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06.09.2019 / 7 Wunder / Lesezeit: ~ 6 min

Autor/-in: Katrin Faludi

Was soll das für ein Wunder sein?

Wenn Wunder nicht das sind, was wir erwarten.

Sind Sie schon mal mit dem Bus nach Irland gefahren? Ich rate Ihnen dringend: Tun Sie es nicht. 36 Stunden lang mit mehreren Dutzend transpirierenden Teenagern in einem überladenen Reisebus zu kuscheln ist kein Erlebnis, das man sich später auf den Grabstein meißeln lassen möchte. Als wir nach dem Steißbeinmarathon endlich unser Freizeitheim in der westirischen Kleinstadt Tralee erreicht hatten, waren wir alle ziemlich am Ende. Aber wir mussten ja noch den ganzen Krempel aus dem Bus ausladen: Gepäck, Freizeitmaterial und natürlich die Kartons mit den Lebensmittelvorräten. Dabei stellte unsere Küchenchefin fest: Oh Schreck! Wir hatten die Kiste mit der Butter vergessen! Womit sollten wir nun morgens unsere Brötchen schmieren? Wie die maulenden Minderjährigen besänftigen?

Mit sorgenvoller Miene räumten die Küchenmitarbeiterinnen die übrigen Vorräte ein. Dabei entdeckten sie einen Karton, der vergessen unter dem Küchentisch stand. Sie öffneten den Deckel – und staunten: Der Karton war bis oben hin gefüllt mit Butterpäckchen! Im Trubel des Aufbruchs hatte die Freizeitgruppe vor uns ihn offenbar vergessen. Damit war unser Frühstück gerettet! Rasant verbreitete sich die Kunde und die gesamte Freizeit feierte das „Butterwunder von Tralee“.

Müssen Wunder immer krass sein?

Aber darf man so etwas Profanes überhaupt als Wunder bezeichnen? Haben Wunder nicht eigentlich eine ganz andere Qualität? Sie sind etwas Göttliches, Unerklärliches, Ehrfurchtgebietendes! Dass wir auf der Freizeit unsere Nutella nun nicht auf nackte Brötchen, sondern auf eine zusätzliche geschmackstragende Fettschicht schmieren konnten, sorgte zwar für Freude, ließ uns aber auch nicht gerade vor Ehrfurcht zergehen. Mit Wunder verbinde ich normalerweise ganz andere Dinge. Ein Wunder war für mein Verständnis lange Zeit so etwas wie ein ausgestreckter Finger, der die Welt balanciert wie einen Basketball. Ein Ereignis, das – durchaus im wörtlichen Sinne – die Welt bewegt. Unsere Butterkiste hat aber lediglich unsere Teenie-Freizeit bewegt, und auch das nur für einige Minuten, ehe die zu erwartende hormonelle Achterbahn sie erst richtig in Fahrt brachte.

Wenn von Jesus und seinen Wundern die Rede ist, dann geht es meist um die krassen Naturgesetzesbrüche, die er sich am laufenden Band geleistet hat. Mit seiner Sturmstillung hätte er jeden gestandenen Meteorologen zum Weinen gebracht, beim Laufen übers Wasser jeden Physiker an seinem Verstand zweifeln lassen. Er hätte Ärzte mit seinen Wunderheilungen sprachlos gemacht und wäre Lazarus in einem heutigen Bestattungsunternehmen im Kühlraum gelagert worden, die Mitarbeiter dort hätten den Schreck ihres Lebens bekommen, wenn dieser plötzlich von innen gegen die Tür des Kühlraumes geklopft hätte! Solche Ereignisse, das sind Wunder. Keine vergessene Butterkiste. Oder?

Partywunder

In diesem Zusammenhang sei an das erste Wunder erinnert, das Jesus laut Johannesevangelium vollbracht hat. Jesus und seine Jünger amüsieren sich gerade auf einer Hochzeitsfeier, als seine Mutter ihn beim Partymachen zur Seite nimmt. Der Wein ist alle! Wie peinlich für den Gastgeber! Jesus, tu etwas! Jesus aber reagiert zunächst, so scheint es jedenfalls, unwirsch. „Meine Zeit ist noch nicht gekommen!“, sagt er seiner Mutter. Die aber lässt sich von der Abfuhr nicht beeindrucken. Offensichtlich weiß sie, welche Kräfte in ihrem Sohn schlummern. Sie weist die Diener an, das zu tun, was Jesus ihnen befiehlt. Und der hat sich offenbar breitschlagen lassen. Er lässt die Diener sechs große Steinkrüge mit Wasser füllen und dem Küchenmeister eine Kostprobe geben. Der kippt fast aus den Latschen und zitiert den Bräutigam zu sich. Kopfschüttelnd wirft er ihm Verschwendung vor. Warum kommt dieser vorzügliche Wein erst jetzt auf den Tisch, wo die Gäste schon einen am Sträußchen haben? Das macht doch kein vernünftiger Gastgeber! Die Jünger hingegen feiern nicht nur den süffigen Wein, sie feiern vor allem ihren Freund und Lehrer Jesus, der auf wundersame Weise die Party gerettet und den Gastgeber vor einer schweren Blamage bewahrt hat. Mit diesem Wunder hat Jesus nämlich gezeigt, was ihn von allen Normalsterblichen unterscheidet: Er hat göttliche Kraft. Und er setzt sie ein, wo er es für angebracht hält.

Jesus hat göttliche Kraft. Und er setzt sie ein, wo er es für angebracht hält.

Jesus überrascht

Ich fand es immer befremdlich, dass Jesus seine Macht zuerst ausgerechnet auf einer weinseligen Party zeigt. Bevor er loszog, um Kranke zu heilen, Großevents mit nur fünf Broten und zwei Fischen zu catern oder den ein oder anderen Toten wieder aufzuerwecken, hat er – ohne einen weltbewegenden Anlass – Wasser in Wein verwandelt. Ausgerechnet auf einer Party macht er mit seinen zahlreich dokumentierten Naturgesetzesbrüchen den Anfang! Das ist von der Qualität ungefähr so, als hätte er auf einer Freizeit nach 36 Stunden Busfahrt vor müffelnden Teenagern eine Kiste Butter hervorgezaubert und sich so als Gottgesandter geoutet!

Das sind gleich zwei Ärgernisse: Nicht nur, dass Jesus gegen berechenbare Gesetze handelt. Für die Weltanschauungspolizei macht ihn das höchst verdächtig. Aber wenn er dann schon so auf den Putz haut, dann auch noch auf scheinbar so banale Weise! Hätte er seine Superkräfte nicht gleich sinnvoll einsetzen können, statt damit Party zu machen? In gewisser Weise hatte der Küchenmeister Recht: Was für eine Verschwendung edler Güter! Hätte Jesus doch lieber gleich die Welt gerettet, statt irgendwelche Partys!

Interessant an der Erzählung finde ich auch, dass Jesus das Wunder offensichtlich nicht ganz freiwillig vollbracht hat.  Mit einem „Meine Zeit ist noch nicht gekommen“ will Jesus sich aus der Affäre ziehen. Offenbar hat Gott, der Vater für Jesus geplant, sich mit seiner göttlichen Natur auf andere Weise in der Öffentlichkeit zu outen. Dann aber überlegt Jesus es sich anders. Seiner Mutter zuliebe, die weiß, wozu er fähig ist? Hat er sie in seiner Kindheit und Jugend schon mit dem ein oder anderen Wunder in Staunen versetzt, ohne dass es andere mitbekommen hätten? Oder vertraut sie ganz auf seine göttliche Herkunft? Was den plötzlichen Sinneswandel in Jesus auslöst, geht aus dem Text nicht hervor. Er wirkt überraschend. Gott, in der Person Jesu, lässt sich durch eine menschliche Bitte von seinem Plan abbringen? Können Menschen Gott tatsächlich umstimmen? Maria jedenfalls konnte es.

Der Sinn von Wundern

Aus dieser Geschichte lerne ich drei Dinge. Erstens: Wunder sind keine Show. Jesus reagiert eher unwillig, wenn er dazu aufgefordert wird, seine göttlichen Muskeln spielen zu lassen, um die Welt aus den Angeln zu heben. Auf der Hochzeit in Kana lässt er sich nur ungern überreden. Und auch sonst geht es ihm bei Wundern nie um den Knalleffekt, sondern darum, zu zeigen, dass Gottes Macht größer ist als das, was Menschen aufgrund ihres begrenzten Erfahrungshorizonts erwarten. Wunder sind per Definition überraschend.

Es geht Jesus bei Wundern nie um den Knalleffekt, sondern darum, zu zeigen, dass Gottes Macht größer ist als das, was Menschen aufgrund ihres begrenzten Erfahrungshorizonts erwarten.

Zweitens: Wunder geschehen nicht unbedingt dort, wo ich meine, dass eins geschehen müsste. Sie lassen sich nicht verzwecken. Sie werden nicht gerecht verteilt oder nach Wichtigkeit kategorisiert. Sie passieren, wo Gott sie geschehen lässt. Das ist für Menschen nicht immer nachvollziehbar.

Und drittens: Gott lässt sich umstimmen. Jesus zaudert, als Maria ihn drängt. Aber er gibt nach. Das sieht ihm eigentlich nicht ähnlich, denn normalerweise tritt er sehr bestimmt auf. Dass er hier mit sich handeln lässt, erinnert an Abraham, der mit Gott um die Gerechten in Sodom und Gomorrha schachert. Auch da lässt Gott sich umstimmen. Es ist also legitim, um einer gerechten Sache Willen mit Gott ins Gespräch zu kommen und ihn zu bitten, ein Wunder zu tun. Abraham und Maria hatten damit Erfolg.

 Katrin Faludi

Katrin Faludi

  |  Redakteurin

In Offenbach geboren, mit Berliner Schnauze aufgewachsen. Hat Medienwissenschaft und Amerikanistik studiert, ist danach beim Radio hängengeblieben. Außerdem schreibt sie Bücher, liebt alles, was mit Sprache(n) und dem Norden zu tun hat und entspannt gerne beim Landkartengucken. Mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern wohnt sie in Bad Vilbel.

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