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© Open Doors

06.01.2011 / Interview / Lesezeit: ~ 5 min

Autor/-in: Tobias Schier

Christen in Not: Weltverfolgungsindex 2011

In welchen Ländern werden Christen am meisten verfolgt? Ein Interview mit Markus Rode, Leiter des christlichen Hilfswerks "Open Doors" in Deutschland.

ERF Pop: Herr Rode, wie kommt denn dieser Weltverfolgungsindex zustande?

Markus Rode: Es ist wichtig, dass man in den Ländern, die im Weltverfolgungsindex abgebildet werden – also in Ländern, wo die Verfolgung am härtesten ist - auch vor Ort präsent ist. Das ist der Fall bei Open Doors. Das heißt, wir sind in Kontakt mit der Untergrundkirche, mit den verfolgten Christen – und das seit vielen Jahren. Und jedes Jahr wird anhand eines Fragenkataloges abgefragt: Wie ist die Situation im Land? Hat es verfassungsmäßig Veränderungen gegeben? Durch diese Informationen aus erster Hand bekommen wir ein Bild, das jedes Jahr neu gemacht wird.

ERF Pop: Das ist jetzt der 18. Weltverfolgungsindex. Wofür machen Sie das jedes Jahr aufs Neue? Was bringt das Ganze?

Markus Rode: Es ist sehr wichtig, dass wir in der freien Welt im Westen als Christen aber auch als Öffentlichkeit davon erfahren, dass rund 100 Millionen Christen in vielen verschiedenen Ländern sehr hart verfolgt werden, die keine Stimme haben. Das heißt, wir wollen darüber informieren: Wie geht es den Christen in diesen Ländern, die keine Stimme haben. Was sind ihre Umstände? Und wie können wir ihnen helfen?

ERF Pop: Nach welchen Kriterien gehen Sie denn vor? Wann werden Christen in einem Staat verfolgt?

Markus Rode: Verfolgung ist natürlich ein weiter Begriff, der auch in das Thema Diskriminierung übergeht. Nur um mal ein Beispiel zu nennen: Steine fliegen gegen das Haus eines Christen und es wird von draußen gerufen: „Wenn du noch einmal zu einem Gottesdienst gehst, dann bringen wir dich um oder dann schlagen wir dich zusammen.“ Das wird dann von dem einen vielleicht noch als Diskriminierung verstanden, denn es ist ja noch nicht kein Mord vollzogen worden oder die Menschen sind noch nicht zusammengeschlagen worden. Aber für die meisten Christen, die wir kennen, die in Verfolgung leben, ist das wirklich Verfolgung und nicht Diskriminierung. Also der Grat zwischen Verfolgung und Diskriminierung ist fließend. Aber gerade da, wo Christen unter Druck sind, kann man das nicht in zwei Teile trennen und sagen: Na, das war ja nur Diskriminierung. Jeder Mensch fühlt anders. Wichtig ist nur zu wissen, dass von heute auf morgen aus einer Situation der "Diskriminierung" sofort eine Verfolgung im Sinne von Morden etc. werden kann.

ERF Pop: Können Sie auch anmahnen, wenn die Aggression gegen Christen gar nicht vom Staat ausgeht? Kommt das im Weltverfolgungsindex zum Tragen, wenn zum Beispiel Volksgruppen aufeinander losgehen?

Markus Rode: Das kommt natürlich auch zum Tragen. Und das haben wir ja auch gerade ganz aktuell im Irak, wo die Verfolgung von extremistischen Gruppen geschieht oder in Pakistan, wo sich ein Mob von Muslimen in einem Dorf zusammentut und Christen bedroht und sie zwingen will, zum Islam zu konvertieren. Und wenn diese Christen dann nicht zum Islam übertreten, dann ist es zum Beispiel in Pakistan ganz einfach. Dann gibt man ihnen die Schuld und sagt, sie hätten den Propheten gelästert. Und wenn man den Islam beleidigt, dann ist das ein todeswürdiges Verbrechen. Und so sitzen viele Christen im Moment in Todeszellen oder sind bis zu 25 Jahren zu Haft verurteilt, einfach nur wegen einer Anklage.

ERF Pop: Open Doors veröffentlicht diesen Index seit 1993. Was hat es gebracht, diesen Index zu veröffentlichen? Gibt's irgendwelche Erfolge zu verzeichnen?

Markus Rode: Wir sind wirklich sehr dankbar, dass wir nach anfänglich geringer Wahrnehmung des Index heute und gerade jetzt in diesem Jahr eine ganz gewaltige Resonanz haben. Wir haben festgestellt, dass Politiker in Deutschland, aber auch weltweit, diesen Index nutzen. Auch die Kirche, die Presse und die Medien greifen auf diesen Index zurück, um die Situation der Christen näher zu beleuchten. Natürlich ist es nicht ausreichend, wenn man von Erfolgen spricht, wenn eine Art Information da ist. Vielmehr kommt jetzt die Frage dazu: Was geschieht mit der Information des Weltverfolgungsindex? Da ist natürlich unser sehnlichster Wunsch, dass Christen sagen: „Wie können wir jetzt unseren verfolgten Geschwistern helfen? Was können wir tun?“ Das ist genau das, was wir erreichen wollen, dass konkrete Hilfe fließt und dass viel gebetet wird für diese verfolgten Glaubensgeschwister.

ERF Pop: Sind sie von einer bestimmten „Platzierung“ in diesem Jahr in irgendeiner Weise überrascht?

Markus Rode: Überrascht nicht wirklich, eher bedrückt: Über das, was im Irak geschieht. Der Irak hat im Weltverfolgungsindex den größten Sprung gemacht. Er ist jetzt unter die Top Ten gekommen. Da werden Christen regelrecht aus dem Land vertrieben. Der Irak soll von Christen gesäubert werden. Das ist eine Situation, die wir mit großer Sorge betrachten. Von Platz 17 im Weltverfolgungsindex im letzten Jahr auf Platz 8. Es gibt nur noch 334.000 Christen im Irak. Nahezu zwei Drittel aller Christen sind bereits aus dem Land geflohen oder befinden sich in den Kurdengebieten. Sie haben keine Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten oder medizinische Versorgung zu erhalten. Da müssen wir dringend aktiv werden.

ERF Pop: Vielen Dank für diese Informationen, Herr Rode.

 

Hier können Sie Auszüge des Interviews nachhören. 

Nordkorea hält einen traurigen Rekord: Zum neunten Mal in Folge führt das abgeschottete Land die Rangliste der Länder an, in denen Christen weltweit am stärksten verfolgt werden. Auch der Iran verbleibt auf Platz 2 des Weltverfolgungsindex 2011 (WVI), den das Hilfswerk für verfolgte Christen Open Doors heute veröffentlichte. Afghanistan hat Saudi-Arabien auf Platz 3 abgelöst . Nach einem Jahr der anhaltenden Gewaltakte gegen Christen mit vielen Todesopfern und Verletzten ist der Irak von Platz 17 auf Platz 8 vorgerückt. Das kriegsgebeutelte Land gehört nun zu den zehn für Christen weltweit gefährlichsten Staaten. Der Islam ist in acht der ersten zehn Länder des WVI 2011 die Religion der Mehrheitsbevölkerung; in sieben davon hat sich die Lage für Christen verschlechtert.

Rund 100 Millionen Menschen werden nach Einschätzungen des überkonfessionellen christlichen Hilfswerkes Open Doors weltweit aufgrund ihres christlichen Glaubens verfolgt. Mit dem jährlich erscheinenden Weltverfolgungsindex beleuchtet das internationale Werk die Situation verfolgter Christen in 50 Ländern. Dazu führt es Befragungen vor Ort durch, wertet Berichte zu Übergriffen und Experteneinschätzungen aus. Der Index berücksichtigt die Situation zwischen 1. September 2009 und 31. Oktober 2010.

Den ausführlichen Index mit Länderinformationen finden Sie unter www.opendoors-de.org.

 Tobias Schier

Tobias Schier

  |  Developer Redaktion

Tobias ist Developer Redaktion beim ERF. Er hat Germanistik und Medienwissenschaften studiert. In seiner freien Zeit schreibt er gerne und produziert Hörspiele. Tobias ist glücklich verheiratet und hat drei Kinder.

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Kommentare (4)

Waltraud /

In der Bibel heißt es ja:"Denkt an die Gefangenen, als wärt ihr Mitgefangene." Jesus sagte ja auch: "Ich war im Gefängnis gewesen und ihr habt mich besucht." Das gilt auch für unsere verfolgten mehr

Tannenwachs /

"Das kommt natürlich auch zum Tragen. Und das haben wir ja auch gerade ganz aktuell im Irak, wo die Verfolgung von extremistischen Gruppen geschieht oder in Pakistan, wo sich ein Mob von Muslimen in mehr

ROSI /

ES IST MIR SCHON LÄNGER BEKANNT, DASS 100 MILLIONEN CHRISTEN WELTWEIT VERFOLGT WERDEN UND MANCHE UNSAGBARE LEIDEN AUF SICH NEHMEN.
ERMUTIGEND IST, DASS GERADE NORDKOREAS CHRISTEN, DIE OFT mehr

Albert Stecker /

Sehr geehrte Frau Behrmann, vielen Dank für diesen Bericht, ob-
wohl er sehr erschütternd ist. Als Vergleich muß man sich vor-
stellen, dass die gesamte Einwohnerzahl der BDR, Östereichs u. Ungarns mehr

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