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© Ratiu Bia / unsplash.com

12.09.2014 / Lebenshilfe / Lesezeit: ~ 6 min

Autor/-in: Theresa Folger

„Tut tot sein weh?“

Kinder im Trauern begleiten.

Als Sophia sechs Jahre alt war, starb ihr Vater an einem Herzinfarkt. Gerade in den ersten Wochen nach seinem Tod versuchte sie, für die Mutter stark zu sein. Sie weinte kaum, tröstete die Mutter und machte ihr Komplimente, wie es der Vater immer getan hatte. Ihrer vierjährigen Schwester Marie dagegen merkte man die Trauer deutlich an. Sie wurde sauer auf Gott und sagte, dass sie ihn nicht mehr mag.

Wenn ein nahestehender Mensch stirbt, verändert sich das Leben aller Betroffenen schlagartig. Das Leben der Erwachsenen ebenso wie das Leben der Kinder. Es ist eine klaffende Lücke entstanden, mit der man umgehen lernen muss. Als Betroffener steht man vor einer doppelten Herausforderung, wenn man für ein oder mehrere Kinder verantwortlich ist. Zu der eigenen Trauer steht einem der Schmerz der Kinder täglich vor Augen. Wie gehen Kinder mit dem Tod um und wie kann man sie im Trauern begleiten? Darauf versucht dieser Artikel einige Antworten zu geben.

„Wann kommt Opa wieder?“

Jedes Kind verarbeitet den Tod einer nahestehenden Person unterschiedlich. Das hängt unter anderem von seinem Alter und seiner Reife ab, aber auch von der Beziehung zum Verstorbenen oder der Familienkonstellation. Kleine Kinder unter fünf Jahren können schwer verstehen, dass der Tod unumkehrbar ist. Für sie bedeutet Tod vor allem der Verlust von etwas oder jemand Wichtigem, der aber zurückkommen kann. Schließlich gehen auch die Eltern morgens auf die Arbeit – sind also für die Kinder weg – und kommen abends wieder. Daher kann es sein, dass sie den Verstorbenen zu suchen beginnen oder fragen: „Wann kommt Opa endlich wieder?“

Kinder im Schulalter verstehen zunehmend, was der Tod bedeutet. Oft stellen sie Fragen zu Dingen, die mit dem Tod einhergehen – wie der Ablauf der Beerdigung – und überlegen, wo der Verstorbene jetzt sein mag. Es kann auch vorkommen, dass sich ein Kind schuldig an dem Tod der Person fühlt. Vielleicht hat es dem Betreffenden einmal in kindlicher Wut entgegengeschleudert: „Ich wünschte, du wärest tot.“ Deshalb ist es ganz wichtig, einem Kind zu vermitteln, dass es in keiner Weise Schuld an dem Tod der Person hat. Außerdem kann es helfen, dem Kind zu erklären, wie es zu dem Todesfall gekommen ist.

Über den Tod ins Gespräch kommen

Kinder sind nicht zu klein, um sich mit dem Tod auseinanderzusetzen – auch wenn sie die Tragweite des Todes erst mit zunehmender Reife erfassen können. Gerade bei kleinen Kindern ist eine wohlüberlegte Wortwahl wichtig, damit sie keine falsche Vorstellung davon bekommen, was tot sein bedeutet. Hört ein Kind zum Beispiel, der Tote sei eingeschlafen und nicht wieder aufgewacht, dann entwickelt es möglicherweise Ängste vor dem Zubettgehen. Hilfreicher ist es zu erklären, was die Konsequenzen des Todesfalls für das Kind sind: „Opa kann dich nicht mehr in den Kindergarten bringen“ oder „Wir können sonntags nicht mehr zum Mittagessen zu Tante Ina fahren.“

Kindgerechte Aufklärung ist ebenfalls sehr wichtig, wenn ein Kind mit zur Beerdigung kommt. Grundsätzlich gibt es keine Altersgrenze dafür, aber das Kind sollte darauf vorbereitet sein, was bei einer Bestattung passiert. Da die Atmosphäre und die Abläufe dem Kind fremd sind, kann es sonst sehr verunsichert werden. Möglicherweise fängt es auch an zu stören. Ich erinnere mich noch, dass ich mit drei Jahren bei einer Beerdigung dabei war. Mein Vater nahm mich auf die Schultern, damit ich den Sarg sehen konnte. Ich wusste aber gar nicht, was ein Sarg ist und was ich da zu sehen hatte. Daher quengelte ich die ganze Zeit: „Ich kann nichts sehen.“

Wenn die Abläufe vorher erklärt wurden, wissen Kinder besser, was sie erwartet. Oft kommen sie auch selbst mit Fragen: Liegt da im Sarg wirklich jemand drin? Wie fühlt sich tot sein an? Was passiert jetzt mit der Person? Vielleicht erscheinen Kinder pietätlos, wenn sie so viele Fragen stellen, und das oft zu einem unpassenden Zeitpunkt. Aber es zeigt, dass sie sich intensiv mit dem Todesereignis auseinandersetzen und versuchen, es einzuordnen. Daher ist es gut, diese Fragen ernst zu nehmen und aufrichtig zu beantworten. Manchmal fehlen Erwachsenen selbst die Antworten, gerade wenn es um die Warum-Frage geht. Aber das kann das Kind auch erfahren.

Trauerbewältigung in Etappen

Nach dem Tod einer geliebten Person kann es sein, dass sich das Verhalten eines Kindes plötzlich ändert. Vielleicht schläft es nicht mehr gut oder es fällt in kleinkindliches Verhalten wie Bettnässen und Daumenlutschen zurück. Möglicherweise entwickelt das Kind auch starke Ängste, dass die Eltern weggehen und nicht wiederkommen. Auch Schuldgefühle und Vorwürfe gegen sich und andere können auftreten. Als Erwachsene können wir uns nicht immer in die Gefühlswelt eines Kindes hineinversetzen. Vielleicht verstehen wir manche Reaktionen überhaupt nicht. Da kann es helfen zu wissen, dass dieses Verhalten eine normale Trauerreaktion ist.

Die Trauerbewältigung verläuft bei Kindern in verschiedenen Etappen. Auf eine kurze Zeit des Schocks und der starken Gefühlskontrolle folgt in der Regel eine Zeit des Kummers und schließlich die Wiederannäherung an das Leben. Diese Phasen sind aber nicht klar voneinander abzugrenzen und treten auch nicht so kontinuierlich wie bei Erwachsenen auf. Ein Kind kann in einem Moment hemmungslos weinen und sich im nächsten Moment wieder seinem Lieblingsspiel zuwenden. Ausgelassenes Spielen bedeutet nicht, dass ein Kind das traurige Ereignis schon vergessen hat. Aber es tritt für den Moment in den Hintergrund.

Gemeinsam Erinnerungen aufrecht erhalten

Während der Trauerzeit ist es für Kinder wichtig, Sicherheit bei einer Bezugsperson zu finden. Wenn möglich, sollte sich der tägliche Rhythmus durch den Todesfall nicht völlig verändern. Alltägliche Rituale und ein fester Tagesablauf geben Sicherheit und Ruhe. Wenn man als Elternteil selbst unter dem Verlust der Person leidet, fällt es manchmal schwer, seinem Kind diese Aufmerksamkeit zu geben. Da kann es helfen, jemanden von außen miteinzubinden, der nicht so stark persönlich betroffen ist. Man braucht aber die eigene Trauer auch nicht vor den Kindern zu verstecken. Es ist hilfreich, Kummer und Trauer in der Familie zu teilen. Dadurch können Kinder lernen, auch ihrer eigenen Trauer Ausdruck zu verleihen und den Todesfall zu verarbeiten.

Außerdem ist es wertvoll für Kinder, die Erinnerung an den Verstorbenen gemeinsam aufrechterhalten. Die Mutter von Sophia und Marie spricht viel mit ihnen über den verstorbenen Vater. Sie erinnern sich an die Scherze, die er immer gemacht hat. Außerdem malen die Mädchen Bilder für ihren Vater. Im Spielen und Malen können die Kinder so ihrer Trauer Ausdruck verleihen.

Gespräche über den Himmel

Eine weitere Möglichkeit ist, gemeinsam die Kinderbibel aufzuschlagen. In den Psalmen werden viele Gefühle ausgedrückt, in denen sich Kinder wiederfinden: Kummer und Angst, aber auch Unverständnis und Zorn über das Geschehene. Zugleich wird in den Psalmen deutlich, dass der Schreiber weiterhin an Gott festhält. So können die Kinder lernen, dass Gott nicht alles verhindert, aber dass er uns trotzdem nie verlässt. In einem gemeinsamen Gebet können die Kinder Gott erzählen, wie es ihnen geht – auch, wenn sie sauer auf ihn sind.

Auch in biblischen Gleichnissen und Erzählungen wird der Tod thematisiert, zum Beispiel bei der weinenden Maria am Grab Jesu. Solche Geschichten können Anlass dafür sein, über den Himmel ins Gespräch zu kommen. Wie es genau dort aussieht, wissen wir selbst nicht. Aber wir wissen, dass der Himmel ein schöner Ort sein wird, wo niemand mehr traurig ist. Das können wir Kindern weitergeben und sie fragen, wie sie sich den Himmel selbst vorstellen. Hoffnung kann auch der Gedanke geben, den Verstorbenen eines Tages  wiederzusehen. Wenn dieser nicht gläubig war, reicht es zu sagen, dass Gott entscheidet, wo die Person ist. Nur er kennt das Herz des Menschen und weiß, was dieser in der Todesstunde gedacht und gebetet haben mag.

Gemeinsam ins Leben zurückfinden

Sophia und Marie sind immer noch sehr traurig darüber, dass ihr Papa gestorben ist. Und ihre Mutter hätte sie vor dieser furchtbaren Erfahrung und der anschließenden Trauerzeit am liebsten bewahrt. Leider geht das nicht. Aber es hilft Kindern, die Trauer in Begleitung zu durchleben. Gemeinsam weinen, gemeinsam nach Antworten suchen – das erleichtert, den Tod des geliebten Menschen langsam zu bewältigen. Und sich dann, Stück für Stück, dem Leben neu anzunähern.


Quellen:

 

 Theresa Folger

Theresa Folger

  |  Redakteurin

Diplomkulturwirtin und Redakteurin, beschäftigt sich vor allem mit den Themenfeldern „mentale Gesundheit“ und „Persönlichkeitsentwicklung“. Mit ihren zwei aufgeweckten Mädels entdeckt sie dabei regelmäßig neue spannende Aspekte.

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