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11.06.2012 / Kommentar zur Fußball-EM / Lesezeit: ~ 6 min

Autor/-in: Anika Lepski

„O Herr, lass es Tore regnen!“

Am 8. Juni startete die EM 2012 in Polen und der Ukraine. Gedanken zum Thema „Religion Fußball“.

Endlich beginnt die EM! Ich freue mich schon sehr auf schöne Sommerabende zusammen mit Freunden. Natürlich, wenn möglich, in Jubelstimmung.

Nun muss man Fußball nicht mögen, um einem Phänomen auf die Spur gekommen zu sein, das sich „Religion Fußball“ nennt. Erst kürzlich, als das Champions-League-Finale zwischen Bayern München und dem FC Chelsea im Fernsehen angepriesen wurde, hat das Thema „Religion Fußball“ wieder einmal hohe Wellen geschlagen. Denn Sat1 hat das Vaterunser als Werbung für das Spiel genommen und auf Fußballniveau zugeschnitten. So machte man aus dem ersten Teil „Lieber Fußballgott, dein Ball komme, dein Spiel geschehe.“1 Na, wenn das nicht provokant ist.

Die Bezüge von Fußball auf den Glauben sind vielzählig und überall zu finden: Ob Fanhymnen, die religiöse Motive enthalten („Leuchte auf, mein Stern Borussia, ich folge dir, wohin du gehst…“2), oder die Erklärung der Liturgie anhand von Fußball („Liturg: ‚Michael!‘ Gemeinde: ‚Ballack!‘“3). Doch wieso wird gerade Fußball immer wieder in die Schublade Religion gesteckt? Und wie können Christen mit dem Phänomen „Fußballgott“ umgehen?

Ein altes Lied

Es ist nicht unüblich, den Sport in die Nähe der Religion zu stellen. Vor über 2000 Jahren wurden die antiken Vorfahren der Olympischen Spiele zu Ehren der griechischen Götter veranstaltet. Laut einer Legende war es der Halbgott Herakles gewesen, der die Olympischen Spiele ins Leben gerufen hat.4 Die Ursprünge des größten sportlichen Ereignisses sind also zutiefst religiös.

Grundsätzlich jedoch besaßen die damaligen Christen gegenüber der gesundheitsorientierten hellenistischen Gymnastik eine positive Einstellung, da es mit dem ganzheitlichen, biblischen Menschenbild übereinstimmte.5

Das Athletentum, die Olympischen Spiele und Gladiatorenkämpfe lehnten frühen Christen aber aus mehreren Gründen ab. Im Athletentum war es die Brutalität und die Rücksichtslosigkeit im Lebensstil der Sportler, welche die Christen abschreckte. Da die Olympischen Spiele im kultischen Rahmen stattfanden und in den Gladiatorenkämpfen Menschen getötet wurden, waren sie ebenfalls nicht akzeptabel. Deshalb trugen die Christen auch zum Niedergang des Sport- und Spielewesens in der Antike bei, als ihr Einfluss im 4. Jahrhundert immer größer wurde. So ließ der christliche Kaiser Theodosius I. die Olympischen Spiele aufgrund ihrer Nähe zur heidnischen Kultur im Jahr 393 verbieten.6

Hinzu kam, dass im dritten Jahrhundert eine vom Neoplatonismus geprägte Leibfeindlichkeit aufkam, die das Denken der Menschen prägte. Der Konflikt dieser beiden gegensätzlichen Denkrichtungen bestimmte das Bild des Sports in der Gesellschaft über viele Jahrhunderte.7 Eine breite Anerkennung fand er dann auch erst ab dem 19. Jahrhundert, als die gesundheits- und gemeinschaftsfördernde Wirkung von Sport in den Mittelpunkt gestellt wurde.8

Bei den modernen sportlichen Veranstaltungen spielen kultische Bezüge also keine Rolle mehr. Die Ursachen für das Phänomen „Religion Fußball“ müssen woanders liegen.

Gemeinschaftsgefühl und Rituale

„Das erste und das wesentliche Merkmal des alten wie des modernen Olympismus ist: eine Religion zu sein“9, sagte der Begründer der modernen Olympia-Spiele, Pierre de Coubertin. Sport, nun nicht mehr nur zu Ehren der Götter, sondern selbst Religion? Die Olympiade hat in Deutschland diesen Status kaum erreicht. Aber was ist mit dem Fußball?

Warum Fußball immer wieder gern mit einer Religion gleichgestellt wird, liegt weniger daran, dass tatsächlich einem „Fußballgott“ gehuldigt wird. Es sind vor allem Äußerlichkeiten, die sich ähneln.

Zum Beispiel bietet der Fußball etwas, was im westlichen Kulturraum früher das Christentum anbieten konnte: das Gefühl der Einheit. Weil aber die Religion generell von der Öffentlichkeit ins Private verschoben wurde, ist ihre einheitsstiftende Funktion für die meisten Menschen weggefallen. Fußball bietet da für viele eine gute Alternative. Wissenschaftler vergleichen daher das Singen von Fanhymnen im Stadion mit dem Singen von Liedern in der Kirche, weil beides eine ähnliche Aufgabe hat: das fühlbare Zusammensein mit anderen Menschen.10

Anhand der Rituale werden die Kirche und der Fußball in der Wissenschaft ebenfalls verglichen. Zum Beispiel hat das Singen von Hymnen über die gemeinschaftsstiftende Funktion hinaus auch eine rituelle Funktion. Nun muss man sich dazu erst einmal bewusst machen, wozu Rituale dienen. Sie haben die Aufgabe, eine Ordnung im alltäglichen Chaos zu errichten und uns damit Stabilität zu geben. Sie sollen das, das wir nicht einschätzen können, einschätzbar machen. Sei es das Leben im Großen oder Fußball im Kleinen.

Natürlich sind gerade Fußballspiele hochgradig ungewiss im Ausgang. Diese belastende Ungewissheit kann man auf unterschiedliche Weise kompensieren. Indem er zum Beispiel Lieder zur Anfeuerung und zur moralischen Unterstützung der Spieler singt und den Fan-Schal in einer ganz bestimmten Weise hält11, vermeidet der Fan einen hilflosen, passiven Zustand. Weil er nicht selbst Tore schießen kann, gibt er sein Bestes, um auf anderem Weg seine Mannschaft zu unterstützen. Er versucht auf seine Weise, über Rituale, die in bestimmten Spielsituationen ausgeübt werden, zu dem von ihm erwünschten Ergebnis beizutragen. Dahinter steckt nicht unbedingt eine religiöse Absicht. Vermutlich ist dieses „religiöse“ Handeln dem Betreffenden nicht einmal bewusst.

Sollten Christen die Rituale nun zu denken geben? Sind sie magisch oder religiös? – Sie sind vor allem menschlich. Denn auch wir Christen neigen dazu, uns durch bestimmte Rituale von der Ungewissheit des Lebens zu entlasten. Geht es uns nicht manchmal so, dass wir glauben, ein besonders tolles Gebet oder ein imposantes Leben würde Gott dazu bringen, alles nach unseren Wünschen zu richten? Wenn Gott aber einen anderen Plan hat, möglicherweise einen, der uns nicht passt, sind wir enttäuscht.

Deshalb finde ich es interessant, dass der UN-Sportbeauftragte und bekennende Christ Willi Lemke es so rigoros ablehnt, Gott um die Erfüllung eines Wunschsieges zu bitten. Im Stadion oder vor dem Fernseher müssen wir wohl einfach die Spannung der Ungewissheit aushalten können, ohne Gott für das Versagen der Lieblingsmannschaft verantwortlich zu machen.

Ist der Fußball eine gefährliche Konkurrenz für die Kirche?

Die Christen der Antike hatten gegen sportliche Festspiele ganz bestimmte Argumente zur Hand. Doch sportliche Spiele ehren heutzutage keine Götter – auch keinen Fußballgott. Natürlich spielt auch das Thema Mord im Rahmen von Wettkämpfen keine Rolle mehr.

Was ist nun mit der Bezeichnung „Fußballgott“? Neben der eher scherzhaften Verwendung in den Medien kommt mit diesem Begriff zum Ausdruck, dass manche Menschen ihr komplettes Leben nach dem Fußball ausrichten. Das ist nicht weniger und nicht mehr, als dass im Leben vieles „Gott“ sein kann: Geld, Hobbys, sogar die Familie. Der „Fußballgott“, der zumindest beim Namen genannt wurde, ist nur einer von ihnen. Erlösung schenkt er ganz gewiss nicht und Heilsgewissheit findet man nicht im Stadion.

Ist Fußball nun aber insgesamt als eine Konkurrenz zur Kirche zu sehen? Die Dinge, die den Fußball so sehr in die Nähe der Religion bringen, sind wie oben gezeigt weniger die Inhalte, sondern vor allem die sozialen Funktionen, die bei beiden ähnlich sind. Diese Funktionen sind nicht exklusiv christlich. Wegen solcher Äußerlichkeiten zu glauben, Fußball sei für Christen gefährlich, schießt weit am Ziel vorbei.

Das Pferd von der anderen Seite aufzäumen

Anstatt den Fußball als Konkurrenz zu fürchten oder rigoros abzulehnen, sollten wir darauf sehen, was das Phänomen uns zeigt. Zum einen ist der Wunsch nach Gemeinschaft immer noch eine spürbare Sehnsucht in der Gesellschaft. Eine Gemeinde, die harmonisch ist und deren Mitglieder nicht gegeneinander arbeiten, kann durchaus ein Grund für Nichtchristen sein, zum Glauben zu kommen. Auch zeigt uns das Beispiel, dass Rituale und Liturgie nicht unbedingt veraltet sind, sondern wichtig für unser Leben.

Die Aufregung mancher Christen über das Thema finde ich daher nicht ganz verständlich. Wenn die Werbungsmacher provozieren wollten, wieso lassen wir uns darauf ein? Nutzen wir doch stattdessen die provokanten Werbungen als Gesprächsaufhänger über unseren Glauben.



1 http://www.epd.de/landesdienst/landesdienst-west/schwerpunktartikel/protestanten-kritisieren-vaterunser-spot-von-sat1- [5. Juni 2012].

2 Michael Nüchtern: Die Weihe des Profanen – Formen säkularer Religiosität. In: Reinhard Hempelmann/Matthias Pöhlmann [Hrsg.]: Panorama der neuen Religiosität. Sinnsuche und Heilsversprechen zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Gütersloher Verlagshaus 2005, S.23-95, hier: S. 41.

3 Ebda.

7 Ebda.

8 Nüchtern: Weihe des Profanen. In: Hempelmann/Pöhlmann [Hrsg.]: Panorama, 2005, S. 40.

9 Ebda.

 

 

Ihr Kommentar

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Kommentare (3)

Brigitte /

Ja, Röschen, da stimme ich Dir voll und ganz zu. Leider wird ja heutzutage von einigen Gemeinden dazu ermutigt, Fussballspiele in den Gemeinderäumen anzusehen und Bekannte dazu einzuladen, mit dem mehr

schwarzerDrache /

Ich finde es schade, dass es leider auch bei vielen Christen daraufhinaus läuft, lieber sonntags auf dem Fußballfeld zu stehen, als zum Gottesdienst zu gehen, weil man sich dort ja wohler fühlt. Da mehr

röschen /

ES KANN NICHT SEIN, DASS DAS WAS MIR ALS CHRIST HEILIG IST, FÜR PROFANE DINGE WIE FUßBALL VERWENDET WIRD (SIEHE Sat1 VATERUNSER.
AUßERDEM FINDE ICH ES NICHT GUT, WENN CHRISTEN FÜR FUßBALL EINE mehr

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