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12.07.2012 / Familie und Erziehung / Lesezeit: ~ 6 min

Autor/-in: Anika Lepski

Der Familien-Mutmach-Tag

Wie Familien wieder lernen können, eine Einheit zu bilden. Ein Konzept von JMEM Hainichen.

Erziehung ist in den letzten Jahren offenbar ein schwieriges Thema geworden. Was früher von allein zu funktionieren schien, wird nun ständig durch Berichte von vernachlässigten Kindern in Frage gestellt. Familien- und Erziehungsthemen sei auch in den Gemeinden und theologischen Ausbildungsstätten weitgehend ein „Fremdwort“ geworden, stellen Wilhelm Faix und Dr. Siegfried Bäuerle fest. In einem Aufruf vom Mai 2012 wollen sie besonders Gemeinden, theologische Ausbildungsstätten, Institutionen und Werke für das Thema sensibilisieren.

Es gibt aber auch Initiativen, die sich sorgfältig Gedanken machen, wie das Konzept Familie vermittelt werden kann. So die „Jugend mit einer Mission Hainichen“ (JMEM): das Jugend- und Familienzentrum hat das Konzept des Familien-Mutmach-Tags (FMT) entwickelt, der in Hainichen/Sachsen zweimal im Jahr, am 1. Mai und 3. Oktober, veranstaltet wird. Aufgrund ihres Erfolgs haben die Veranstalter die Idee auch in anderen Orten Deutschlands umgesetzt.

Starke Familien halten zusammen

Sind Familien tatsächlich in einer stärkeren Krise als noch vor ein paar Jahrzehnten? Die Leiter des FMT in Hainichen, Klaus und Anja Schnake, bejahen das und sehen die Ursache unter anderem in der Individualisierung der Gesellschaft und der Abnahme gemeinsamer Normen.

In ihren Infobroschüren erläutern sie, dass die Individualisierung zu einer ungeheuren Entscheidungsfreiheit führt, die die Menschen aber verunsichert. Weil zusätzlich kaum noch gemeinsame Werte in der Gesellschaft vorhanden sind, gibt es keine Leitlinien mehr, die gerade jungen Eltern einige Entscheidungen abnehmen könnten. Gleichzeitig wächst die Zahl der „Miterzieher“ – jeder möchte seinen Anteil an der Erziehung haben, ob Ratgeber, elektronische Spielzeuge oder dergleichen mehr. Auch die Auflösung traditioneller Rollenbilder verunsichert die Eltern. Schwierig wird es vor allem dann, wenn sie selbst aus zerrütteten Familien kommen, in denen es kein klares Vater-Mutter-Bild gegeben hat. Das dies alles zur Orientierungslosigkeit führt, ist nicht verwunderlich.

Starke Familien ergeben sich nicht von selbst, sie müssen „hergestellt“ werden. Die Ausdauer zu dieser Leistung fehlt vielen heute. Im Familienalltag ist es jedoch notwendig, sich selbst zurücknehmen zu können und Entwicklungsprozesse auszuhalten.1 „In diese Situation möchten wir hineinwirken und Mut machen zu neuen Werten, zur Beziehungsfähigkeit und zu Empathie“, so Klaus Schnake.

Aber was macht eine starke Familie aus? Das Konzept des Mutmach-Tags basiert auf einer Langzeitforschung2 der US-Amerikaner Nick Stinnett, John DeFrain und David H. Olsen, die folgende sechs Punkte als kennzeichnend für eine gesunde Familie aufzeigt:

1. Starke Familien halten zusammen und sind füreinander da.

2. Starke Familien verbringen bewusst Zeit miteinander.

3. Starke Familien kommunizieren gut und effektiv.

4. Starke Familien bringen einander Wertschätzung entgegen.

5. Starke Familien verbindet ein gemeinsamer Glaube und / oder gemeinsame Werte.

6. Starke Familien können Konflikte lösen.

Ziel des FMT ist es laut den Veranstaltern, Familien zu ermutigen, ihre Stärken hervorzuheben und starke Familie anschließend in ihrem Umfeld und ihrer Nachbarschaft wirken zu lassen. Damit könnten auch Familien erreicht werden, die nie zu einem solchen Bildungsangebot kämen.

Wie ein Familien-Mutmach-Tag aussehen kann

Ein solcher FMT dauert je nach Veranstaltungsort einen ganzen Tag oder auch nur wenige Stunden. Vormittags finden sich die Familien in einem Raum zusammen. Lieder gemeinsam zu singen ist für die Macher des FMT sehr wichtig, wobei man allerdings darauf achtet, bei einem FMT in öffentlichen Einrichtungen sich an das dort Gängige anzupassen. Da es außerhalb christlicher Veranstaltungen nicht üblich ist, dass man gemeinsam singt, kann da zum Beispiel ein Lied von den Kindern vorgetragen werden. Mitarbeiter stellen anschließend eines der 6 Prinzipien starker Familien z.B. „Starke Familien zeigen Dankbarkeit und Wertschätzung“3 durch Darstellungen und konkrete Aufforderungen an die Familien vor. Das kann so aussehen, dass die Familien gemeinsam überlegen, wofür sie dankbar sind.

Aufgelockert und kindgerecht gemacht wird der Vormittag durch Sketche und Anspiele. In diesen werden Szenen des Familienalltags dargestellt, wie z.B. die Unterschiede zwischen freundlichem und unfreundlichem Verhalten. Auch andere anschauliche Darstellungen zeigen, wie Worte entweder fesseln oder tragen können. Auf diese Weise wird das Thema alltagsnah vermittelt.

 

Nach dem Mittagessen gibt es für die Eltern die Möglichkeit, sich genauer über das Thema zu informieren, während für die Kinder viele unterschiedliche Spieleangebote bereitstehen. Nachmittags heißt es dann, gemeinsam als Familienteams verschiedenen Stationen zu meistern, wie in Hurlach/Bayern zum Beispiel Schubkarrenrennen, Dosenwerfen und ganz typisch bayrisch: „Brezelschnappen“. An verschiedenen Stationen können die Familienmitglieder Hindernisse überwinden, Aufgaben lösen oder sich sagen, was sie aneinander schätzen. Gemeinsam tut man sich etwas Gutes , entspannt und träumt, klettert und läuft und hat einfach Spaß zusammen.

Wichtig ist es den Initiatoren, den Familien Ermutigung und Stärkung zuzusprechen, damit sie sich wieder selbst Halt geben können. Dabei lernen Eltern und Kinder, die Gefühle der anderen wahrzunehmen und damit umzugehen. Die Väter und Mütter sollen sich und die Kinder in ihren Begabungen erkennen und fördern. Ziel ist es auch, eine positive Beziehung der Kinder zu den Eltern aufzubauen. An verschiedenen Stationen wird zudem vermittelt, wie wichtig es ist, die eigenen Bedürfnisse zu formulieren, aber auch Kompromisse einzugehen und zurückzustecken.

Ein solcher Tag sei natürlich nicht ausreichend, um eine Familie zu verändern, aber er könne dennoch ein Initialmoment sein, sagt das Ehepaar Schnake. Man kann danach andere Angebote von Kirche und Staat wahrnehmen, die den Beziehungen innerhalb einer Familie helfen und noch eine Schicht tiefer gehen. Daher ist es wichtig, das Angebot des FMT mit anderen Angeboten vor Ort zu verbinden. In Hainichen, wo es den FMT seit 2007 gibt, geschieht inzwischen eine langsame Verknüpfung z.B. ist das Zentrum im „Arbeitskreis Familienbildung“ des Landkreises vertreten.

Himmlischer Zuspruch für die ganze Familie

Momentan befindet sich das Konzept des Familien-Mutmach-Tags in der Testphase, die überwiegend im christlichen Bereich stattfindet. Erfahrungen werden gesammelt, um den FMT letztendlich in die Gesellschaft hineintragen zu können. Das macht es wichtig, das Konzept von seiner frommen Sprache zu befreien und mit Taktgefühl auf Nichtchristen zuzugehen. Man möchte den Familien nicht das Gefühl geben, missioniert zu werden.

Die Aktion Familien-Mutmach-Tag sucht noch dringend Multiplikatoren, also Leute, die einen FMT mitmachen und dann vor Ort selbst einen veranstalten. Bei Interesse kann man sich an die Initiatoren des FMT Hainichen wenden.

Erfolgreich durchgeführt wurde der FMT auch außerhalb christlicher Gemeinden in einer Kita mit eher sozial schwachen Familien. Für die Mitarbeiter war es sehr spannend, die Familien – teilweise mit den Großeltern – als eine Einheit wahrzunehmen, die verschieden Familiendynamiken zu sehen und positiv auf Familien einwirken zu können. „Wir erleben, dass es bei den Familien zuerst eine Hemmschwelle gab, weil es ungewöhnlich für sie war, als Team zu arbeiten, sich aufeinander verlassen zu können oder einander zu vertrauen. Aber sie sind mit einem gewissen Stolz herausgegangen, weil sie im Familienverbund eine Aufgabe gelöst haben und auch andere es mitbekommen haben“, sagt Klaus Schnake.

Aber wie wird der Punkt „Stärke durch gemeinsame Werte und / oder einen gemeinsamen Glauben“ in einem nichtchristlichen Milieu vermittelt? Man hätte dieses Problem in der Kita gelöst, indem die Mitarbeiter des FMT eine Station eingerichtet hatten, in der sie die Familien gesegnet hätten, erklärt Klaus Schnake. „Wir haben sie ‚Himmlischen Zuspruch‘ genannt und dadurch eine Wortwahl getroffen, die für viele annehmbar war. Wir erleben, dass Familien diesen gerne annehmen, wenn wir es nicht mit dem Anspruch verknüpfen, sie in irgendeine Richtung bekehren zu wollen.“

Der FMT steckt noch in den Kinderschuhen, doch Erfolge wie dieser zeigen, dass das Konzept ankommt. Der FMT macht Mut, dass eine starke Familie zu sein erlernbar ist.

Erziehung muss gelernt werden, sagt Wilhelm Faix in seinem "Aufruf Erziehung". In einem Interview auf ERF Online (11.07.2012) beantwortet er Fragen zur christlichen Pädagogik und dem Experiment Kindertagesstätte.


1 Flyer Familien-Mutmach-Tag "Über die aktuelle Lage in Deutschland".

2 Flyer Familien-Mutmach-Tag "Studien zu Familienstärken".

 

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Kommentare (3)

Dipl.-Theol. Rolf-Dieter Braun /

"... nicht ausreichend, um eine Familie zu verändern - aber ... dennoch ein Initialmoment"
Das bringt die FMT-Idee gut auf den Punkt!

Anja Schnake /

Schön geschrieben, Frau Lepski!
Weitere Infos gibt es auf der Homepage von JMEM Hainichen [im Text verlinkt] oder bei Interesse Kontakt [email protected]

Petra H /

Wie schön!!!!!!!! Besonders der Gedanke, den nicht christlich sozialisierten Menschen so liebevoll zu begegnen, hat mich tief berührt.
"Himmlischer Zuspruch", was für ein gelungenes Wort. Hier mehr

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