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12.05.2017 / Buchauszug / Lesezeit: ~ 3 min

Autor/-in: Tanja Rinsland

Der Gestapo entkommen

Ein Wunder rettet den tschechischen Christen Přemysl Pitter vor dem KZ.

Autobiografie „Unter dem Rad der Geschichte“ von Premysl Pitter
Autobiografie „Unter dem Rad der Geschichte“ von Přemysl Pitter

Der tschechische Christ und Erzieher Přemysl Pitter trägt den israelischen Ehrentitel „Gerechter unter den Völkern“. Sein ganzes Leben engagierte er sich für Kinder und Jugendliche - auch, als 1939 die Nationalsozialisten in die damalige Tschechoslowakei einmarschierten. 1933 hatte er das „Militsch-Haus“ in Prag gegründet: ein offenes Zuhause für die Familien der Stadt. Tagsüber betreuten Pitter und seine Mitarbeiter die Kinder der Arbeiterfamilien, verteilten Lebensmittel, gaben Musik- und Bibelunterricht. Außerdem fungierte das Haus als Kinderheim. Viele der Besucher des „Militsch-Hauses“ waren Juden. Nach der Besatzung Prags durch die Nationalsozialisten wurde jegliche Unterstützung der jüdischen Familien untersagt. Trotzdem setzten Pitter und seine Mitarbeiter alles dran, ihre Schützlinge weiter mit Lebensmitteln und geistlichen Impulsen zu versorgen. Durch ihren Einsatz riskierten sie, selbst ins KZ eingeliefert zu werden.

Seine außergewöhnliche Autobiografie „Unter dem Rad der Geschichte“ wurde von Sabine Dittrich überarbeitet und ist als Neuauflage im Neufeld Verlag erschienen. Hier ein Auszug aus dem Buch.

Besuch von der Gestapo

Eines Tages erschienen im Militsch-Haus zwei Herren und stellten sich als Beamte der Gestapo vor. Sie besahen sich das von fröhlichen Kinderstimmen erfüllte Heim. Der eine, offenbar der Chef, fragt mich dann über Entstehung, Zweck, Finanzierung und Erziehungsmethoden des Militsch-Hauses aus. Er wolle auch meinen eigenen Lebenslauf kennen lernen. Am Ende fragte der andere leise: „Soll ich eine Hausdurchsuchung machen?“

„Jetzt nicht“, antwortete der Vorgesetze.

Sie gingen mit dem Befehl weg, ich solle mich am nächsten Tag im berühmten Petschek-Palais – dem Hautquartier der Gestapo – einstellen. Tschechen kamen dort nicht mehr als freie Menschen heraus. Also würde ich wie mein guter Freund Jaroslav Simsa und viele andere ins Konzentrationslager wandern. Ich zog doppelte Wäsche an, nahm die allernötigsten Toilettensachen mit. Ich hatte keine Ahnung, welches meiner „Verbrechen“ aufgedeckt worden war.

„Sie verstecken jüdische Kinder!“

Ich betrat ein Zimmer, ausstaffiert mit dicken Teppichen und Palmen. Am großen Schreibtisch saß der Mann, der mich gestern ausgefragt hatte. Er forderte mich auf, in einiger Entfernung Platz zu nehmen. Dicht neben mich setzte sich jener zweite Mann, jetzt in SS-Uniform. Der Beamte, allen Anschein nach im höheren Rang, blätterte in Schriftstücken. Dann ließ er sich, ohne auch nur aufzuschauen, noch einmal mein ganzes Leben erzählen. Wie es zum Bau des Militsch-Hauses kam, wozu es diene, was für Kinder es beherberge. Plötzlich unterbrach er mich:

„Aber sie verstecken jüdische Kinder, besuchen jüdische Familien, bringen ihnen Milch und Lebensmittel, Sie helfen ihnen mit Ausrüstung für den Transport.“ (in die Konzentrationslager. Anm. der Redaktion).“

Er sagte es ruhig und leise. „Das ist wahr“, antwortete ich. „Aber vom, menschlichen Standpunktaus werden Sie es wohl verstehen.“

Eine lange Stille trat ein. Und dann kam es wiederum leise: „Sie können gehen.“ Der seitlich an mich gepresste SS-Mann schaute überrascht auf. Ich begriff nicht. „Sie können gehen“, kam es von neuem.

Ein Wunder mitten im Nazi-Schrecken

Ich stand auf, nahm mein Köfferchen, ging mit einer Verbeugung hinaus. Als ich bereits im Korridor stand, fiel mir ein, ich sollte mich doch erkundigen, wie’s eigentlich mit mir stünde!

Ich kehrte zurück und fragte: „Werde ich nicht wieder vorgeladen?“ „Ich glaube nicht“, lautete die ruhige Antwort.

Ich war unfähig, etwas anderes zu denken, als nur das eine, dass ich diese Toilettensachen umsonst mitgenommen hatte…

Zurück im Militsch-Haus. Ich öffnete die Tür zu jenem Zimmer, in dem ich mich vor kurzem von meinen Freunden verabschiedet hatte. Immer noch saßen sie zusammen, versunken im stillen Gebet. Sie sahen mich an, als wäre ich eine Erscheinung.

Gleich nach dem Kriege forschte ich nach meinen ruhigen Untersuchungsbeamten. Ich fand heraus: es war Dr K. gewesen, Leiter der Abteilung für die Liquidierung der Juden. Er und seine Kollegen wurden in der Mai-Revolution von der wütenden Menge im Petschek-Palais erschlagen.


Buchauszug aus „Unter dem Rad der Geschichte“, von Přemysl Pitter. Neuauflage überarbeitet von Sabine Dittrich. Mit freundlicher Genehmigung des Neufeld Verlags.

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Kommentare (1)

Markus /

Irgendwie erinnert mich das Ganze an die Geschichte mit Petrus. :-)

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