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© Schwarzes Kreuz

20.09.2012 / Christliche Straffälligenhilfe in Deutschland / Lesezeit: ~ 6 min

Autor/-in: Anika Lepski

„Das hätte auch mir passieren können.“

Das Schwarze Kreuz begleitet Gefangene in ihrer Zeit in der Haft. Ein Interview mit Otfried Junk.

Das Schwarze Kreuz hat es sich zur Aufgabe gemacht, Kontakte zu Strafgefangenen in Deutschland aufzubauen und sie während der Haft und darüber hinaus zu begleiten. Weil die Häftlinge oftmals keinen Kontakt mehr nach draußen haben, baut der Verein mithilfe seiner ehrenamtlichen Mitarbeiter Arbeitskreise auf, die je nach Ort aktiv werden und Aufgaben wahrnehmen. ERF Online hat mit Pastor Otfried Junk, dem Geschäftsführer des Schwarzen Kreuzes, gesprochen.

ERF Online: Das Schwarze Kreuz hat viele Projekte in Gefängnissen. Wie sehen diese aus?

Otfried Junk: Neben regelmäßigen Gesprächskreisen bieten wir auch Wochenendveranstaltungen im Gefängnis an, z.B. das Projekt "Farbe im Novembergrau". Dazu laden wir Menschen von „draußen  und drinnen“ ein, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Neben den Gesprächen werden Kreativangebote gemacht und durch gemeinsame Mahlzeiten lernen sich Menschen aus „unterschiedlichen Welten“ kennen. Für beide Seiten sind diese Begegnungen etwas Besonderes und häufig werden an solchen Veranstaltungen Kontakte geknüpft, die über das Wochenende hinaus Bestand haben. 

Ein anderes Projekt findet jährlich in Freiburg statt: Dort macht der Arbeitskreis Freizeiten mit Ehrenamtlichen, Inhaftierten und Angehörigen. Es sind auch Kinder und ehemalige Gefangene dabei. Sie genießen alle an diesem Wochenende die besondere Form des Zusammenseins. Ähnlich wie bei Gemeindefreizeiten können durch die intensive Begegnung neue Impulse gesetzt werden.

Und jedes Jahr geben wir einen Foto-Postkartenkalender heraus, mit dem wir den Gefangenen einen positiven Impuls für die Woche geben möchten.

ERF Online: Menschen im Gefängnis haben ihre eigenen Sorgen und Probleme. Wollen Menschen in einer solchen Situation überhaupt etwas von Jesus hören?

„Das Schwarze Kreuz hilft seit 1925 bundesweit Straffälligen und ihren Angehörigen während und nach der Haft. Es ist Mitglied im Diakonischen Werk und in der Evangelischen Konferenz für Straffälligenhilfe. Finanziert wird die Arbeit überwiegend durch Spenden.“
(Schwarzes Kreuz)

Ehrenamtliche Mitarbeiter werden von der Geschäftsstelle begleitet und organisieren sich in Arbeitskreisen. Das Schwarze Kreuz hat für die Vorbereitung der Ehrenamtlichen außerdem ein Ausbildungsangebot entwickelt. So werden die Helfer zum Beispiel im Umgang mit Häftlingen geschult und bekommen Informationen über Gefängnisse.


Weitere Informationen zum Schwarzen Kreuz: naechstenliebe-befreit.de

Otfried Junk: Im Gefängnis sitzen die Gefangenen nicht da und warten darauf, dass ihnen jemand von Gott erzählt. Der moderne Strafvollzug macht den Gefangenen vielfältige Angebote, ihre Zeit sinnvoll zu gestalten. Der Alltag im Gefängnis ist genau geregelt. Gefangene müssen u.a. arbeiten. Darüber hinaus gibt es Angebote wie das „soziale Training“. Sport und Freizeitveranstaltungen bieten Abwechslung im Haftalltag. Die Interessen der Inhaftierten unterscheiden sich nicht von denen der Leute außerhalb des Gefängnisses, nur zugespitzt durch die Haftsituation.

Der Glaube ist darum ein Thema unter vielen. Unsere Ehrenamtlichen gehen auf Menschen zu und kommen mit ihnen ins Gespräch, dazu gehören dann zuerst die Themen, die Gefangenen in ihrem Alltag beschäftigen. Wie überall bedarf es Zeit, damit Vertrauen wachsen kann und sich Menschen auch für den Glauben interessieren. Christliche Gesprächskreise und Gottesdienste bieten dann Gelegenheit, gemeinsame Glaubenserfahrungen zu machen. Ein Teil der Gefangenen nimmt dieses Angebot gerne an.

ERF Online: Wie ist das Interesse der Gefangenen an kirchlichen Veranstaltungen?

Otfried Junk: Der Gottesdienstbesuch im Gefängnis ist genauso gut oder schlecht wie außerhalb. Der Grund, an einer Veranstaltung von uns teilzunehmen, ist nicht unbedingt das Interesse an Jesus. Die Gefangenen  kommen vielleicht nur, weil sie neugierig sind. Deswegen ist es notwendig, einen Weg zu finden, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen, ähnlich wie in einem  Gespräch unter Freunden. Man unterhält sich über dies und das und irgendwann spricht man auch über den Sinn des Lebens und was im Leben Freude gibt.  Über persönliche Beziehung wird Interesse geweckt. Das wird gefördert, indem ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Zeit haben, hinhören und nicht schon Antworten geben, bevor die Fragen gestellt wurden.

Vertrauen ist die Grundlage der Veränderung

ERF Online: In Ihrem Blog werden Haftentlassene erwähnt, deren Leben sich durch eine Freizeit spürbar geändert hat. Können Sie von einem Beispiel erzählen, wo sich durch den Glauben an Jesus etwas verändert hat?

Otfried Junk: Die Frage, wie Veränderung in Gang gesetzt wird, ist sehr schwer zu beantworten. Dass Menschen Vertrauen zu Gott finden, hat vor allem damit zu tun, dass sie Vertrauen zu Menschen, also zu uns Ehrenamtlichen finden. Wenn Inhaftierte das Gefühl haben, dass der Mensch authentisch ist, dann ist das oft ein Impuls das eigene Leben nach den vorgelebten Werten auszurichten.

Die Folge kann sein, dass sich ein Mensch in der Haft entschließt, einen Brief zu schreiben, um sich mit seiner Mutter oder mit den eigenen Kindern wieder zu versöhnen. Leute fangen an, ihr Problem im Umgang mit Alkohol in Angriff zu nehmen, weil sie durch die Erfahrung im Glauben Hoffnung und eine Perspektive bekommen, es anzupacken. Dazu brauchen sie Menschen, die sie auf diesem Weg begleiten.

ERF Online: Gefangene und ihre Schuld – ist das ein Thema im Gefängnis?

Otfried Junk, der Geschäftsführer des Schwarzes Kreuzes. (Bild: Schwarzes Kreuz)

Otfried Junk: Schuld scheint das Thema schlechthin im Gefängnis zu sein und ist, wie ich finde, eines der schwierigsten. Durch die öffentlichen Medien entsteht der Eindruck, dass wir viele Gewaltverbrecher haben. Die Kriminalität geht in unserem Land aber beständig zurück und es gibt im Moment weniger Sexualstraftaten und Morde als vor 20 Jahren. Die meisten Gefangenen sind wegen Eigentumsdelikten im Gefängnis.

Gefangene sind strafrechtlich verurteilt worden und müssen ihre Strafe absitzen. Nicht alle finden das Urteil gerecht. Die individuelle Wahrnehmung der eigenen Schuld ist im Kontext "Gefängnis" kompliziert. Es fällt den Häftlingen wie vielen Menschen außerhalb der Haft schwer, sich mit den eigenen Fehlern auseinanderzusetzen. Bevor sich jemand in diesem Thema öffnet, braucht Rahmenbedingen, in denen Vertrauen möglich ist.

ERF Online: Wie gehen Gefangene, die Christen geworden sind, mit ihrer eigenen Schuld um?

Otfried Junk: Ich habe Menschen kennengelernt, die tatsächlich wegen eines schlimmen Verbrechens wie Mord in Haft waren und die durch den Glauben die Erfahrung gemacht haben, überhaupt wieder leben zu können. Sie haben gemerkt, dass sie nicht wieder gutmachen können, was sie angerichtet haben. An dieser Stelle zu erleben, dass Gott sie annimmt, ist etwas Außergewöhnliches. Das ermöglicht ihnen einen neuen Zugang zu sich selbst und schafft Raum, eigene Perspektiven auch während der Haftzeit zu entwickeln. Veränderung ist möglich trotz der Gitter und Mauern. Andere schaffen es, Opfer um Verzeihung zu bitten.

Die Liebe Gottes weitergeben

ERF Online: Warum müssen Christen sich ausgerechnet um Gefangene kümmern, die nicht zu Unrecht hinter Gittern sitzen? Wäre es nicht angebrachter, sich um die Opfer zu kümmern?

Otfried Junk: Ich finde es sehr wichtig, dass Opfer Beistand erleben. Deswegen bin ich froh, dass es Organisationen wie den Weißen Ring gibt, die sich um die Opfer kümmern. Unsere Zielgruppe sind jedoch die Menschen, die Täter geworden sind. Man entdeckt in der Begegnung mit den Menschen in Haft, dass jede Straftat ihre Geschichte hat. Ich habe schon oft mit Gefangenen gesprochen und mir gedacht, dass mir das auch hätte passieren können. Ich kann nichts dafür, dass ich bewahrt geblieben bin.

Ich will nicht entschuldigen, dass Leute straffällig geworden sind. Ganz im Gegenteil. Ich finde es wichtig, dass wir Inhaftierte ernst nehmen und sie für ihre Taten verantwortlich machen. Nur so ist Veränderung möglich. Aber weil Menschen scheitern, brauchen sie Zuwendung. Diese Erfahrung machen wir auch im Glauben. Auch ich als ein Mensch, der strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist, lebe von der Barmherzigkeit Gottes. Dass Gott mich annimmt, ist ein unverdientes Geschenk. Es gibt meinem Leben Sinn und Halt. Das will und kann ich nicht für mich behalten und die Aufforderung Jesu, Gefangene zu besuchen, gilt uns allen.

ERF Online: Viele stellen sich eine solche Arbeit gefährlich vor. Kamen Sie schon einmal in eine Situation, in der Sie Angst hatten?

Otfried Junk: Ich bin seit 32 Jahren beim Schwarzen Kreuz beschäftigt. Wir haben drei Kinder und als ich damals angefangen habe, war unser jüngster Sohn ein Jahr alt. Unsere Kinder sind mit Gefangenen groß geworden. Die ersten zwanzig Lebensjahre unserer Kinder haben wir jedes Weihnachtsfest mit Gefangenen verbracht. Inhaftierte haben bei uns in der Familie gelebt, als die Kinder noch klein waren und es ist nie etwas passiert. Wir hatten keine Angst.

ERF Online: Vielen Dank für das Gespräch.

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