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© Manki Kim / unsplash.com

20.05.2019 / Andacht / Lesezeit: ~ 4 min

Autor/-in: Katrin Faludi

Fremde passen nicht in Kinderschuhe

Wer Fremde liebt, macht sie nicht klein.


Er [Gott] liebt die Ausländer und gibt ihnen Nahrung und Kleidung. Zeigt auch ihr den Ausländern eure Liebe! Denn ihr habt selbst einmal als Ausländer in Ägypten gelebt. (5. Mose 10,18-19).

Hunderttausenden Ausländern hat der deutsche Staat in den letzten Jahren Nahrung und Kleidung gegeben. Sehr zum Missfallen vieler Alteingesessener, die die Neuankömmlinge argwöhnisch beäugen und ihnen häufiger niedere Motive für ihr Einwandern unterstellen. Die kommen ja nur, weil sie unsere Sozialleistungen wollen! Die sind nicht so entwickelt wie wir! Die unterwandern uns, weil sie uns den Islam aufzwingen wollen! Laut einer aktuellen Studie des Friedrich-Ebert-Instituts hat die Skepsis der Deutschen gegenüber Asylbewerbern einen neuen Höchststand erreicht. Etwas mehr als die Hälfte der Befragten hat in ihren Antworten die Bereitschaft signalisiert, sich negativ über Asylsuchende zu äußern.

In der Not das Einzelschicksal sehen

Das iranische Ehepaar, dem ich vor einigen Jahren in der Asylbewerberunterkunft in unserer Nachbarschaft gegenübersaß, ahnte nichts von solchen Unterstellungen. Es war zuerst einmal froh, in Sicherheit zu sein. Die beiden waren nicht wegen der Sozialleistungen nach Deutschland gekommen, im Gegenteil. In ihrer Heimat hatten sie studiert und waren erfolgreiche Versicherungsmakler mit einer eigenen Firma gewesen. Sie hatten sich gerade eine Eigentumswohnung gekauft und ein Kind bekommen. Sie hatten mitten im Leben gestanden, als sie sich zur Flucht gezwungen sahen. Dass sie nun in einem fremden Land von Sozialleistungen abhängig waren und sich als Familie ein Zimmer in einer Asylbewerber-WG teilen mussten, nagte sehr an ihrem Stolz.

Und der Islam? Mit dem hatten beide längst nichts mehr am Hut. Genau das war ihr Problem. Weil der Mann zum Christentum konvertiert war, hatte das islamische Regime so viel Druck auf ihn ausgeübt, dass er keinen anderen Weg mehr gesehen hatte als die Flucht. Nun saßen er und seine Frau an dem wackeligen Tisch in ihrem Zimmer und übten mit großem Eifer Deutschvokabeln. Persisch war die einzige Sprache, die sie beherrschten. Doch sie wollten raus aus diesem engen Zimmer, weg von den Sozialleistungen, auf eigenen Füßen stehen und arbeiten – am liebsten in ihrem vertrauten Beruf. Ich wollte ihnen nach meinen Möglichkeiten dabei helfen, sich weniger fremd zu fühlen. Denn wenn ich die Aufforderung Gottes, den Ausländern mit Liebe zu begegnen, ernstnehme, gehört das zur Aufgabe. Unabhängig von Staatsangehörigkeit oder Religion.

Wenn ich die Aufforderung Gottes, den Ausländern mit Liebe zu begegnen, ernstnehme, gehört das zur Aufgabe. Unabhängig von Staatsangehörigkeit oder Religion.

Sprachlos und unmündig

„Wie gut ist mein Deutsch jetzt?“, fragte mich die Frau regelmäßig, wenn wir uns trafen. Sie machte schnelle Fortschritte und wir konnten uns inzwischen ganz gut auf Deutsch verständigen. Aber für einen guten Job in unserem perfektionistischen Land würde sie noch sehr lange sehr viel lernen müssen. Über Monate hinweg konnte ich mit ansehen, wie sehr das Strampeln mit den Behörden, der fremden Sprache und dem anderen Lebensstil das Ehepaar Kraft kostete und auszehrte. Sie spürten, dass sie in diesem Land nicht für voll genommen wurden. Man behandelte sie wie Unmündige, wie Kinder, weil sie die Sprache nicht beherrschten und sich mit den Gepflogenheiten noch nicht so gut auskannten. Auch mir fiel es oft schwer, ihnen auf Augenhöhe zu begegnen und mit ihnen wie mit Erwachsenen zu sprechen, während sie mit Grammatik und Worten kämpften wie zweijährige Kinder.

Selbst zum Fremden werden

Dabei hätte ich wissen müssen, wie sie sich fühlen. Mit Anfang 20 bin ich selbst ein paar Wochen zu Gast in einem fremden Land gewesen, dessen Sprache ich kaum beherrschte. Ich war zu Besuch bei einer brasilianischen Familie, in der bis auf eine Person niemand Englisch sprach. Also hatte ich mir im Vorfeld mit einem Crashkurs die wichtigsten Grundlagen des brasilianischen Portugiesischs angeeignet und scheute mich auch vor Ort nicht, sie anzuwenden. Doch schon nach einer Woche kam das ernüchternde Feedback: „Alle halten dich für unhöflich, weil du mit solch einem harten Akzent sprichst! Sprich weicher!“ Also bemühte ich mich, den verwaschenen brasilianischen Singsang bestmöglich zu imitieren. Eine Woche später bekam ich zu hören: „Es ist viel besser geworden. Jetzt sprichst du wie ein Kleinkind!“

Analog dazu wurde ich von meinen sehr lieben und fürsorglichen Gastgebern auch behandelt. Weil ich die Sprache kaum beherrschte und die möglichen Gefahren im Alltag einer brasilianischen Großstadt nicht einschätzen konnte, behüteten und behandelten meine Gastgeber mich wie ein Kind. Ich war dort kein erwachsener Mensch mehr, sondern ein hilfloses Wesen, das in seinen Entscheidungen und seinem Bewegungsspielraum eingeschränkt war, um ja nicht in Gefahr zu geraten. So sehr ich diese Familie auch mochte, nach einer Weile ging mir diese Behandlung gehörig gegen den Strich. Sie war gut gemeint, aber ich fühlte mich entmündigt und nicht für voll genommen.

Liebe entmündigt nicht

So wollte ich diesem iranischen Ehepaar auf keinen Fall gegenübertreten. Ich wollte sie nicht wie Kinder behandeln, weil ihr Deutsch noch in den Kinderschuhen steckte. Sie hatten denselben Respekt verdient wie jeder Erwachsene auch. Denn nur, weil sie die Sprache und die Gepflogenheiten noch lernen mussten, waren sie doch keine Kinder mehr und wollten auch nicht so behandelt werden.

Liebe zeigen bedeutet nicht nur, die Fremden mit Nahrung und Kleidung zu versorgen. Es bedeutet genauso, ihnen respektvoll und auf Augenhöhe gegenüber zu treten. Die Sprach- und Verstandesbarrieren auszuhalten. Ihnen die Liebe und Würde weiterzugeben, die wir selbst von Gott empfangen, und ihn dadurch auch für sie erfahrbar machen. Denn so, wie sie hier bei uns fremd sind, können auch wir selbst einmal an anderen Orten zu Fremden werden. Unsere Herkunfts- und unsere Aufenthaltsorte sagen nichts über die Würde aus, die ein Mensch besitzt. Letztlich haben wir alle dieselbe Herkunft: Wir sind von Gott erdachte Menschen. Für ihn gibt es keine Fremden.

Liebe zeigen bedeutet nicht nur, die Fremden mit Nahrung und Kleidung zu versorgen. Es bedeutet genauso, ihnen respektvoll und auf Augenhöhe gegenüber zu treten.

 Katrin Faludi

Katrin Faludi

  |  Redakteurin

In Offenbach geboren, mit Berliner Schnauze aufgewachsen. Hat Medienwissenschaft und Amerikanistik studiert, ist danach beim Radio hängengeblieben. Außerdem schreibt sie Bücher, liebt alles, was mit Sprache(n) und dem Norden zu tun hat und entspannt gerne beim Landkartengucken. Mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern wohnt sie in Bad Vilbel.

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Kommentare (1)

Helga G. /

Für mich ist es immer wieder eine Herausforderung Ausländern ohne Vorurteil zu begegnen. Meine Erfahrungen sind leider sehr negativ mit Südländern.
Hatte zum Beispiel einer Arbeitskollegin das du mehr

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