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© Vojta Kucer / pixabay.com

07.02.2019 / Kommentar / Lesezeit: ~ 5 min

Autor/-in: Katrin Faludi

Die authentische Fassade

Wenn „authentisch“ mit „perfekt“ verwechselt wird.

„Christen sind nicht, wie sie singen.“ Diese Worte stammen von einer jungen Frau, die sich enttäuscht von der Kirche abgewandt hat. Sie war Teilnehmerin einer Studie zu der Frage, warum sich viele junge Erwachsene „entkehren“ und lieber ein Leben ohne Glauben führen. Gründe dafür gibt es viele, aber einer davon ist eben der erlebte Unterschied zwischen dem, was Christen sagen und dem, was sie tun. Viele junge (und wahrscheinlich auch ältere) Menschen erleben Christen nicht als authentisch.

„Es gibt keine Stimmigkeit zwischen dem, was auf der einen Seite gesungen und im Gottesdienst gesagt wird, und auf der anderen Seite, was im Leben zu sehen ist“, erklärt der Soziologe und Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Tobias Künkler, Mitarbeiter am Forschungsinstitut empirica für Jugend, Kultur und Religion der CVJM-Hochschule Kassel, einer der Mitautoren dieser Studie. Er plädiert dafür, dass Christen ihren Glauben authentischer leben, um junge Menschen wieder neu zu erreichen. 

Es gibt keine Stimmigkeit zwischen dem, was auf der einen Seite gesungen und im Gottesdienst gesagt wird, und auf der anderen Seite, was im Leben zu sehen ist – Prof. Dr. Tobias Künkler, Soziologe und Erziehungswissenschaftler

Die Anziehungskraft des Authentischen

Sollte das nicht eine Selbstverständlichkeit sein? Wird uns nicht schon seit einer gefühlten Ewigkeit von allen Seiten gepredigt, wir sollten „authentisch“ sein? So authentisch, dass wir die Liebe Gottes aus jeder Pore transpirieren und die Suchenden uns daraufhin fasziniert an unserer heiligen Duftspur schnuppernd in die Gemeinden folgen? Passiert aber irgendwie kaum, ist so mein Eindruck. Sonst wären die Gemeinden ja voll. Also sind Christen wohl immer noch nicht authentisch genug.

Ich glaube, es ist die Anstrengung, authentisch zu sein, die dem betörenden Duft eine ordentliche Menge Schweiß beimengt, was dazu führt, dass es plötzlich komisch riecht. Denn der Imperativ „authentisch“ die Liebe Gottes weiterzugeben, erzeugt – falsch verstanden – eine Menge Druck. Wenn die Liebe Gottes in meinem Leben wirklich wirkt, dann muss das nach außen hin sichtbar sein.

Meine Gottesbeziehung und meine Reife im Glauben werden an meinem Verhalten gemessen. Bin ich jedoch nicht zu allen Zeiten freundlich, strahle ich nicht die gelassene Gewissheit aus, dass Gott in meinem Leben wirkt, dann bin ich nicht optimal als Werbetafel für die erlösende Wirkung unseres Glaubens geeignet.

Meine Gottesbeziehung und meine Reife im Glauben werden an meinem Verhalten gemessen. Bin ich jedoch nicht zu allen Zeiten freundlich, strahle ich nicht die gelassene Gewissheit aus, dass Gott in meinem Leben wirkt, dann bin ich nicht optimal als Werbetafel für die erlösende Wirkung unseres Glaubens geeignet.

Wenn mit „authentisch“ eigentlich „perfekt“ gemeint ist

Wenn die Liebe Gottes in meinem Leben zeitweise nicht so hell nach außen strahlt, wie sie sollte, wirke ich nicht „authentisch“ genug. Dann stimmt scheinbar etwas mit meinem Glaubensleben nicht, denn das sollte ja vorzeigbar sein. Authentizität ist durch die Aufforderung, seinen Glauben „authentisch“ zu leben, um ihn für Außenstehende attraktiv zu machen, zu einem Synonym für Perfektion geworden.

Authentizität steht für Nahbarkeit, Echtheit und Sympathie. Wer sie besonders hell herausstrahlt, wird – so der Schluss – auch von besonders vielen Menschen im Dunklen gesehen. Und da wir alle Aushängeschilder unseres Glaubens sind, müssen wir dafür sorgen, ihn mit unserem Leben so attraktiv wie möglich nach außen zu tragen. Dass das am Ende alles andere als authentisch wirkt, bemerken zu allererst diejenigen, an die sich die ganze Show richtet: die Menschen, die wir mit unserem beispielhaften Leben davon überzeugen wollen, dass ein Leben mit Gott etwas Gutes ist.

Stört das makellose Bild!

„Ich denke, wir müssen nicht vorspielen, dass wir perfekt sind, sondern im Umkehrschluss heißt das, dass wir auch die eigenen Brüche und die eigenen Fehler offen kommunizieren“, fährt Tobias Künkler fort.

Wir sollten kommunizieren: Wo habe ich meine eigenen Fragen im Glauben, vielleicht Zweifel? Ich denke, das macht Glaube viel attraktiver, als wenn ich etwas vorspiele, was aber gar keine Grundlage hat oder nicht echt ist. – Prof. Dr. Tobias Künkler, Soziologe und Erziehungswissenschaftler

Ich möchte mehr von diesen Brüchen hören. Von den Schwierigkeiten, wenn es im Glaubensleben „mal nicht so läuft“. Wenn Gott Gebete nicht erhört, Christen Schuld auf sich geladen und die Fassung verloren haben. Ich möchte die unbeantworteten Fragen stellen und mich den Menschen verbunden fühlen, die sich diese Fragen heimlich auch stellen.

Das Gute im Leben nach außen tragen, ohne das Schwierige zu verbergen, weil es das makellose Gesamtbild stört, das ist authentisch. Wie viele Menschen sind abgeschreckt, weil Christen sich zu heilig, zu perfekt geben? Weil sie unrealistische Standards vorleben? Abgehoben wirken? Und wie groß ist der Aufschrei, wenn diese scheinbar makellosen Heiligen dann bei etwas „Unchristlichem“ erwischt werden?

Schwäche macht nahbar

Ich möchte mehr Christen hören, die von ihren Zweifeln und Schwierigkeiten sprechen, anstatt ihr Leben für alle sichtbar mit heiligem Zuckerguss zu überpinseln, damit Nichtchristen an dieser pappigen Süßlichkeit kleben bleiben und glauben, so müsste sich ein Leben als Christ anfühlen. Ich möchte Menschen erleben, die sich weniger Gedanken um die Wirkung nach außen machen, sondern sich zeigen wie sie sind: Wie Menschen, die mit Fehlern, Ängsten, Zweifeln und Anfechtungen zu kämpfen haben und nicht immer siegreich daraus hervorgehen.

„Liebe Brüder und Schwestern!“,  schreibt Paulus zu Beginn des 1. Korintherbriefs. „Als ich zu euch kann und euch Gottes Botschaft brachte, die bisher verborgen war, habe ich das nicht mit geschliffener Rede und menschlicher Weisheit getan. Ich wollte bewusst von nichts anderem sprechen als von Jesus Christus, dem Gekreuzigten. Dabei war ich schwach und elend und zitterte vor Angst. Was ich euch sagte und predigte, geschah nicht mit ausgeklügelter Überredungskunst; durch mich sprach Gottes Geist und wirkte seine Kraft.“ (1. Korinther 2,1-5).

„Dabei war ich schwach und elend und zitterte vor Angst“. Und genau damit auch echt. Paulus war wohl eher keiner dieser dauerfreundlichen christlichen Dampfplauderer, die nie genervt sind, nie frustriert, und denen niemals ein böses Wort entschlüpft. Paulus war ein Mensch mit Schwächen, die er mit demonstrativer Demut zur Schau stellte. Was vielleicht auch eine seiner Schwächen war.
 

 Katrin Faludi

Katrin Faludi

  |  Redakteurin

In Offenbach geboren, mit Berliner Schnauze aufgewachsen. Hat Medienwissenschaft und Amerikanistik studiert, ist danach beim Radio hängengeblieben. Außerdem schreibt sie Bücher, liebt alles, was mit Sprache(n) und dem Norden zu tun hat und entspannt gerne beim Landkartengucken. Mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern wohnt sie in Bad Vilbel.

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Kommentare (2)

Martin /

Der Artikel hat mich sehr angesprochen. Christen sind keine perfekten Menschen. Auch ich bin Lichtjahre davon entfernt. Und auch ich kann nicht ständig mit dem Lächeln durch das Leben gehen. Auch ich mehr

Gast /

Ich glaube das was Gott wirklich wichtig ist, ist ein ehrliches Herz, auch vor anderen Menschen. Das ist authentisch.

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