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© Regina König / ERF

25.05.2017 / Reportage / Lesezeit: ~ 3 min

Autor/-in: Regina König

„Man sieht sich.... “ in Dessau!

Eindrücke vom kleinsten und vielleicht persönlichsten „Kirchentag auf dem Weg“.

„Du siehst mich“ - Dessau macht ernst mit dem Kirchentagsmotto: Kaum bin ich angekommen, laufe ich auf dem Markt Kirchenpräsident Joachim  Liebig in die Arme. „Schön, Sie zu sehen!“ Noch sind wenig Menschen unterwegs und kurz drauf bummele ich mit einem älteren Ehepaar durch die Innenstadt; ich hatte sie nur nach dem Weg gefragt, sie haken mich direkt unter und bringen mich zur Wissenschaftsbibliothek. Unterwegs erzählen sie mir, dass sie zu keiner Kirche gehören, aber beim Kirchentag machen sie natürlich mit! Sind alle Dessauer so freundlich?

„Schön, Sie zu sehen!“

Noch dauert es knapp zwei Stunden, bis der Festgottesdienst auf dem Markt beginnt.  Die Innenstadt wirkt recht menschenleer. Und ich sehe schon wieder einen Bekannten: Johannes Killyen, Pressesprecher der evangelischen Kirche Anhalts. „2000 Gottesdienstbesucher werden erwartet“, ruft er mir zu. `Ob das hinhaut?` frage ich  mich und gucke mir erst mal das Stadtschoss an, das sich stolz inmitten von Plattenbauten behauptet. Im Schloss wartet die „Schatzkammer der Reformation“. Eintritt frei, wegen Kirchentag. Neben Cranachs „Dessauer Abendmahl“ gibt es hier etwas ganz Besonderes zu sehen: Eine Original-Mitschrift von Luthers Vorlesung über den Römerbrief. Vor zwei Jahren wurde sie aufgenommen in das Weltdokumentenerbe der UNESCO.

„Schatzkammer der Reformation“

Auf dem Rückweg zum Marktplatz gucke ich in die Marienkirche rein; hier hat Martin Luther oft gepredigt, die Dessauer Fürsten führten früh die Reformation in ihrem Herrschaftsgebiet ein. Heute ist die Kirche keine Kirche mehr, sondern ein öffentliches Veranstaltungszentrum. Zu wenig Christen gibt es in Dessau, um alle Kirchengebäude zu unterhalten. Mit etwa 15% Konfessionszugehörigkeit gehört Sachsen-Anhalt zu den religionslosesten Regionen der Welt.

Mittlerweile knurrt mein Magen, doch bis das angekündigte „Anhaltmahl“ beginnt, dauert es noch etwa  zwei Stunden. Die 500 Meter lange Tafel ist schon aufgebaut quer durch die Innenstadt, aber beunruhigt stelle ich fest: Da ist ja noch gar nichts gedeckt! Haben die Dessauer doch nicht genug Vereine gefunden, die eine Tisch-Patenschaft übernehmen wollten? Während ich darüber nachgrüble, läuft mir mal wieder Pressesprecher Johannes Killyen über den Weg – er sieht mich, bleibt stehen und  beruhigt mich: Alles läuft nach Plan, gedeckt wird erst nach dem Gottesdienst! Der beginnt kurz drauf auf dem Marktplatz in der Abendsonne.

Gott aus dem Blick verloren

Und tatsächlich: Der Platz hat sich gefüllt. Mit den Posaunen kommt Kirchentagsstimmung auf. Joachim Liebig, Kirchenpräsident der evangelischen Kirche Anhalts, macht klar: „Gott blickt uns an auf Augenhöhe, denn in Jesus ist Gott Mensch geworden.“ Aber: „Wir haben Gott aus dem Blick verloren.“ Liebig fordert auf, den Blickwinkel zu wechseln: „Denn es genügt nicht, nur auf uns selbst zu sehen. Lasst uns anders unsere Nächsten angucken – in der Gewissheit: Gott sieht uns!“

Mit meinem Laptop auf den Knien sitze ich auf dem Marktplatz und verfolge den Gottesdienst, schreibe mit. Ganz vertieft in meinen Text bekomme gar nicht mit, dass mich jemand ansieht: „Müssen Sie auch heute am Feiertag arbeiten?“ Ein Ehepaar hat mich beobachtet, ich nicke. „ Dann wünschen wir Ihnen Gottes Segen!“ Den Nächsten in den Blick nehmen, in Dessau wird das offenbar sofort nach der Predigt umgesetzt!

 

 

2500 Gäste beim „ Anhaltmahl“

Und dann  beginnt das lang ersehnte „Anhaltmahl“: Etwa 200 Kirchgemeinden Vereine und Institutionen bitten zu Tisch. Fast alle Plätze sind ruckzuck besetzt, 2500 Kirchentagsgäste lassen sich einladen zum open-air-Abendbrot in der Innenstadt.  Ich entdecke eine Lücke beim Verein „Anhaltische Landeskunde“. Flugs wird mir eine Tasse Kaffee eingeschenkt und das Lutherbrot geschnitten: „Wie schön, Sie kommen extra aus Döbeln zu uns!“ Zwischen Frikadelle und Käsespieß kommt schnell ein Gespräch in Gang, Dessauer sitzen am Tisch und betonen: Die Stadt ist viel besser und lebenswerter als ihr Ruf! Das glaube ich auf´s Wort und sehe am Nachbartisch „alte Bekannte“: Das Ehepaar, das mich vorhin durch die Stadt geführt hat! Sofort wollen sie wissen, ob ich alles gefunden habe - na klar!

Langsam sollte ich den Heimweg antreten, mein Tischnachbar rät mir noch: „Nehmen Sie von jedem Tisch einen Happen mit!“ Gute Idee, doch die Brezeln, Gemüsetartes, Schnittchen, Kuchen, Weintrauben, Äpfel, Birnen und Salate würden sogar meinen gesunden Hunger überfordern…. Was ich auf jeden Fall mitnehme, das ist der Eindruck: „man sieht sich“ in Dessau!


Alle weiteren Informationen zum Kirchentag finden Sie auf unserer Sonderseite Kirchentag bei ERF Medien.

 Regina König

Regina König

  |  Redakteurin

Für ERF Plus in Mitteldeutschland unterwegs. Sie ist verheiratet und hat vier Kinder.

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