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© Penguinuhh / unsplash.com

13.09.2019 / 7 Wunder / Lesezeit: ~ 6 min

Autor/-in: Katrin Faludi

Wunder sind nur ein Mangel an Information

Warum „Wunder“ nur eine Frage der Perspektive sind.

Jesus ist bekannt für seine Heilungswunder. Aber kennen Sie eigentlich auch sein Tele-Wunder? Hier kommt die Geschichte:

Eines Tages, er ist gerade wieder in seiner Heimat Galiläa angekommen, bekommt Jesus Besuch von einem königlichen Beamten. Der Mann ist verzweifelt, weil sein Sohn im Sterben liegt. Jesus, inzwischen überregional bekannter Wundertäter, ist seine letzte Hoffnung. Er fleht Jesus an, mit ihm nach Kapernaum zu kommen, um das Kind zu retten.

Jesus aber seufzt nur: „Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder zu sehen bekommt, glaubt ihr nie!“ Der verzweifelte Vater bleibt hartnäckig. „Herr, bitte komm mit, bevor mein Kind stirbt!“ Und in diesem Moment geschieht das Tele-Wunder: „Du kannst beruhigt nach Hause gehen“, sagt Jesus. „Dein Sohn ist gesund!“ Der Beamte glaubt ihm. Er hört auf, Jesus zu bedrängen, mit ihm zu gehen, sondern macht sich auf den Heimweg. Sein Vertrauen wird belohnt.

Noch auf dem Weg laufen ihm seine Diener entgegen und berichten ihm aufgeregt, dass das Kind wieder gesund sei. Es sei ihm genau zu der Stunde wieder bessergegangen, als sein Vater mit Jesus gesprochen hat (nach Johannes 4,46-53).

Wieso, weshalb, warum?

Wie in so vielen Berichten, in denen Jesus Wunder tut, fällt eine Sache ganz besonders auf: Es fehlen Informationen. Viele Informationen, die ich gerne gewusst hätte. Warum, zum Beispiel, reagiert Jesus oft so unwillig, wenn er um ein Wunder gebeten wird? Warum lässt er sich dann doch überreden? Was weiß der Beamte über Jesus, dass er darauf vertraut, dass seine Worte die Macht haben, den Tod beiseite zu wischen?

Und, natürlich: Wie macht Jesus das eigentlich? Wie funktionieren diese wundersamen Kräfte, mit denen er Dinge tut, die nach unseren Beobachtungen und Erfahrungen nicht möglich sind? Warum ist es auch heute, wo wir in einer „Wissensgesellschaft“ leben, überhaupt noch legitim, an Wunder zu glauben? Wo doch bekannt ist, dass die Menschen damals einfach alles, was sie nicht verstanden haben, als göttliches Eingreifen bezeichnet haben?

Es gibt keine Wunder

Ich behaupte ja: Wunder gibt es nicht. Wunder sind einfach nur ein Mangel an Information. Denn es kommt auf die Perspektive an, aus der man ein Geschehen betrachtet. Aus der Perspektive eines Hundes mag es ein Wunder sein, dass ein Auto fährt, denn ein Hund versteht nichts von Mechanik und Elektronik. Er sieht das Ergebnis, aber ihm fehlen die Informationen darüber, was genau passiert, damit sich das Auto in Bewegung setzt.

Vielleicht ist ihm nicht einmal klar, dass dieser komische rollende Kasten das Werk von Menschen wie seinem Herrchen ist. Der Hund kann das Ganze jedoch entspannt sehen, denn sehr wahrscheinlich macht er sich gar keine Gedanken darüber, warum ein Auto fährt, und was da vor seinen Augen geschieht. Ihm fehlt dafür das nötige logisch-abstrakte Denkvermögen.

Wunder gibt es nicht. Wunder sind einfach nur ein Mangel an Information. Denn es kommt auf die Perspektive an, aus der man ein Geschehen betrachtet.

Das Prinzip lässt sich auch auf den Menschen übertragen. Wir erleben etwas, das den durch unsere Beobachtungen aufgestellten Naturgesetzen oder zumindest unserer Erfahrung entgegenläuft – und wundern uns darüber. Wir sind da eine Stufe weiter als der Hund, denn wir fragen aktiv nach dem Warum.

Wir versuchen, die Gründe für das Geschehen herauszufinden, da wir neugierige Wesen sind. Leider aber sind auch unsere intellektuellen Kapazitäten begrenzt. Das ist für uns wissbegierige und recht eitle Spezies Homo sapiens natürlich ärgerlich. Da tragen wir das Attribut „wissend“ schon in unserer Eigenbezeichnung und dann trifft es noch nicht einmal in vollem Umfang zu!

​Alles eine Frage der Perspektive

Für uns Menschen ist es zu einem gewissen Grad möglich, die Perspektive von Wesen nachzuvollziehen, die uns geistig unterlegen sind. Aber können wir die Perspektive eines Wesens einnehmen, das über uns steht? Wie sollen wir uns in etwas hineindenken, das unser eigenes begrenztes Vorstellungsvermögen übersteigt? Das wäre, als würde ein Hund versuchen, wie ein Mensch zu denken.

Folglich kann es einem Menschen nicht gelingen, das Denken und Handeln eines Gottes nachzuvollziehen. Wer als Vertreter der Spezies Homo sapiens glaubt, bereits auf der höchsten Stufe der Intelligenz zu stehen, weil er sich nicht vorstellen möchte, dass es noch etwas Klügeres und Weitsichtigeres geben könnte als ihn, glaubt natürlich auch nicht an einen Gott. Glaube an „höhere Mächte“ ist Majestätsbeleidigung.

Folglich kann es einem Menschen nicht gelingen, das Denken und Handeln eines Gottes nachzuvollziehen.

Und nun haben wir einen solchen „Wunder“-Bericht aus der Bibel, der jede Menge Fragen aufwirft. Stimmt das denn überhaupt? Wie hat Jesus das gemacht? Warum hat Jesus das gemacht? Warum hat der Beamte das auch noch geglaubt? Aus der begrenzten menschlichen Perspektive sind das ganz legitime Fragen, die dieser Text nicht beantwortet. Und viele andere solcher Stellen lassen uns ähnlich rätseln.

Hat man das damals eben so hingenommen und nicht weiter kommentiert, oder hat es vielleicht sogar einen Sinn, dass wir nicht alle Fakten auf den Tisch bekommen? Weil wir sowieso nichts damit anfangen könnten?

​Wir sollen uns wundern

Es fällt auf, dass Jesus immer wieder gereizt reagiert, wenn er gebeten wird, ein Kaninchen aus dem Hut zu zaubern. Weil es ihm eben genau darum nicht geht. Er will nicht mit Effekten protzen und die Menschen zum Staunen bringen. Er will, dass sie sich wundern.

Es ist kein Zufall, dass es auf Englisch heißt „to wonder“, wenn man sich etwas fragt. Jesus wirft Fragen auf, damit die Menschen über das nachdenken, was sie gerade erlebt haben. Er lässt sie damit an die Grenzen ihres Verstandes gehen, bis sie merken: Er ist anders als sie. Das, was Jesus ausmacht, liegt jenseits dessen, was Menschen sich mit ihrem begrenzten abstrakt-logischen Denken vorstellen können. Jesus kommt aus einer ganz anderen Dimension.

Jesus will nicht mit Effekten protzen und die Menschen zum Staunen bringen. Er will, dass sie sich wundern.

Jesus vollbringt keine Wunder, er setzt Zeichen. Fragezeichen. Er demonstriert, dass er Macht über den Tod hat. Entweder drängt er ihn zurück, wie bei dem sterbenden Kind, oder er nimmt dem Tod sogar ganz die Endgültigkeit, wie er es selbst beispielhaft vormacht. Damit wirft er die Frage auf, ob der Tod denn wirklich so endgültig ist, wie Menschen es bisher immer beobachtet haben.

Auch hier fehlt uns die entscheidende Information: Bisher ist kein Mensch vom Tod zurückgekehrt und hat berichtet, wie es denn so ist, tot zu sein. Aus dieser fehlenden Information hat man eben den Schluss gezogen, dass der Tod unumkehrbar sei. Jesus stellt dieses Denken mit seinen Zeichen infrage, ohne aber konkret zu beschreiben, wie er den Tod beeinflusst und was danach genau passiert. Weil es etwa denselben Effekt gehabt hätte, wie einem Hund die Gesetze der Mechanik zu erläutern: verständnisloses Winseln.

Jesus vollbringt keine Wunder, er setzt Zeichen. Fragezeichen. Er demonstriert, dass er Macht über den Tod hat.

Was noch alles kommt

Es hätte keinen Sinn ergeben, wenn er den Menschen zu erklären versucht hätte, was mit diesen Begriffskrücken „Himmel“ und „Ewigkeit“ gemeint ist. Diese Worte sind nur armselige Platzhalter für Konzepte, die unseren Verstand übersteigen, die sich weder mathematisch berechnen noch mit unseren begrenzten wissenschaftlichen Methoden beobachten lassen.

Die Welt, in der Jesus lebt, liegt außerhalb unserer Wahrnehmung und Vorstellungskraft. Indem er Zeichen setzt, gibt er Menschen allenfalls eine Ahnung davon, dass es noch mehr gibt, als sie sich vorstellen können. Dass jenseits ihres Denkvermögens ein Gott existiert, der sich in sie hineindenkt und sie darauf vorbereiten will, diese unbekannte, unvorstellbare Welt kennenzulernen. Diese Zeichen sind ein Vorgeschmack. Noch mangelt es uns an den Informationen, die wir nicht verarbeiten können. Aber diese Wissenslücke wartet nur darauf, eines Tages geschlossen zu werden.

 

 Katrin Faludi

Katrin Faludi

  |  Redakteurin

In Offenbach geboren, mit Berliner Schnauze aufgewachsen. Hat Medienwissenschaft und Amerikanistik studiert, ist danach beim Radio hängengeblieben. Außerdem schreibt sie Bücher, liebt alles, was mit Sprache(n) und dem Norden zu tun hat und entspannt gerne beim Landkartengucken. Mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern wohnt sie in Bad Vilbel.

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Kommentare (2)

Christoph B. /

Dieser Text ist m.E. nicht nur besonders gelungen, sondern regelrecht „inspiriert“, und inspirierend sowieso. Die für eine evangelische Webseite verblüffende These „Es gibt keine Wunder!“ ist so mehr

Margret S. /

Ich glaube an Wunder! Ich habe schon viele erlebt!
Jahre wird noch mehr machen. Ich muss ihn nur vertrauen. Jetzt ist auch gerade eins passiert. Nach ungefähr einem Jahr suchen wir eine Wohnung. mehr

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