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© Patrick Tomasso / unsplash.com

19.04.2019 / Kommentar zu Karfreitag / Lesezeit: ~ 7 min

Autor/-in: Andreas Odrich

Vom Car-Freitag zum Good Friday

Würde sich mein Google-Auto für mich opfern?

Kann uns der christliche Glaube dabei helfen, die Herausforderungen unserer digitalen Welt zu meistern? Was hat uns der Glaube an Jesus Christus zu bieten in einer virtuellen Welt der Algorytmen, und warum kann uns dafür gerade die handfeste Botschaft von Karfreitag einen Hinweis geben? Ein Kommentar von Andreas Odrich.
 

Mit leisem Summen schließt sich die Tür. Wahlweise kann ich aus dem Fenster schauen und die Landschaft  beobachten, die lautlos und immer schneller an mir vorbei schwebt. Oder ich schaue einen 3D-Film und blende die Welt da draußen mit Hilfe der sich allmählich verdunkelnden Scheiben aus. Das Ziel kennt mein Auto schon – eine Mischung aus fliegender Untertasse und bequemer Limousine. Kein Ärger mehr mit Stau und roten Ampeln. Der Verkehr ist filigran und millisekundengenau aufeinander abgestimmt. Ich könnte ohnehin nichts dazu beisteuern, seit das Verkehrsministerium das Eingreifen von Menschen in den Straßenverkehr als zu gefährlich eingestuft hat.

Was für eine schöne Welt - fast

Was für eine schöne Welt. Ich zahle nur die Kilometer und eine Art Grundgebühr, danach rauscht ein anderer Fahrgast mit dem selbstschwebenden Taxi davon. Ich habe es einfach per Sprachsteuerung über meine Suchmaschine Guggle-Mäpps-Juhu herbeigerufen. Doch plötzlich wird aus der rasanten Fahrt eine Achterbahntour. Durch die Scheiben sehe ich, wie wir auf einen Fußgängerüberweg zurasen. Links eine junge Familie, rechts ein paar junge Männer, die irgendwie geschäftsmäßig und wichtig aussehen mit ihren exakt geschnittenen Vollbärten und den Laptoptaschen. Wie kommen all die Leute dahin, und warum überqueren sie genau jetzt die Straße? Das ist doch gar nicht vorgesehen! Mein Gefährt kann nicht mehr ausweichen. Wen wird es opfern? Die junge Familie oder die Laptopzukunftsbartträger? Plötzlich schlagen wir einen Haken und rasen auf einen Pfeiler zu.

Oha – das bin ja ich!

Schlagartig merke ich, wer hier geopfert werden soll: Weißer Mann, deutlich über 50 Jahre, baldiger Rentenempfänger und Aspirant auf jede Menge altersbedingter Krankenkassenleistungen, oha, das bin ja ich – ein Knall. Es wird schwarz um mich herum und gleichzeitig hell. Ich schrecke hoch. Gott sei Dank, alles nur ein Traum. Ich befinde mich in meinem Bett und sortiere meine Gedanken.

Würde mein Google-Auto sich für mich opfern?

Ist das etwa die vielbeschworene Zukunft, würde mein Google-Auto sich für mich opfern oder würde es nach einer in Sekundenbruchteilen getroffenen Kostennutzenanalyse stattdessen mich gegen die Wand fahren? Genau das ist gar kein Alptraum einer schweren Nacht, denn solche ethischen Berechnungen werden im Angesicht selbstfahrender Autos schon seit einigen Jahren angestellt. Das Online-Magazin Scilogs-Spektrum malte diese tatsächlich wörtlich so genannte „Opa-Enkel-Abwägung“ schon im Jahr 2017 als ethisches Dilemma an die Wand. Und auch die Deutsche Welle fragte 2018: „Kann ein selbstfahrendes Auto ethisch handeln?“ und Zeit-Online nannte den Entscheidungsprozess, der in der Blackbox meines Taxis ablaufen würde, den Todesalgorytmus.

„Car-Freitag“ als Black Friday

So könnte der Car-Freitag, für den viele den Freitag vor Ostern halten, für den einen oder anderen zum Black Friday werden – nämlich immer für den, der am Ende der Kosten-Nutzen-Analyse auftaucht, und als letztes Glied in der Kette keine Chance hat.

Während wir das alles noch für albgeträumte Zukunftsmusik halten, weht in China längst der Fortschrittswind, und das aus unserer Sicht ziemlich schneidig. So werden die Verkehrsströme dort dank Datenerhebung aller Verkehrsteilnehmer gesteuert. Wo wir beharrlich in den Stau rauschen, sorgt Künstliche Intelligenz im Riesenreich von über einer Milliarde Menschen für geschmeidiges Fortkommen. Doch dafür wird das Individuum an anderer Stelle in seiner Entfaltung erheblich ausgebremst. Wenn die Berichte stimmen, dann bekommt in China, wer eine rote Ampel überquert, dank Gesichtserkennung seinen Strafzettel direkt aufs Handy und findet sich auf einem Videoscreen als Störenfried der öffentlichen Ordnung wieder. Damit sinkt sein sogenannter Sozialkredit und es drohen Einschränkungen der persönlichen Freiheit. So hat es schon 2017 der Deutschlandfunk in einem längeren Beitrag berichtet.

Wenn der digitale Sozialkredit steuert, was wir tun und lassen dürfen

Lassen wir uns davon anstecken, oder finden wir in der westlichen Welt unseren eigenen Weg? Wird sich eines Tages ein Pflegeroboter über mich beugen und entscheiden, ob es sich noch lohnt, einen selbstfahrenden Krankenwagen herbeizurufen, oder wird er mich am Kragen packen und mich zwangsernähren?

Die schlechte Nachricht: dies alles könnte uns in der neuen, braven Hightechwelt widerfahren. Die gute Nachricht: es liegt allein an uns, ob wir das wollen. Denn noch sind wir es, die die Maschinen programmieren und die ethischen Grundlagen dafür legen. Es ist eine Frage der Programmierung, wie mein selbstfahrendes Auto auf ein lebendes Hindernis reagiert. Und deshalb ist es von entscheidender Bedeutung, wie wir unsere digitale Welt gestalten und von welchen Werten wir uns leiten lassen.

Ausgerechnet der Karfreitag liefert Maßstäbe

Genau für diese Überlegungen ist der Karfreitag der richtige Moment. Und er wird dabei, wie man ihn im angloamerikanischen Raum nennt, zum Good Friday.

Was ist da am Kreuz geschehen, dass es noch in unsere modernen Zeiten passt, wie Charly Chaplin sie nannte, und wie Aldous Huxley sie in seinem Zukunftsroman Brave New World beschrieben hat. Was hat das Geschehen von Karfreitag den Dystopien entgegenzusetzen, die in den letzten Jahren reihenweise in Büchern und Filmen erschienen sind, und die nur noch eine schwarze Zukunft kennen, die dem Untergang geweiht ist? Was ist da mit dem Kreuzestod von Jesus Christus?

Gott opfert sich lieber selbst

Gottes Sohn lässt sich stellvertretend für die Schuld und die Verstrickung jedes einzelnen Menschen am Kreuz hinrichten. Gott gibt sich in seinem Sohn lieber selbst hin, als die Kälte und die Unnahbarkeit des Gesetzes walten zu lassen, nach der der Mensch selbst den Tod für seine Schuld verdient hätte. Menschen können dies ganz persönlich für sich in Anspruch nehmen, es kann aber auch zur Richtschnur für unser ethisches Handeln werden.

  • Da ist zum einen diese Botschaft, dass sich Gott lieber selbst opfert als uns.
  • Da ist zweitens die gute Nachricht, dass der Tod nicht ausweglos ist, weil durch die Auferstehung zu Ostern das Leben eine neue Chance bekommt und eben nicht alles schwarz und düster bleibt, wie in den vielen dystopischen Szenarien.

Gott gibt sich in seinem Sohn lieber selbst hin, als die Kälte und die Unnahbarkeit des Gesetzes walten zu lassen, nach der der Mensch selbst den Tod für seine Schuld verdient hätte.

Das Wohl des einzelnen zählt

Bei allem was wir tun, können wir die ausgestreckte Hand Gottes ergreifen, und in Beziehung mit ihm treten. So kann unser Handeln ausgefüllt werden mit seinem Atem, mit seinem Geist, mit seinem Esprit. Die Botschaft von Karfreitag und Ostern ist, dass Gott uns in Jesus Christus Heilung bringen will. Die Botschaft von Karfreitag und Ostern ist, dass das Wohl des einzelnen zählt, wenn Jesus dem Verbrecher am Kreuz, der neben ihm hängt, das Reich Gottes und seine Vergebung zusagt. Unser Wohl hängt eben nicht an abstrakten Zahlen oder an der Willkür totalitärer, politischer Systeme. Wir sind auch nicht Versicherungsmaklern ausgeliefert, die unsere Wertigkeit anhand digitaler Datensätze und unseren daraus abzuleitenden Sozialstatus und unseren Krankenkassenbeitrag taxieren. Tiefer als der geschändete Mörder am Kreuz können wir nicht sinken. Tiefer als Jesus, der uns mit seinem Armen auffängt, können wir erst recht nicht sinken.

Die Botschaft von Karfreitag und Ostern ist, dass das Wohl des einzelnen zählt, wenn Jesus dem Verbrecher am Kreuz, der neben ihm hängt, das Reich Gottes und seine Vergebung zusagt.

Christlicher Glaube genießt woanders hohes Ansehen

Haben wir dieses Zutrauen noch in die christliche Botschaft, oder ist sie gerade bei uns, im sogenannten christlichen Abendland, in Vergessenheit geraten? Der Journalist Markus Spieker schreibt in seinem Buch Übermorgenland, dass er im ostasiatischen Raum, dort also, wo unter anderem unsere digitale Zukunft geschmiedet wird, Menschen getroffen hat, bei denen der christliche Glaube ein hohes Ansehen genießt. Der christliche Glaube steht dort laut Spieker für Bildung, für Heilung und für Zuwendung zum einzelnen.

Christus stempelt nicht ab

Christus stempelt nicht ab. Christus trifft keine Wertigkeitsberechnungen. Christus beugt sich zu uns hinunter, er hilft uns auf, er heilt, verbindet und vergibt Sünden. Bei ihm gibt es kein Sozialpunktesystem. Jesus hat den Wert jedes einzelnen Menschen im Blick, weil jeder Mensch von Gott gewollt ist. Das ist handfeste Ethik. Sie ruft dazu auf, die Welt nicht einfach zu belassen wie sie ist, und verdammt uns auch nicht, einfach schicksalhaft auf uns zukommen zu lassen. Noch können wir steuern, noch können wir festlegen, wie unsere Welt aussehen kann und soll.

Keine Angst vor der Wissenschaft

Angst vor der Wissenschaft müssen wir dabei nicht haben. „Wissenschaft und Glaube ergänzen und bedingen einander. Sie sind kein Widerspruch.“ Das hat Max Planck gesagt, Entdecker der Quantentheorie und Wegbereiter einer modernen Forschung, auf der vieles basiert, von dem wir heute profitieren. Der christliche Glaube hat wesentlich zu unserer technischen Entwicklung beigetragen. Weil wir die Erde nicht platt machen sollen, sondern bebauen, bewahren und gestalten dürfen. Weil der Glaube sich nicht abfindet mit dem Status quo, sondern weil er anspornt, Dinge besser und anders zu machen.

Wissenschaft und Glaube ergänzen und bedingen einander. Sie sind kein Widerspruch. – Max Planck

Bei allem realistisch bleiben

Das Paradies auf Erden werden wir nicht schaffen können. Auch das haben wir inzwischen gelernt, gerade in der modernen neuen Welt. Als die Erbauer der Titanic mussten wir schmerzlich lernen, dass wir die absolute Sicherheit als Menschen nicht schaffen können. Aber gerade deshalb können wir auf die Bibel nicht verzichten. Und ebenso wenig auf Jesus. Die digitale Welt birgt Chancen und Risiken, wie die Technik schon immer Chancen und Risiken zugleich geboten hat. Mit Feuer kann man ein Haus anzünden, um jemanden zu vernichten, oder eine Suppe kochen, um jemandem etwas Gutes zu tun. Die Chancen wollen wir gerne nutzen, aber für die Risiken brauchen wir eben diese Ethik, und die Vergebung durch Jesus Christus, wenn wir uns an uns selbst überhoben haben.

 Andreas Odrich

Andreas Odrich

  |  Redakteur

Er verantwortet die ERF Plus-Sendereihe „Das Gespräch“. Er ist verheiratet, hat drei Kinder und ist begeisterter Opa von drei Enkeln. Der Glaube ist für ihn festes Fundament und weiter Horizont zugleich.

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