetter

...wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.

Vergebung ist ein Prozess, der mich und meine Beziehungen verändert.

 

Das Vaterunser
Vater unser im Himmel,
geheiligt werde dein Name,
Dein reich komme,
Dein Wille geschehe,
wie im Himmel, so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unser en Schuldigern.
Führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn Dein ist das Reich
Und die Kraft und die Herrlichkeit
In Ewigkeit, Amen.

„..wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“ – so betet die Ehefrau und spricht schon seit Tagen nicht mehr mit ihrem Mann, weil er sich nach dem letzten Streit nicht entschuldigt hat.

Wissen wir wirklich, was wir da beten?

Denken wir ernsthaft darüber nach oder bewegen sich unsere Lippen automatisch, weil wir den Text noch von früher auswendig können? Vergebung – was ist das eigentlich Bloß religiöses Geschwätz, oder steckt doch mehr dahinter?

Vergebung begegnet uns in der Bibel im Zusammenhang mit Sünden. Der griechische Begriff bedeutet im Wesentlichen „die Schuld von jemanden wegnehmen“ und „ihn von der Macht / der Last der Sünde zu befreien“. Sünden – das sind nicht nur schlimme Dinge wie Diebstahl, Mord oder Ehebruch. Sünde fängt bereits im Kopf und in Gedanken an; hat seine Wurzel in Wünschen, in Worten. Sünde ist nicht nur alles, was gegen Gottes Willen und Maßstäbe verstößt. Sie verhindert die Gemeinschaft mit Gott und bringt letztendlich den Tod (Vgl. Jakobus 1,15). Sünde ist immer Schuld gegenüber Gott als Person, auch wenn sie gegen den Nächsten gerichtet ist.

Sünden – das sind nicht nur schlimme Dinge wie Diebstahl, Mord oder Ehebruch. Sünde fängt bereits im Kopf und in Gedanken an; hat seine Wurzel in Wünschen, in Worten.

Schuldig vor Gott sind alle Menschen (Römer 3,23)! Egal, ob wir uns schuldig fühlen oder nicht – wir sind es! Gott hasst Sünde. Für jede Einzelne von ihnen sind wir des Todes schuldig (von Gott getrennt zu sein bedeutet für Gott „tot“). Diese Schuld muss getilgt, das heißt, bezahlt werden. Entweder wir bezahlen selbst oder wir brauchen jemanden, der die Schuld von uns wegnimmt. Dieser Jemand ist Gott selbst (2. Mose 32,7 und 9).

Gott vergibt uns unsere Sünden durch Jesus Christus. Schon im Alten Testament galt: Ohne Blutvergießen keine Vergebung (Hebräer 9,22). Zur damaligen Zeit mussten Tier-Opfer für begangene Sünden erbracht werden. Zur Zeit des Neuen Testaments war Jesus das ein- für allemal erbrachte Opfer Gottes für alle unsere Sünden.

Wenn ich Jesus also um Vergebung bitte, kann ich frei werden von meiner Sünde und Schuld.

Heute muss ich also entweder für meine Schuld bezahlen und bin auf ewig von Gott getrennt. Oder ich glaube daran, dass Jesus für mich am Kreuz zur Vergebung meiner Sünden starb. Wenn ich Jesus also um Vergebung bitte, kann ich frei werden von meiner Sünde und Schuld.

Vergebung ist wichtig, weil sie Wille und Ziel Gottes ist. Eine Umkehr zu Gott führt schließlich zur Sündenvergebung (Lukas 24,47). Diese Umkehr ist ein Denken, das sich immer wieder an den Ordnungen und Zielen Gottes orientiert und zur Lebenseinstellung wird.

 


Der Diplompsychologe Joachim Kix schreibt in seinem Buch „Versöhnung beginnt mit mir":

„Umkehr bedeutet, nicht länger den bisherigen Weg zu gehen, der eben nicht zur Versöhnung mit Gott und zur Erlassung unserer Schuld führt. [...] Zu Gott kommen heißt auch, ihn als Herrn über mein Leben anzuerkennen und mich ihm unterzuordnen. Wir wollen meist selbst die Dinge »im Griff« behalten. Das ist ein Grund, warum Gnade von Gott anzunehmen so schwer fallen kann: Sie demütigt, zerstört die stolze Unabhängigkeit und zwingt uns, den Griff zu öffnen und loszulassen. Wenn wir aber Jesus alles zutrauen, alles Bedrückende auf ihn werfen und dafür die Vergebung im Glauben annehmen, werden unsere Gedanken und Herzen frei. Frei für den Frieden, der der echten Vergebung folgt, der das gejagte Herz zur Ruhe kommen und »leicht« werden lässt. Manchmal braucht das Zeit.“



Ohne Vergebung sind keine tiefen Beziehungen möglich. Durch Vergebung werden Konflikte bereinigt und aus der Welt geschafft. Dies gilt auch für Konflikte mit Gott. Kix schreibt: „Wir sind nicht immer im Reinen mit Gott, immer neue Fehlhaltungen stehen zwischen uns und ihm. Wiederum gibt es nur eine Möglichkeit, das Trennende aus dem Weg zu räumen: Gottes Vergebung. Durch sie kann ich Gott erneut nahekommen und in direktem Kontakt mit ihm bleiben.“

Wir sind also täglich neu auf Gottes Vergebung angewiesen, denn „auch die Wiedergeborenen sündigen noch in ihrem zeitlichen Leben bis zur Vollendung und bleiben auf das Bekenntnis und Vergebung ihrer Sünden angewiesen.“

Wenn wir Gott nicht um Vergebung bitten, leiden wir. Ebenso, wenn wir Vergebung nicht weitergeben. Unsere Gedanken drehen sich um nichts anderes und vergiften unser Leben. Damit nehmen wir uns viel von der Freude, die Gott uns schenken möchte.

Nicht vergebene Schuld kann sogar krank machen. Der israelische König David beschreibt dies eindrücklich: „Herr, erst wollte ich meine Schuld verschweigen, doch davon wurde ich so krank, dass ich von früh bis spät nur stöhnen konnte. Ich spürte deine Hand bei Tag und Nacht, sie drückte mich zu Boden, ließ meine Lebenskraft entschwinden wie in der schlimmsten Sommerdürre.“ Dann entschloss David sich, seine Verfehlungen zu bekennen - und Gott vergab ihm alles!

Wir müssen uns mit unserer Schuld auseinandersetzen. Nur wenn wir sie eingestehen und unseren Teil der Verantwortung übernehmen, können wir frei davon werden. Voraussetzung ist dabei ein Umdenken, ein Umkehren von unseren falschen Wegen und ein Hinwenden zu Gott. Diese Bekehrung ist notwendig, damit Gott vergeben kann (Jeremia 36,3). Ebenso ist es wichtig, Schuld und Sünde Gott zu bekennen (1. Johannes 1,9).

Dadurch, dass Gott mir vergeben hat, habe ich eine Grundlage, anderen zu vergeben und selbst andere um Vergebung zu bitten.

„Indem die Vergebung der Sünden verkündigt wird, soll das ein- für allemal geschehene Versöhnungswerk für jeden einzelnen zu einer befreienden Erfahrung werden. Von dieser Erfahrung ausgehend soll Vergebung dann auch in den zwischenmenschlichen Beziehungen praktiziert werden. Wem seine Sünden vergeben wurden, der ist befähigt und verpflichtet, auch anderen zu vergeben.“ (Elberfelder Studienbibel)

Jesus sagt dazu: „Wenn ihr den andern vergebt, was sie euch angetan haben, dann wird euer Vater im Himmel euch auch vergeben. Wenn ihr aber den andern nicht vergebt, dann wird euer Vater euch eure Verfehlungen auch nicht vergeben.“ (Matthäus 6, 14-15).
 

„Wenn dein Bruder ein Unrecht begangen hat, dann stell ihn zur Rede, und wenn er es bereut, dann verzeih ihm." Lukas 17,3 – harte Worte. Aber eindeutig: Zusätzlich zu all meinen Verletzungen soll ich auch noch den ersten Schritt auf meinen Peiniger zumachen! Wie soll das gehen? Natürlich ist es leicht, über Vergebung zu reden, wenn man selbst noch nie etwas Schwerwiegendes zu vergeben hatte. Was ist mit der Ehefrau, die von ihrem Mann betrogen wurde? Mit der Frau, die als Kind missbraucht wurde? Andreas Malessa und Ulrich Giesekus schreiben in ihrem Buch Vergeben kann man nicht müssen“:
„Für mich ist [die von ihrem Vater missbrauchte und schwangere Frau] ein Beispiel, dass man von niemanden verlangen kann, er »müsse« vergeben. Ich persönlich weiß auch nicht, ob Gott dies von ihr verlangt.“

Haben die Autoren recht? Verlangt Gott wirklich keine Vergebung von uns? Oder hängt Vergebung von der Schwere der Schuld ab? Hierzu passt eine wahre Begebenheit aus den USA. Ein Mörder, der viele Frauen umgebracht hatte, wurde zum Tode verurteilt. Vor seiner Hinrichtung nahm er Jesu Tod am Kreuz für seine Sünden an. Gott hat ihm vergeben. Aber was ist mit den Opfern? Die vielleicht selbst für sich nie Gottes Vergebung in Anspruch genommen haben und nun auf ewig von Gott getrennt sind? Was ist mit den Angehörigen, den Ehemännern, Eltern, Kindern? Müssen sie vergeben? Nach den eben zitierten Bibelstellen ja. Dies klingt für uns nach einer zum Himmel schreienden Ungerechtigkeit. Aber Gott hat vergeben.
„Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken“, sagt Gott in Jesaja 55,8. Stimmt. Wer bin ich denn, dass ich dem nicht vergeben will, dem Gott bereits vergeben hat! Gottes Gerechtigkeit ist Maßstab, nicht meiner! Trotzdem, Vergeben ist nicht einfach, auch wenn es Gottes Wille ist!

Erwin Lutzer schreibt in „Jeder versagt mal":
„Jedem, der Gottes Gnade empfangen hat, sollte es ein tiefes Anliegen sein, sich mit den Menschen zu versöhnen, denen er Unrecht getan hat. Das Streben nach Versöhnung gehört zum Wesen Gottes, und wer mit ihm versöhnt worden ist, muss die Versöhnung mit seinen Mitmenschen suchen.“

Vergebung hat Versöhnung zum Ziel. Versöhnung ist die nach außen hin sichtbare Wiederherstellung einer Beziehung. Sie kann nur von beiden Seiten her geschehen. Kix schreibt dazu: „Zu vergeben beinhaltet, mich dem anderen wieder neu zuzuwenden, wieder in ihn und möglichst wieder auch in die Beziehung mit ihm zu investieren. Erst dann habe ich im Sinne Gottes vergeben, wenn meine Vergebung Versöhnung zum Ziel hat.“

Vergebung hat Versöhnung zum Ziel. Versöhnung ist die nach außen hin sichtbare Wiederherstellung einer Beziehung. Sie kann nur von beiden Seiten her geschehen.

Haben wir Menschen verletzt, sollen wir zum ersten Schritt bereit sein. Unabhängig davon, wie groß unser Schuldanteil ist. Unabhängig davon, wie der andere reagiert. Wir sollten in jedem Fall um Vergebung bitten. Wenn er selbst dennoch nicht zur Vergebung und Versöhnung bereit ist, haben wir unser Möglichstes getan. Alles Weitere liegt bei Gott. Wenn andere uns verletzt haben, sollen wir nicht erst auf ein Geständnis warten. Auch da sollen wir zur Vergebung bereit sein.

Noch einmal Lutzer:
„Sie und ich, wir sollten jedem Menschen, den wir kennen, frei in die Augen schauen können, in dem Wissen, dass wir alles in unserer Macht Stehende getan haben, um mit ihm versöhnt zu sein. Der Christ, dem es mit seinem Glauben ganz ernst ist, weiß, dass er keine ungebrochene Gemeinschaft mit Gott haben kann, wenn er nicht alles getan hat, um ungebrochene Gemeinschaft mit seinem Nächsten zu haben.“

Provozierend aber wahr. Gott möchte, dass wir uns mit unseren »Schuldigern«, wie den »Gläubigern« aussöhnen. Natürlich wird es dabei Dinge geben, bei denen Vergebung schwer fällt. Manches mag nie wieder so werden, wie es war. Der Ehefrau wird es schwer fallen, ihrem Mann nach einem Seitensprung wieder zu vertrauen. Die Eltern, die ihr Kind bei einem Unfall verloren haben, werden lange nicht über Vergebung nachdenken können. Trotzdem möchte Gott, dass wir die Vergebung und Barmherzigkeit, die wir durch ihn erfahren haben, an andere weitergeben.

Jakobus 2,13 besagt:
„Wer selbst kein Erbarmen gehabt hat, über den wird auch Gott erbarmungslos Gericht halten. Wenn aber jemand barmherzig war, dann gilt: Das Erbarmen triumphiert über das Gericht.“
Und der Theologe Helmut Thielicke fügt in seinem Buch „Das Bilderbuch Gottes. Reden über die Gleichnisse Gottes" erklärend hinzu:

Eine Vergebung, die sich selbst nicht weitergibt, ist [Gott] ein Greuel. Er nimmt sie zurück.  Helmut Thielicke

Wenn wir also selbst nicht vergeben wollen, missbrauchen wir Gottes Gabe an uns (vgl. das Gleichnis vom unbarmherzigen Schuldner in Matthäus 18, 23-35).

Selbst Vergebung von Gott bekommen zu haben, ist die Grundlage um selbst vergeben zu können. Diese Vergebung soll von Herzen kommen, die nur durch ein von Gott verändertes Wesen geschieht. Dies äußert sich darin, dass ich mir Vergebung nicht mühsam abringen muss, sondern eine grundsätzliche Haltung der Vergebungsbereitschaft habe. Diese veränderte Haltung bekommen wir, wenn ich selbst Gottes Vergebung erfahren habe und seine Maßstäbe zu meinen geworden sind.
 

Menschen praktisch vergeben?
1. Der Wille zur und die Entscheidung für die Wahrheit. Dazu gehört eine ehrliche Bestandsaufnahme der Situation, so wie ich sie empfinde.
2. Das Abrechnen: Ich benenne die Schuld des Täters, so wie ich sie erlebe und versuche mit Gottes Hilfe das eigentlich Geschehene zu ergründen. Wie sieht die Sache vor Gott aus? Was hat wer falsch gemacht? Hier kommen normalerweise Gefühle wie Trauer, Wut, Scham, Angst etc. hoch.
3. Erbarmen: Ich erfahre Gottes Liebe und Nähe als Trost. Die Barmherzigkeit, die ich von Gott durch die Vergebung meiner Schuld erfahren habe, kann ich dem anderen weitergeben. Ich bin vor Gott genauso schuldig wie der andere auch.
4. Freigeben: Ich lasse meine Vorstellungen über den anderen los und gestehe ihm zu, dass Gott ihn verändern kann.
5. Schulderlass: Ich erlasse ihm seine Schuld, so wie Gott es mit mir tut. Eine objektive Sicht vom anderen wird möglich. Nun sind Schritte in Richtung Versöhnung möglich.
Auszüge aus Versöhnung beginnt mit mir von Joachim Kix

Vergebung ist ein Prozess, der mich und meine Beziehungen verändert. Es ist auch keine einmalige Sache. Es ist mehr als eine bewusste Entscheidung. Sie betrifft nicht nur unseren Willen, sondern auch unser Denken, Fühlen und Handeln. Viele Überlegungen spielen dabei eine Rolle, wie zum Beispiel die Schwere der Schuld, Reue, absichtliche Vergehen oder Häufigkeit des erlittenen Unrechts. Das alles macht Vergeben so unglaublich schwierig.

Vergeben heißt auch: Nicht zurückschlagen oder verdrängen. Wenn ich das an mir begangene Unrecht erkenne und in Worte fasse, kann ich mich meinen Gefühlen stellen. Ich darf Trauer und Wut zulassen, sie im Gebet Jesus sagen und überlassen. Das macht mich frei, anderen zu vergeben.

Ich darf Trauer und Wut zulassen, sie im Gebet Jesus sagen und überlassen. Das macht mich frei, anderen zu vergeben.

Wenn ich alles in mich reinfresse, die Schuld anderer minimiere oder mir gar in der Rolle als Opfer gefalle, mache ich mich abhängig von meinen Gedanken und entferne mich von Gott. Nicht ich bin es, der über Recht und Unrecht entscheidet, sondern Gott. Wenn ich nicht vergeben will, erhebe ich mich zum Richter und mache meine eigene Gerechtigkeit zum allein gültigen Maßstab. Damit stelle ich mich über Gott.

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