Die christliche Organisation Seehaus e.V. in Leonberg bei Stuttgart vermittelt minderjährige unbegleitete Flüchtlinge an Gastfamilien. Die Familien sollten mit den Wertevorstellungen von Seehaus e.V. übereinstimmen und sie vertreten. Einen christlichen Hintergrund zu haben, ist für die Familien jedoch keine Bedingung. Die größten Herausforderungen sind, die kulturellen Unterschiede zu überwinden und daraus einen positiven Nutzen zu ziehen. Wir haben mit Birgit Wagner von der Organisation Seehaus e.V. gesprochen.
ERF: Frau Wagner, seit Oktober 2015 vermittelt Ihre Organisation Seehaus e.V. nicht nur strafffällige Jugendliche an Gastfamilien, sondern auch minderjährige und unbegleitete Flüchtlinge. Welche Voraussetzungen brauchen Gastfamilie und Jugendlicher?
Birgit Wagner: Wir erwarten von beiden Parteien eine gewisse Toleranz, vor allem was Kultur und Religion angeht. Bei der Familie ist es keine Voraussetzung, dass sie einen pädagogischen Hintergrund hat. Entscheidend ist vielmehr ihre Motivation, warum sie einen jugendlichen Flüchtling aufnehmen möchte. Weiter sollte die Familie über solide wirtschaftliche Verhältnisse verfügen und den Jugendlichen nicht aus finanzieller Motivation aufnehmen. Denn natürlich haben die Eltern im Falle einer Aufnahme Anspruch auf Pflegegeldzahlung von Seiten des Jugendamts. Außerdem ist es wichtig, dass die Eltern über eine realistische Einschätzung verfügen und sich klar sind, dass das eine herausfordernde Aufgabe ist.
ERF: Wie sehen die einzelnen Schritte aus, bis es zu einer erfolgreichen Vermittlung kommt?
Birgit Wagner: Vom Jugendamt bekommen wir jugendliche Flüchtlinge vorgeschlagen, die in einer Familie wahrscheinlich besser untergebracht wären als in einer Jugendhilfeeinrichtung. Unser Team sucht dann nach einer passenden Gastfamilie. Dabei sind auch geographische Gegebenheiten wichtig, vor allem wenn der Jugendliche schon in eine Schule integriert ist. Die Familienkonstellationen und jeweiligen Interessen spielen ebenfalls eine große Rolle. Bei Übereinstimmung gibt es ein Treffen zum Kennenlernen und wenn die Familie und der Jugendliche gut miteinander klar kommen, zieht er bei ihnen ein.
ERF: Wie viel Unterstützung geben Sie den Gastfamilien nach der erfolgreichen Vermittlung?
Birgit Wagner: Wir helfen natürlich bei der Suche nach einer geeigneten Schule oder einem Verein, in dem sich der Jugendliche integrieren könnte. Außerdem kommt in der ersten Phase jede Woche ein Mitarbeiter zu einem persönlichen Gespräch vorbei. Später gibt es Telefonate oder zweiwöchentliche Besuche. Unser Ziel ist es, dass die Migranten auch außerhalb der Gastfamilie betreut werden. Zum Beispiel in der Schule, bei uns im Seehaus oder durch andere integrativen Maßnahmen.
ERF: Wieso können Sie Familien empfehlen, einen minderjährigen Flüchtling aufzunehmen?
Birgit Wagner: Wenn eine Familie einen Flüchtling aufnimmt, hat sie die Chance über den kulturellen Tellerrand zu schauen. Sie investiert sinnvoll in das Leben eines Menschen. Viele unserer Gastfamilien berichten mir, dass es ein großer Gewinn für sie selber ist, weil sie auf Augenhöhe voneinander lernen können. Jeder Jugendliche bringt seine eigenen Kompetenzen mit und kann sich im Familienleben einbringen.
ERF: Was motiviert Sie bei dem Projekt?
Birgit Wagner: Mich bewegt, dass bei den Jugendlichen eine Last abfällt, wenn sie ein sicheres Zuhause in einer Familie bekommen. Immer wieder erlebe ich es, wie die Flüchtlinge Angst haben, immer wieder weiter ziehen zu müssen. Als einer der Jugendlichen mich einmal fragte, ob er nun an diesem Ort bleiben dürfe, ging mir das sehr zu Herzen. In dieser Frage lag die ganze Not der letzten Monate. Durch den Rückhalt einer Gastfamilie kann sich der Jugendliche viel besser in die Gesellschaft integrieren und lernt schneller Deutsch. Ich wünsche mir, dass wir noch mehr Gastfamilien und ehrenamtliche Mitarbeiter finden, um diesen Menschen ein Zuhause zu bieten.
ERF: Seehaus e.V. ist eine christliche Organisation. Inwiefern werden Sie in dieser Arbeit in Ihrem persönlichen Glauben herausgefordert?
Birgit Wagner: Die meisten Jugendlichen sind Muslime und sie bringen viele Fragen mit. Viele sind sich nicht sicher, was eigentlich das Fundament ihres Lebens ist. Hier fühle ich mich herausgefordert, meinen Glauben auf gewinnende Art zu bekennen. Ich versuche ihnen zu erzählen wie ich Jesus erlebe, ohne ihnen etwas überzustülpen. Herausgefordert fühle ich mich auch, wenn ich mich frage, wieso Gott solches Elend in ihren Herkunftsländern zulässt. Die Jugendlichen sind für mich aber gleichzeitig ein kostbarer Schatz, den uns Gott anvertraut hat. Ich weiß, dass Gott das Schicksal all dieser Jungs kennt und in seiner Hand hat. Ich wünsche mir, dass die Jugendlichen in meinem Umgang mit ihnen etwas von Gottes Liebe erfahren und ihn persönlich kennen lernen.
ERF: Vielen Dank für das Gespräch.
Ihr Kommentar
Kommentare (1)
Dies ist eine wunderbare Gelegenheit, Hoffnung in und durch Glauben zu schenken, gerade an solche Jugendlichen, die Jesus (noch) nicht kennen