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25.08.2020 / Zum Schwerpunktthema / Lesezeit: ~ 4 min

Autor/-in: Rebecca Schneebeli

Muss ich immer dankbar sein?

„Dankbar sein in allen Dingen“, rät die Bibel. Geht das überhaupt? Rebecca Schneebeli ringt mit diesem Anspruch – und versucht es trotzdem.

„Hast du dich auch bedankt?“ Diese Frage habe ich als Kind oft gehört, wenn ich ein Geschenk bekam. Und sie hat mich immer genervt. Denn wenn mir das Geschenk gefiel, habe ich selten vergessen, mich zu bedanken. Und wenn nicht, kam mir ein „Danke“ schwer über die Lippen. Ich glaube, diese Erfahrung kennen viele Menschen.

Nun hatten meine Eltern einen guten Grund, mich auf das Danke sagen hinzuweisen. Denn sie wollten mir eine wichtige Tugend beibringen: Dankbarkeit. Wer diese Tugend lebt, ist zufriedener. Dankbare Menschen strahlen die Zufriedenheit auch anderen Menschen gegenüber aus und werden als sympathischer wahrgenommen. Sie meistern wissenschaftlichen Studien zufolge sogar Schwierigkeiten im Leben besser. Es lohnt sich also. Trotzdem wollte ich nie ohne Grund dankbar sein! Sich für ein Geschenk bedanken, was ich weder will noch brauche, ist zwar höflich, aber ich freue mich darüber nicht mehr, nur weil ich artig Danke gesagt habe.

Auch sonst tue ich mich mit der Dankbarkeit schwer. Nicht weil ich ein undankbarer Mensch bin, sondern weil es bis heute so viele Dinge gibt, für die ich nicht dankbar bin und Dankbarkeit auch nicht heucheln möchte. Wenn ich mich über etwas freue, kann ich sehr euphorisch sein. Aber es macht mir Mühe, in „ungewollten Geschenken“ Gutes zu sehen. Dabei habe ich schon als Kind gelernt, dass ungeahnte Schätze in solchen Situationen stecken.

Mein Vater hatte beispielsweise die Angewohnheit, mich in puncto Geschenke regelmäßig zu enttäuschen. Statt Pferdebücher wie gewünscht bekam ich anspruchsvolle Kinder- und Jugendliteratur. Ich habe sie trotzdem verschlungen und sie gefiel mir meist sogar besser als die gewünschte Lektüre. Hätte mein Vater damals nicht meinen Lesegeschmack herausgefordert, ich weiß nicht, ob ich später Literatur studiert hätte.

Dankbar sein für Schwieriges?

In Bezug auf Gott nehme ich Ähnliches wahr. Auch hier habe ich manchmal den Eindruck, Gott versucht mich zu Höherem zu erziehen, indem er mir nicht gibt, was ich mir wünsche, sondern das, was mich weiterbringt. In vielen Lebenslagen habe ich das erlebt und war im Nachhinein dankbar dafür. Doch immer, wenn mir wieder so ein ungewolltes Geschenk vor die Füße fällt, möchte ich es Gott gerne erstmal zurückschleudern.

Ein Beispiel: Ich habe eine Nahrungsmittelunverträglichkeit. Natürlich ist es für mich gesünder, mehr frisch zu kochen und weniger Fastfood zu essen. Aber jedes Mal, wenn ich mit Freunden essen gehe und beim Studieren der Speisekarte nur zwei Gerichte ausmache, die ich essen kann, fühle ich eine Mischung aus Trauer und Zorn. Nein, ich möchte nicht dankbar dafür sein, dass ich nicht alles essen darf! Ich möchte mit Fug und Recht unzufrieden sein mit den Dingen, die mein Leben schwierig machen. In der Bibel zu lesen: „Seid dankbar in allen Dingen“ (1. Thessalonicher 5,18) mag ja für andere Menschen funktionieren, mir gelingt das nicht!

Wenn ich in die Welt und mein Leben schaue, sehe ich vor allem eines: Verbesserungsbedarf. Und dafür soll ich auch noch dankbar sein? Nein, danke! Wenn Dankbarkeit bedeutet, vor Missständen die Augen zu schließen und den aktuellen Zustand fälschlicherweise als zufriedenstellend anzusehen, bin ich lieber nicht dankbar. Denn dann wäre Dankbarkeit eine einzige große Lüge!

Den Blick auf das Gute richten

Gleichzeitig glaube ich nicht, dass Dankbarkeit das meint. Gott ist ein guter Vater. Manchmal fordert er uns zwar heraus, indem er uns zum Beispiel statt dem ersehnten Partner einen anderen schenkt, der besser zu uns passt. Aber Krankheit, Leid und Schmerz – all die Dinge, die uns richtig weh tun – an denen leidet Gott doch mit uns. Daher glaube ich nicht, dass Gott zu mir sagt: „Jetzt freu dich endlich, Rebecca! Ich habe dich ausgewählt, dass du zu dem einen Prozent der Menschen gehörst, die kein Getreide essen dürfen.“

Vielmehr denke ich, Gott leidet genauso sehr wie ich, wenn er sieht, wie ich oft ausgeschlossen danebenstehe, während andere fröhlich essen. Ihm ist das nicht egal und mit der Aufforderung, allezeit dankbar zu sein, will er mich nicht noch zusätzlich quälen.

Dankbarkeit, wie Gott sie sich für uns wünscht, heißt nicht, Missstände schönzureden. Es geht dabei nicht um Realitätsleugnung, sondern um einen Perspektivwechsel. Es geht darum, den Blick wegzulenken von dem, was noch nicht optimal in meinem Leben ist, auf das, wo Gott mich überreich beschenkt.

Das geht meist nicht sofort und vor allem nicht automatisch. Wir alle haben Punkte in unserem Leben, an denen wir leiden und wo wir denken: „Dafür kann ich unmöglich danken!“ Dieses Gefühl ist okay. Wir können mit diesem Nicht-Danken-Können sogar zu Gott kommen und er versteht das. Er verurteilt uns nicht für unsere Undankbarkeit, wie wir das oft bei Menschen erleben. Trotzdem fordert er uns heraus und sagt uns: „Seid dankbar!“

Der Grund dafür ist einfach: Erst wenn wir unseren Blick von dem Schlechten in unserem Leben auf das Gute hinlenken, was wir bereits geschenkt bekommen haben, kriegen wir die Kraft, auch mit dem Schwierigen zu leben.

Der Apostel Paulus hat in Römer 8,28 dazu einen starken Satz gesagt:

Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind.

Dankbar zu sein – auch und gerade in schwierigen Lebensumständen – bedeutet, an dieser Zusage festzuhalten. Gott einen Vertrauensvorschuss zu gewähren, dass mein Leben gut sein wird, selbst wenn ich nicht bekomme, was ich mir wünsche und vielleicht sogar bräuchte.

Mit dieser Haltung zu leben fällt mir nicht leicht. Es ist oft ein täglicher Kampf, aber ich möchte mich bewusst dafür entscheiden. Nein, ich werde auch in Zukunft nicht dankbar sein ohne Grund, aber ich möchte in meinem Leben täglich neu Gründe suchen zu danken. Vielleicht wagen Sie ja auch dieses Experiment?
 

Rebecca Schneebeli

Als Redakteurin fällt Rebecca Schneebeli kritisches Denken leichter als Dankbarkeit, weshalb sie dankbar für ihren allzeit optimistischen Ehemann ist.

 

 Rebecca Schneebeli

Rebecca Schneebeli

  |  Redakteurin

Sie schätzt an ihrem Job, mit verschiedenen Menschen und Themen in Kontakt zu kommen. Sie ist verheiratet und mag Krimis und englische Serien.

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Kommentare (1)

MGK /

Klingt für mich nur nach toxischer Posititvität und die kann wirklich schädlich sein.

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