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© Adrián Butcher / Gerth Medien

03.07.2018 / Interview / Lesezeit: ~ 4 min

Autor/-in: Heike Knauff-Oliver

„Wir sind Deutschland“ – wer gehört dazu?

Miteinander leben und miteinander lernen, wäre Idealfall gelungener Integration für Menschen mit und ohne Migrationshintergrund.

 

Doch die Realität sieht oft anders aus, weiß Yassir Eric aus Erfahrung. Er leitet das Europäische Institut für Migration, Integration und Islamthemen (EIMI) in Korntal. Er hat sich Flüchtlingsarbeit zur Lebensaufgabe gemacht. In Seminaren und Vorträgen versucht der aus dem Sudan stammende Mann unter anderem, besonders für die Situation der zweiten und dritten Generation Migranten zu sensibilisieren. Er zeigt auf,  wo Kinder und Jugendliche besondere Begleitung benötigen, um ihre Identität zwischen zwei Kulturen zu finden;  welchen Gefahren sie unterliegen, aber auch, dass sie die besten Brückenbauer sein können. Im Interview mit ERF Medien stellt sich der Islamkenner mit Migrationshintergrund den Fragen.

Muslime auf ihre Herkunft zu reduzieren ist ein Fehler

ERF: Integration von so vielen unterschiedlichen Kulturen und Religionen, geht das?

Yassir Eric: Anders zu sein sollte in Deutschland heutzutage kein Problem sein – Stigmata ist das Problem. Das Gesicht Deutschlands hat sich verändert. Deutschland ist längst nicht mehr homogen. Wir haben hier eine neue Dimension der Herausforderung. Die Hauptursachen für Integrationsprobleme sind Nationalität, Kultur und Religion. Aber Vielfalt macht auch stark.  Wenn wir von Menschen verlangen, sich zu integrieren, müssen wir ihnen sagen wie.  Wenn wir Menschen begegnen, sollten wir über ihre Geschichte sprechen und sie nicht nur auf eine Geschichte reduzieren. Wenn wir Muslime auf ihre Herkunft reduzieren, ist das ein Fehler. Wir sollten versuchen Muslime zu verstehen. Ihr Leben ist von der Religion geprägt. Sie leben ihre Religion. Alles ist davon geprägt: die Familie, der Beruf, alles. Das macht sie nicht gleich radikal. Der IS ist radikal - ganz anders.

Die Hauptursachen für Integrationsprobleme sind Nationalität, Kultur und Religion, sagt Yassir Eric, Leiter des Europäischen Instituts für Migration, Integration und Islamthemen.

ERF: Wenn wir sagen: „Wir sind Deutschland“, was und wer gehört dann dazu?

Yassir Eric: Die Frage nach Zugehörigkeit und Herkunft bewegt viele Menschen. Besonders aber diejenigen, die ihre Heimat verlassen haben, um in Deutschland ein neues Leben zu finden. Wenn wir von Migranten, Integration und Islam sprechen, haben wir in der Regel geflüchtete Menschen aus Syrien, Afghanistan, Iran und anderen arabischen und afrikanischen Ländern vor Augen. Menschen, die mit der großen Flüchtlingswelle 2015 hier nach Deutschland gekommen sind. Unsere Bilder von Migranten entsprechen nicht den Menschen  der zweiten und dritten Generation. Migranten der zweiten und dritten Generation können ideale Brückenbauer sein: Sie beherrschen meist mehrere Sprachen und wachsen mit zwei Kulturen auf.  Sie leben quasi zwischen zwei Kulturen.

Migranten der zweiten und dritten Generation können ideale Brückenbauer sein, sagt Yassir Eric, Leiter des Europäischen Instituts für Migration, Integration und Islamthemen.

ERF: Wie hat sich das Leben in Deutschland durch Flüchtlinge seit 2015 verändert?

Yassir Eric: Migranten in Deutschland sind nicht alle Flüchtlinge. Wir verlieren oftmals diejenigen aus den Augen, die schon viel länger in unserem Land leben. Mittlerweile leben Migranten schon in der dritten Generation in Deutschland. Die Kinder der ehemals hier Eingewanderten leben sehr unterschiedlich integriert. Manche sind sehr in der Kultur und Religion ihrer Eltern verwurzelt, andere fühlen sich als Deutsche, wieder andere stehen zwischen beiden Kulturen. Migranten zweiter und dritter Generation sind die besten Vermittler zwischen den Kulturen. Doch sie sind auch gefährdet, wenn sie auf Grund ihrer Herkunft in eine Identitätskrise geraden.

ERF: Wie steht es mit der Identitätsfindung und Kultur muslimischer Jugendliche?

Yassir Eric: Wir müssen die besondere Situation der zweiten Generation wahrnehmen. Sie sind in Deutschland geboren, sind hier zur Schule gegangen und fühlen sich als Deutsche. Mit der Flüchtlingswelle und den vielen Debatten diesbezüglich, sind auch sie wieder in ein anderes Licht geraten. Sie fühlen sich deutsch, aber werden nicht als Deutsche wahrgenommen. Auf der Suche nach Identität können sie leichte Beute für den IS werden. Dort erfahren sie Zugehörigkeit. Die Radikalisierung von muslimischen Jugendlichen ist ein großes Thema.  Man muss die muslimischen Bemühungen um die zweite Generation kennen. Islamverbände und Jugendarbeit sind besondere Herausforderungen. Es gibt viele Konflikte zwischen Eltern und Kindern in christlichen Migrationsgemeinden.

Teilnehmer des EIMI Integrationsseminars.
Teilnehmer des EIMI Integrationsseminars (Foto: Heike Knauff-Oliver).


ERF: Was können christliche Organisationen und Gemeinden tun, die sich um Integration bemühen?

Yassir Eric: Jugendarbeit mit Migranten der zweiten Generation ist ein Schlüssel und gleichzeitig eine große Herausforderung für deutsche Gemeinden. Wichtig ist, dass die jungen Menschen Anerkennung erfahren und Zugehörigkeit fühlen und erleben. Fragen wie: „Woher kommst du her und welcher Nationalität gehörst du an?“ sind da nicht sehr förderlich. Es gibt verschiedene Formen christlicher Jugendarbeit unter Jugendlichen zweiter Generation. Sie können die neuen Migranten verstehen. Sie sprechen ihre Sprache, ihre Kultur und sie kennen Deutschland. Sie können dieses Land, die Kultur, die Religion und die Menschen erklären. Sie können helfen und Mittler sein. Das ist ein Gewinn für alle. Wir am EIMI innerhalb der Akademie für Weltmission (AWM) in Korntal bilden Integrationsbegleiter aus, auch Menschen mit Migrationshintergrund. Sie bringen für diese Weiterbildung die besten Voraussetzungen mit. Sie darf als positive Ressource genutzt werden.

ERF: Vielen Dank für das Gespräch!



Yassir Eric

Yassir Eric ist 1972 in der Nähe von Khartum in Nordsudan geboren und dort aufgewachen.  Seit 1999 lebt er mit seiner deutschen Frau in Südwestdeutschland. Er ist ein hervorragender Kenner des Islam, auch aufgrund seines persönlichen Migrationshintergrunds. Als Redner ist er in Deutschland, Europa und im Mittleren Osten, sowie als Berater der Bundesregierung tätig.


Zwei weitere Interviews zum Thema

Bild: Elisabeth Reuter (links) und Marion Hoffmann, Koordinatorin EIMI für Integrationsbegleiter (Foto: Heike Knauff-Oliver)
Bild: Elisabeth Reuter (links) und Marion Hoffmann, Koordinatorin EIMI für Integrationsbegleiter (Foto: Heike Knauff-Oliver)
 

 

 

 

 

 

 

 Heike Knauff-Oliver

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Kommentare (2)

Jörg S. /

Es ist durchaus sinnvoll, den Islam zu verstehen. Vor allem seine Wurzeln - das Leben Mohammeds und den Koran. Nur so, wir die Gefahr deutlich, die diese Ideologie mit sich bringt. Eine Studie der mehr

Marianne H. /

Ich habe das Buch von Yassir Eric gelesen. Es hat mich sehr berührt und hilft mir, den Islam besser zu verstehen. Ich bin der Meinung, wir sollten uns besser informieren und mit Verallgemeinerungen aufhören!

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