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05.01.2016 / Feature / Lesezeit: ~ 6 min

Autor/-in: Christine Keller

Der echte Walter White

Besser als im Film: Der Meth-Koch aus Alabama ergreift eine zweite Chance.

„Hat Walter White nach dem, was er getan hat, eine zweite Chance verdient?“  Die Reporterin fragt leise und mit ruhiger Stimme. Walters Sohn Cris guckt nicht direkt in die Kamera, sondern zur Reporterin. Er zögert mit seiner Antwort keine Sekunde, sodass er die Frage fast unterbricht. „Absolut. Ja, das hat er.“ Diese Szene stammt nicht aus der preisgekrönten US-Serie „Breaking Bad“, sondern aus dem wahren Leben. In der fiktionalen Welt gibt es kein Happy End für den Meth-Koch Walter White. Der wirkliche Walter White aus Alabama, der von seinem gekochten Meth nicht nur finanziell abhängig wird, kann sein Leben jedoch ein zweites Mal beginnen.

"Breaking Bad" ist eine US-amerikanische Fernsehserie von Vince Gilligan. Hauptperson ist Walter White, der nach seiner Krebsdiagnose in das Drogengeschäft einsteigt, damit seine Familie nach seinem Tod versorgt sein würde. Hier bekommen Sie mehr Informationen zur Serie.

Zwischen Walter White aus „Breaking Bad“ und dem echten Walter White gibt es auf den ersten Blick kaum Gemeinsamkeiten: Der wirkliche Walter White ist nicht studierter Chemiker, sondern arbeitet als Bauarbeiter. Er ist auch nicht an Krebs erkrankt, sondern lernt lediglich jemanden kennen, der ihm die Tür in die Kriminalität öffnet. Wie es nach dem Einstieg in die Drogenwelt für Walter White weitergeht, kann man sich jedoch anhand der US-Serie gut vorstellen:  Er verdient so viel Geld, dass er es kaum ausgeben kann, nimmt dafür eine kaputte Familie in Kauf und hat die Polizei im Nacken sitzen.

Das beste Meth in ganz Alabama

Der junge Walter White aus Alabama ist handwerklich begabt. Er arbeitet im Baugewerbe und verdient gutes Geld. Er ist zufrieden. Er heiratet und zieht mit seiner Frau in ein Haus. Später kommen zwei Söhne dazu: Cris und Steven. Als nach einigen Jahren Familienleben ein Bekannter ihm zeigt, wie man mit Versicherungsbetrug einen Haufen Geld verdienen kann, leckt Walter White Blut. Dann stellt er fest, dass noch mehr möglich ist: Ein Insider führt ihn in die Drogenwelt ein. Mit dem Kochen von Meth lässt sich noch viel mehr Geld verdienen – mehrere Tausend Dollar am Tag. Walter arbeitet zunächst im Baugewerbe weiter. Dann fehlt er ein paar Stunden, später mehrere Tage in jeder Woche. Sein Doppelleben fällt mehr und mehr auf.  

Das schnelle Geld reizt ihn zu sehr. Er beschließt, sich komplett der Droge Crystal Meth zu widmen. Denn er ist gut in dem, was er tut. „Zehn Jahre lang habe ich das beste Meth in ganz Alabama gekocht. Wer gutes Meth wollte, musste zu mir kommen“, beschreibt Walter White seine Karriere. Er arbeitet professionell und schnell. Das liegt vermutlich auch daran, dass er an seinem Arbeitsplatz wohnt: Walter White kocht die Drogen in einer Hütte neben seinem Einfamilienhaus. Die Kochstelle ist vielleicht zehn Schritte vom Schlafzimmer seiner Söhne entfernt.

Ein gebrochener Mann

Walter beginnt immer mehr, in seiner eigenen Welt zu leben. Seine Familie gerät in den Hintergrund. „Ich habe in einem Zuhause gewohnt, wo mein Vater Meth gekocht hat und ich durfte natürlich nicht darüber reden, auch nicht mit meinen Freunden“, sagt Steven und zieht dabei seine Schultern hoch. „Ich musste alles einfach für mich behalten.“ Doch es wird noch schlimmer: „Mein Vater hat mich physisch und psychisch missbraucht“, fasst Cris White seine Kindheit zusammen – ohne weitere Details zu nennen. Somit bleibt es der Fantasie überlassen, sich vorzustellen, wie das Familienleben der Whites ausgesehen haben mag. Walters Frau lässt sich, nicht lange nachdem seine Drogenkarriere losgeht, von ihm scheiden.

Währenddessen genießt Walter die Früchte seiner Arbeit – in Form von Trucks, Motorrädern oder teuren Werkzeugen. Er kann sich alles leisten, was er sich wünscht. „Der Lebensstil passt sich dem Verdienst einfach an. Es fiel mir gar nicht schwer, so viel Geld auch auszugeben“, sagt Walter White. Dann wird die Polizei  auf ihn aufmerksam. Im Jahr 2008 wird Walter unter anderem wegen dem Handel von Methamphetamin angeklagt und muss ins Gefängnis.

Als er wieder auf freiem Fuß ist, setzt er seine Drogenkarriere fort. Irgendwann probiert er seine eigenen Drogen und wird abhängig. Das merkt er allerdings nicht sofort. „Ich hatte immer Drogen um mich herum und brauchte deswegen keine Angst zu haben, dass mir die Drogen ausgehen würden.“ 2012 muss er wieder ins Gefängnis. „Als ich nach meiner ersten Nacht im Gefängnis aufgewacht bin, war ich ein gebrochener Mann: Seelisch, geistlich, körperlich.“

Ein Teufelskreis wird durchbrochen

Einen gewalttätigen und später abwesenden Vater zu haben, wirkt sich auch auf die Söhne aus: Cris hat sich in seiner Teenagerzeit alleine gefühlt und deswegen Zuflucht in Alkohol und Drogen gesucht. Außerdem hat er sich ständig geprügelt. „Ich wollte einfach, dass jemand sieht und fühlt, wie es mir geht.“ Auch an Steven geht die Erfahrung nicht spurlos vorbei. Er wird drogenabhängig. Steven heiratet, seine Ehe scheitert jedoch. Cris heiratet, betrügt seine Frau und zeigt seinen Kindern wenig Liebe. Irgendwann will auch seine Frau einen Schlussstrich ziehen. Walter, Steven und Cris gehen alle gleichzeitig durch die Hölle, wie Cris es im Nachhinein beschreibt, jeder für sich alleine. Kontakt haben die drei Männer untereinander nämlich nicht mehr.

Als Cris‘ Frau sich von ihm trennt und er seinen Job verliert, ist er völlig verzweifelt. Er weiß nicht, wohin er gehen soll und landet schließlich auf seinen Knien, weint und sagt: „Gott, wenn es dich gibt – ich brauche dich jetzt. Du musst jetzt auftauchen.“ Als Cris die Situation schildert, werden seine Augen feucht. Erinnerungen und Gefühle scheinen wieder zum Leben zu erwachen. Der Hilferuf verändert ihn. Er bittet seine Frau um eine zweite  Chance. Rund eine Woche später kommt sie zurück und die beiden beginnen, sich auszusprechen. Sie beschließen, an ihrer Beziehung zu arbeiten. Ein Heilungsprozess setzt sich in Gang. „Gott hat uns die Schmerzen und Wunden der Vergangenheit genommen und uns dabei geholfen, uns neu ineinander zu verlieben.“

„Kannst du mich abholen?“

Cris und seine Frau bauen ein neues Leben auf. Ein fester Bestandteil darin ist Gott. Aus diesem Grund beginnen sie, gemeinsam in die Kirche zu gehen. Ihr Leben läuft in geregelten Bahnen. Dann ruft Steven völlig verzweifelt an: „Cris, kannst du mir helfen?“ Steven zieht darauf bei Cris‘ und seiner Frau ein. Auch er beginnt, Gott kennenzulernen. Und er kommt in diesem Prozess mit etwas in Berührung, das sein Leben völlig auf den Kopf stellt: Vergebung. Dadurch, dass Gott Steven vergibt, kann Steven sich selbst vergeben. Schließlich lernt er sogar, seinem Vater zu vergeben.

Cris erlebt Stevens Veränderungen ganz nah mit. Irgendwann taucht der Gedanke auf: Er wünscht sich dieselbe Veränderung für seinen Vater. Darum beginnt Cris, für seinen Vater zu beten. Ein ganzes Jahr lang betet er. Dann erhält Cris plötzlich einen Anruf – von seinem Vater. Der ruft aus dem Gefängnis an und fragt: „Kannst du mich abholen?“ Der Richter hat seine Kaution auf 10.000 Dollar heruntergesetzt. Walter White sieht nun eine Chance, das Gefängnis verlassen zu können und einen Entzug zu machen. Cris holt Walter nicht nur aus dem Gefängnis ab; er und einige Freunde aus der Kirche legen auch die 10.000 Dollar zusammen, damit Walter das Gefängnis verlassen darf. Wovon Cris und Steven nichts wissen: Walter hat sich als Entzugsklinik „The Foundry“ ausgesucht, eine christliche Organisation, zu der auch Cris schon Kontakt gepflegt hat. Als Cris seinen Vater dorthin bringt, stellt er eine Bedingung: „Ich leite hier einen Bibelkreis. Und ich will, dass du daran teilnimmst.“

Auf in ein altes neues Leben

Walter geht darauf ein. Er nimmt an der Kleingruppe teil und findet auch sonst guten Anschluss an die Gruppe. „In ‚The Foundry‘ habe ich Gottes Gegenwart gespürt wie niemals zuvor. Mein Herz wurde geheilt von allem, was mich vorher belastet hat,“ sagt Walter White. Und seine Last war alles andere als klein: Eine kaputte Ehe, ein selbstbezogenes Leben, Kriminalität. Walter White kann nicht mehr rückgängig machen, was er getan hat. „Ich bekomme auch nie die Jahre zurück, die ich verloren habe“, sagt er und schließt kurz die Augen. Die Konsequenzen seiner kriminellen Karriere muss er auch weiterhin tragen – 2014 wird er nochmal zu einer Haftstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Aber er geht als anderer Mensch ins Gefängnis. „Dieses Mal tue ich niemandem mehr weh, außer mir selbst.“ Walter White hat Frieden mit seiner Vergangenheit geschlossen und einen Neuanfang gewagt. Und diese neue Chance kann ihm auch die Haftstrafe nicht nehmen. 

 Christine Keller

Christine Keller

  |  Redakteurin

Hat in der Redaktion von ERF Jess gearbeitet. Ist ansonsten als freie Journalistin auch online und hinter der Kamera unterwegs. Sie hat Hummeln im Hintern, was aber nicht weh tut. Sie liebt es, To-Do-Listen zu schreiben und abzuhaken. Wenn‘s doch mal entspannt sein soll, nimmt sie gern ein gutes Buch zur Hand.

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