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© Priscilla du Preez / unsplash.com

29.05.2020 / Interview / Lesezeit: ~ 7 min

Autor/-in: Andreas Odrich

„Die Religionsfreiheit haben wir an keiner Stelle aufgegeben“

Ekkehart Vetter zur Kritik an den Corona-Beschränkungen und zu Christen als Vorbild an Pfingstfeiertagen.

 

 

Als Vorsitzender der Deutschen Evangelischen Allianz repräsentiert Pastor Ekkehart Vetter aus Mühlheim an der Ruhr rund 1,2 Millionen meist evangelische Christen in Deutschland. In den Corona-Beschränkungen seit dem 16. März sieht er keine Einschränkung der Bürgerrechte und der Religionsfreiheit, wie er im Interview auf ERF Plus berichtet. Vielmehr sieht Vetter die Gestaltungskraft der Christen gefragt, zu den Pfingstfeiertagen ihren Glauben positiv und einladend zu leben. Hier das Interview von Andreas Odrich mit ihm im Wortlaut.

 

ERF: Das Pfingstfest 2020 ist garantiert anders, als wir es je erlebt haben. Es steht unter den Vorzeichen von Corona. Gottesdienste sind nur eingeschränkt möglich, und auch wenn die Corona-Schutzmaßnahmen aktuell im Wandel begriffen sind, so wird Pfingsten sicherlich anders sein als in den Jahren zuvor. Wie können wir Pfingsten in Corona Zeiten sinnstiftend feiern?

Ekkehart Vetter: Zunächst würde ich einmal sagen, dass wir Pfingsten ja ohnehin feiern. In Corona-Zeiten ist das vielleicht vom äußeren etwas speziell, aber ansonsten ist es ja so: Pfingsten ist eines der Hochfeste der Christenheit neben Weihnachten, Karfreitag, Ostern. Wir feiern Pfingsten das Kommen des Heiligen Geistes, die Drittpersonen der Gottheit, Gott in uns Gott, unter uns Gott, mit uns und im Heiligen Geist als der Herbeigerufene.

Und das hat zunächst einmal mit Corona gar nicht so viel zu tun. Die Umstände sind jetzt ein bisschen besonders dadurch, dass wir nur eingeschränkt Gottesdienste feiern können, zum Teil auch nur online. Aber das ändert nichts am Sinn des Pfingstfest und an den grundsätzlichen Geistlichen zusammenhängen, die wir da feiern.
 

ERF: Nun gibt es ja durchaus Christen, die sich engagiert zu Wort melden, und sagen, im Verzicht auf die Gottesdienste in Gemeindehäusern und Kirchen haben Christen ihre Religionsfreiheit preisgegeben und haben nicht Gott gehorcht, sondern der Politik, die uns einschränken will.

Ekkehart Vetter: Die Religionsfreiheit haben wir an keiner Stelle aufgegeben. Wir können christliche Literatur kaufen und verteilen, wir können mit Menschen über den Glauben sprechen, wir können alles Mögliche machen. Das einzige, worauf wir uns gesellschaftlich verständigt haben, ist, dass wir die Situationen, wo Menschen sich anstecken können mit dem Corona-Virus, ein Stückchen aussetzen und nicht stattfinden lassen - da waren die ausgesetzten Gottesdienste ein Teil dieser Lösung aber natürlich auch viele andere Veranstaltungen.

Pro und Contra abwägen – nicht einseitig bleiben

ERF: Wie nehmen Sie diese Einordnung vor?

Ekkehart Vetter: Ich finde, es hilft, ein bisschen im Sinne von Pro und Kontra zu denken. Natürlich verstehe ich, dass Menschen gerade zu den Hochfesten Gottesdienste feiern wollen, zu Ostern haben wir ja auch schon in dieser Corona-Situation Gottesdienste online gestalten müssen. Der Wunsch, das anders haben zu wollen, ist verständlich. Auf der anderen Seite muss man auch denken können, dass es Situationen gibt, wo durch das Versammeln vieler Menschen eben andere gefährdet werden.

Ich finde, wer sehr vollmundig nur in die eine oder die andere Richtung redet, der müsste sich die Pro- und Contra-Argumente beider Seiten bewusst machen. Aber dass Religionsfreiheit eingeschränkt wurde deswegen in Deutschland, diese Sichtweise kann ich nicht nachvollziehen. Das war eine gesellschaftliche Übereinkunft, dass dies sinnvoll ist, und wir sind sicher froh, wenn das wieder anders wird und sind ja auf dem Wege dahin. Aber wir sollten uns nicht einreden lassen, dass wir hier irgendwie mit unserem christlichen Glauben hinter dem Busch bleiben mussten. Wir können überall mit Menschen über den Glauben reden und viele Dinge machen, die die Religionsfreiheit uns nach wie vor ermöglicht.
 

ERF: Wie können Christen dann gerade zu Pfingsten auftreten. Wann und auch in welcher Form sind wir Botschafter des Glaubens und in diesem Falle Botschafter des Heiligen Geistes?

Ekkehart Vetter (Foto: privat)
Ekkehart Vetter (Foto: privat)

Ekkehart Vetter: Ich glaube, dass wir grundsätzlich Menschen sein sollten, die einladend reden und einladend auftreten. Wir haben keine Droh-Botschaft sondern eine frohe Botschaft zu verkünden, nämlich, dass Gott für uns und unter uns ist. Er ist in Jesus Christus zu uns gekommen. Das ist das eine, aber an Himmelfahrt hat er uns, wie die Bibel sagt, nicht als Waisen zurückgelassen, sondern er kommt zu Pfingsten zu uns im Heiligen Geist. Das ist eine wirklich gute Nachricht.

Wir sehen natürlich in der Bevölkerung, dass Pfingsten nicht ganz so leicht fassbar ist, weil viele Leute auch gar nicht mehr wissen, was Pfingsten bedeutet, aber das ist ja nicht so sehr ein Problem der Menschen, sondern eher ein Problem von uns, den Christen, dass wir ihnen das vielleicht nicht gut genug erklären. Wir feiern, dass Gott mitten unter uns ist, und seine Kraft da ist. Das sollten wir immer wieder einladend feiern und Menschen auf die positive Kraft des Glaubens aufmerksam machen.
 

ERF: Das Gebet spielt zweifellos immer wieder eine wichtige Rolle. Und Menschen fragen offenbar auch zu Corona-Zeiten vermehrt nach Gebet und Seelsorge. Wofür können wir zu Pfingsten 2020 beten?

Ekkehart Vetter: Wenn wir die aktuelle Corona-Situation nehmen, dann können wir sicher für die Verantwortungsträger in unserer Gesellschaft beten, für Politiker aber auch für Wissenschaftler, die zusammen mit den Politikern die Richtung legen, wie wir in dieser Situation sinnvollerweise miteinander unterwegs sind als Gesellschaft. Aber das ist nur das eine. Das andere sind wir selbst in unserer Rolle als Christen. Dass wir, ich möchte mal sagen, positiv präsent sind in der Gesellschaft und auch die Möglichkeiten nutzen, die uns Corona bietet.

Ich nenne da mal die Online-Gottesdienste. Wir erreichen damit mehr Menschen als mit manchen Gottesdiensten in den Gemeindehäusern. Aber vielleicht lernen wir eben auch, dass wir uns in Kleingruppen versammeln und damit auch so etwas wie die Urform der Kirche ein Stück wiederentdecken. Dass wir uns nicht irgendwie in die Ecke drängen lassen, sondern sehr offensiv und freundlich den Glauben an Jesus verkünden und dafür beten, dass wir in dieser Gesellschaft systemrelevant und Hoffnungsträger sind wie keine andere Gruppe dieser Gesellschaft.
 

ERF: Zum Hoffnungstragen gehört auch dazu, dass uns der Heilige Geist ja ganz explizit von Jesus Christus als Tröster vorgestellt wird. Was kann denn das heißen in diesen aufgewühlten Zeiten, in denen die einen davor Angst haben, sich mit Corona zu infizieren, und die anderen sagen, macht euch doch nicht lächerlich, das ist doch alles bloß eine große Kampagne. Während es umgekehrt die breite Mitte gibt, die  mit den ganz pragmatischen Dingen umgehen muss. Sprich: wochenlang Kinder betreuen bei gleichzeitigem Homeoffice, oder Senioren und Alleinstehende, die langsam nicht mehr können vor lauter Einsamkeit. Was kann denn das bedeuten, dass uns der Heilige Geist hier als Tröster zu Pfingsten vorgestellt wird?

Ekkehart Vetter: Im Griechischen steht ja für den Heilingen Geist das Wort Paraklet. Das ist im wörtlichen Sinne der Herbeigerufene, was Luther als Tröster übersetzt hat. Das kann auch als Vermittler und Fürsprecher übersetzt werden, und wird auch in einigen Bibelübersetzungen so weitergegeben. Paraklet hat also einen sehr großen Bedeutungsrahmen und ein großes Bedeutungsspektrum. Und ich denke mir, zunächst könnte man die Bedeutung des Trösters aufnehmen, dass der Heilige Geist die Entmutigten ermutigt, dass er durch seine Gegenwart im Leben eines Glaubenden auch in schwierigen Zeiten Ermutigung parat hat.

Aber das andere gehört auch dazu: er ist Vermittler und Fürsprecher für uns im Gebet beim Vater, wo ich mit meiner eingeschränkten Sicht vielleicht gar nicht so sehr das richtige zu sagen weiß. Aber ich weiß, dass der Heilige Geist das für mich übersetzt. Ich kann getröstet und ermutigt leben, weil ich weiß, Gott ist als der Herbeigerufen da.
 

ERF: Wie feiert der Vorsitzende der Deutschen Evangelischen Allianz Ekkehart Vetter Pfingsten?

Ekkehart Vetter : Weil ich normalerweise unterwegs bin, diese Termine aber gestrichen sind, habe ich die Besonderheit, dass ich hier in meiner Gemeinde, der Christus Gemeinde Müllheim an der Ruhr, am Pfingsttag predigen darf, wobei mit dieser Gemeinde sozusagen damals die Pfingstbewegung nach Deutschland kam und diese Gemeinde quasi die Mutter der Pfingstbewegung in Deutschland ist. Ich darf hier am Pfingstsonntag predigen, das wird sozusagen ein echter Höhepunkt. Da freue ich mich schon drauf.
 

ERF: Gerade in Gemeinden, die zu Ihrer Denomination gehören, ist es ja sehr wichtig, dass man viel Bewegung hat im Gottesdienst. Es wird viel gesungen, manchmal auch getanzt. Wie werden Sie das denn in diesem Pfingtsgottesdienst im Corona-Jahr 2020 gestalten?

Ekkehart Vetter: Seit drei Wochen haben wir ja wieder Präsenz-Gottesdienste. Diese sind allerdings schon deutlich anders als die Gottesdienste früherer Zeiten, wo wir wesentlich mehr Leute waren. Jetzt sind wir nur so um die 50 bis 60, die in unsere Räume passen, obwohl die Gemeinde an sich deutlich größer ist. Daher werden die meisten unserer Gemeindeglieder online von zu Hause oder von wo auch immer am Gottesdienst teilnehmen. Vor Ort im Gemeindehaus achten wir natürlich darauf, dass die Teilnehmer Abstand halten.

Aber diese äußeren Rahmenbedingungen sind nicht das Entscheidende. Ob Leute zu Hause auf dem Sofa sitzen oder im Bett liegen und den Gottesdienst mitfeiern – diese äußeren Rahmenbedingungen sind nicht das Entscheidende. Das Entscheidende ist die Gegenwart Gottes, und dass der Heilige Geist in den Herzen der Menschen wirken kann. Und das kann er so oder so, egal ob das eine Online-Situation ist oder eine Präsenz-Situation ist, das ist dann nicht das Entscheidende.
 

ERF: Vielen Dank für das Gespräch und fröhliche und gesegnete Pfingsten.
 

 Andreas Odrich

Andreas Odrich

  |  Redakteur

Er verantwortet die ERF Plus-Sendereihe „Das Gespräch“. Er ist verheiratet, hat drei Kinder und ist begeisterter Opa von drei Enkeln. Der Glaube ist für ihn festes Fundament und weiter Horizont zugleich.

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