ERF.de: Herr Eppelmann, Deutschland feiert 20 Jahre Wiedervereinigung. Ist Deutschland heute das Land, das Sie sich 1990 erträumt haben?
Rainer Eppelmann: So konkret, wie ich die Wirklichkeit heute erlebe, habe ich damals gar nicht geträumt. Wenn Sie mich gefragt hätten, ob mir das Leben im vereinigten Deutschland im Vergleich zu dem, wie ich vorher in der DDR leben musste, besser gefällt, hätte ich Ja gesagt. Viel besser sogar! Ich bin ungeheuer froh
darüber, dass ich in einer Demokratie leben kann und ganz andere Möglichkeiten habe, mein Leben so zu gestalten, wie ich es mir wünsche und vorstelle.
Ich schaue auf das, was wir in den letzten 20 Jahren in der ehemaligen DDR verändert, aufgebaut, repariert, rekonstruiert und in Ordnung gebracht haben, was wir im ökologischen und gesetzgeberischen Bereich geschaffen haben und sage: Es war gut. Es war wichtig.
Ein Freund von mir, Wolfgang Berghofer, ehemals Oberbürgermeister in Dresden, sagte mir mal, die DDR hätte es vielleicht geschafft, in 20 Jahren eine Stadt wie Dresden in den Zustand zu bringen, wie sie heute ist. Alles andere wäre zusammengefallen. Wir hingegen haben viele Städte aufgebaut, vieles verbessert, vieles gemacht.
Wir sind ein geachtetes Volk und ein geachteter Staat, der von wohlmeinenden Nachbarn und Verbündeten umgeben ist. Ein Krieg innerhalb der Völker Europas ist im Grunde unvorstellbar geworden. Wir viel zu sehr voneinander abhängig und miteinander verbunden. Der biblische Traum vom ewigen Frieden ist zwar noch nicht weltweit und ich weiß auch nicht, ob man das im Blick auf Europa sagen kann. Im Grunde ist es aber strukturell nicht mehr möglich, dass europäische Länder übereinander herfallen. Das empfinde ich auf dem Hintergrund unserer Geschichte als etwas ungeheuer Schönes und Wertvolles.
ERF.de: Sie haben als Pfarrer in der DDR erlebt, dass die Kirche einen schweren Stand hatte und auch heute hat es die Kirche in den neuen Bundesländern noch nicht leicht. Woran liegt das?
Rainer Eppelmann: Die unter sehr engen Grenzen arbeitende, denkende, betende und handelnde Kirche hat es hinsichtlich ihrer Möglichkeiten ganz gewiss bescheidener gehabt als die Kirche in der Bundesrepublik. Sie hat es andererseits aber auch leichter gehabt. In einer ideologisch ganz stark geprägten Diktatur wie der DDR gab es nur eine deutlich schwächere Stimme als diese eine Propaganda-Stimme der SED und der DDR. Das war im kirchlichen Raum die kirchliche Meinung. Wenn jemand nicht mehr der FDJ, den Pionieren oder der SED hinterherlaufen wollte, hatte er im Grunde nur eine einzige Alternative: er konnte sich zu einer Kirche halten.
In der bunten, freien, weit gespannten und groß geöffneten Bundesrepublik Deutschland hat jeder einzelne von uns hunderte, tausende von Möglichkeiten sich zu betätigen, sich etwas auszusuchen oder auf irgendeinen guten oder falschen Propheten zu hören. Um jedoch DIE Alternative für die Menschen zu sein, das ist heute eine sehr viel anspruchsvollere Aufgabe für die katholischen und evangelischen Kirchen in den neuen Bundesländern als das zu DDR-Zeiten war.
ERF.de: Vertreter der Kirche hatten einen großen Anteil an der Wende und somit auch an der Wiedervereinigung. Welchen Anteil hat Kirche am Zusammenwachsen von Ost und West? Konnte sie da einen Beitrag leisten?
Rainer Eppelmann: Die Kirche leistete einen ganz wesentlichen, erheblichen Teil. Mit dem Bau der Mauer haben die Kirchen - katholische, evangelische sowie Freikirchen - offensichtlich sehr schnell begriffen: Wir müssen jetzt etwas tun, um die besondere Gemeinschaft der Christen in Deutschland auf dem Hintergrund der gewachsenen Geschichte nicht vor die Hunde gehen zu lassen.
Und darum haben sie westdeutsche Pfarrer, Pastorinnen, Kirchengemeinden darin ermuntert, Kontakte zu Kirchengemeinden in der DDR zu erhalten. Pfarrer suchten sich Kontaktgemeinden, mit denen sie über sehr viele Jahre Begegnungen pflegten. Die westdeutschen Gemeinden konnten diejenigen in der DDR besuchen. Die Gemeinden aus der DDR wären gerne zum Gegenbesuch gefahren, durften es aber nicht. Aber das hat dennoch einen wesentlichen Anteil daran gehabt, dass es überhaupt noch Kontakte, Vertrauen und Interesse zu den oder für die Deutschen im anderen Teil gegeben hat.
Man kann also feststellen, dass es zumindest in diesem Bereich ein Zusammengehörigkeitsgefühl und ein Stück Bewusstsein dafür gab, dass wir eigentlich zusammengehören. Da haben die Kirchen einen ganz wesentlichen Beitrag geleistet.
ERF.de: Zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung wird in der CDU darüber diskutiert, inwiefern die CDU noch eine Heimat für Christen ist. Wie stehen Sie zu dieser Frage?
Rainer Eppelmann: Ich kenne keine Partei in der Bundesrepublik Deutschland, die ausschließlich atheistische ist. Es kann also nicht nur eine Partei, die ein „C“ in ihrem Namen trägt, Christen als Mitglieder haben. Ich weiß aus meiner langjährigen Zeit als Abgeordneter des Deutschen Bundestags, dass es in allen Parteien, sogar unter den Linken Menschen gab, die sich als Christen bezeichneten. Nach meiner Erkenntnis waren das alles Leute aus der ehemaligen Bundesrepublik. Bei den SED-Mitgliedern der DDR ist das sicher schwer vorstellbar gewesen. Dort galt die lupenreine atheistische Lehre von Marx und Engels. Unter den westdeutschen Bürgen ist das offensichtlich ein bisschen anders gewesen.
In der CDU wird kein Bekenntnis von den Mitgliedern erwartet, das vergleichbar wäre mit einem Bekenntnis, wie wir es im Gottesdienst sprechen. Der Bezug zum Christentum besteht im Grunde in der kurzen lapidaren Formel, dass wer Mitglied der CDU sein will, das Menschbild der Bibel akzeptieren muss. Das heißt, dass wir alles Sünder sind und Fehler machen, und dass es für uns völlig unmöglich ist ein Lied zu singen, das besagt, „Die Partei, die Partei hat immer recht!“, wie es die Kommunisten gesungen haben. Doch das beschränkt sich nicht auf die CDU. Es ist gleichermaßen vorstellbar für die SPD, für die FDP, für die Grünen oder mit einer gewissen Einschränkung auch für die Linken.
ERF.de: Verstehen Sie den Vorwurf bestimmter Kreise, dass sich christliche Wähler in der CDU wie sie heute ist nicht mehr zuhause fühlen könnten?
Rainer Eppelmann: Den, der so was sagt, würde ich gerne fragen warum. Ich wäre sehr gespannt auf seine Antwort. Darauf, ob sie der Argumentation von jemandem ähnelt, der aus der Kirche austritt, weil er sich über den Pfarrer ärgert. Dann ist er offensichtlich nie richtig in der Kirche gewesen. Ich habe den Eindruck, dass das nur ein Bequemlichkeitsargument ist oder eines aus einer Spontanverärgerung.
Als einer, der beides erlebt hat –Zeiten, in denen ich nur am Rande der Kirchengemeinde gelebt habe und auch intensive Zeiten in einer Gemeinde als Student oder Pfarrer– habe ich gemerkt, was für ein Schatz das ist. Die Gemeinschaft mit Gleichgesinnten ist eine Lebenshilfe. Ich glaube, man kann in einer komplizierten Welt zwar sehr bequem leben, aber wenn man verantwortlich als Christ leben will, dann braucht man die Gemeinschaft der Heiligen. Also wer die Kirche verlässt, weil er sich über einen Pfarrer ärgert, weil ihm die Kirchensteuern zu hoch sind oder weil die Kirche den falschen Anstrich gekriegt hat, der hat noch nicht begriffen, was Christsein eigentlich bedeutet. Der tut mir ein bisschen leid, dass er die Chance so leichtfertig vergibt, ein glücklicher Mensch werden zu können.
Ihr Kommentar
Kommentare (4)
Herr eppelmann, zunächst mal herzlichen Dank für Ihre Aussage "auch in anderen Parteien gibt es Christen". Ich bin seit Jugend Mitglied in der SPD. Habe dort Vorbilder gefunden und … mehrkennengelernt.Musste mir in einer pietistischen Gemeinde, sehr stark von der Evg. Allianz geprägt oft sagen lassen, die SPD sei eine Partei von Gottlosen.Darauf habe ich mit dieser Gemeinde gebrochen. wollen. Ich vermute sogar bei den Linken ab und an Christen.
Und hat nicht Marx bei manchen seiner Ansichten von der Bibel abgeschrieben ?
Ich bin auch glücklich, der ich im Westen wohnte und wohne über die Wiedervereinigung. Durfte ich doch Städte sehen, die mir früher fast verschlossen waren. Durfte ich offene Menschen kennenlernen, Verbindungen knüpfen, die einfach guttun,und habe wichtige Begegnungen gehabt.
Es war für uns im Westen einfacher, unseren Glauben zu bekennen, als ich ahne, wie es in der DDR war. Nur, haben wir oft die Chance nicht genutzt, weil wohl Selbstverständliches nicht so viel wert zu sein scheint. Und ich finde es hilfreich, wenn die Gemeindepartnerschaften bleiben, ja ausgebaut werden. Wir haben in Brieske/Kr. Senftenberg solch eine heute noch funktionierende Partnerschaft. Ich werde immer dankbarer,was ich aus den Erfahrungen der "Dortigen" erfahre und für meinen Glauben mitnehme.
Abschließend :ein alter Pfarrer in der Nähe von frankfurt / Oder , mit dem meine Eltern über die Posaunenarbeit Kontakt über Jahrzehnte hatten, und der mir auch ein lieber Bruder geworden ist, sagte mir, als ich ihn fragte, ob er mit der Deutsche Einheit gerechnet hätte:: nein, gerechnet habe ich zu meiner Lebenszeit nicht. Aber, wir haben immer dafür gebetet.
Ihnen viel Gutes
Ihr thomas Brommer
Leider gibt es auch heute immernoch eine unsichtbare Grenze zwischen Ost u. West. So überraschend u. mit Begeisterung die Wende kam, so kamen auch die "neuen" Probleme! Es darf nicht behauptet … mehrwerden, na ja, die DDR-Leute wollen ja nicht arbeiten. Auch im Westen wird während der Arbeitszeit geraucht u. getrunken. Und letztlich war ja etwas dran, dass eben im Westen der "Kapitalismus" herrscht. Der "Osten" hat ihn nie kennengelernt u. die ältere Schicht will sich auch nicht mehr auf den "neuen Kapitalismus" umstellen. Es gibt sie auch heute noch: die "Ossis" u.d. "Wessis".
Überall "regiert" das Geld, auch hier in Ungarn. Es ist nur schlecht eingeteilt. Normalerweise bräuchte Niemand hungern. Während die Obdachlosen in dem Abfall herumsuchen, schmeißen Andere das Geld "zum Fenster hinaus." Ein Spruch besagt: "Wenn der letzte Baum gefällt, der letzte Fluß vergiftet u. der letzte Fisch geangelt ist, werden die Menschen darauf kommen, dass Geld nicht eßbar ist!"
interessant und informativ zu lesen. auch ich habe hohen respekt vor den christen in der ddr, deren glaube sie in fast allen fällen ihre beruflichen chancen und noch einiges mehr gekostet hat. nicht … mehrzustimmen kann ich dem teil des interviews, in dem herr eppelmann leicht polemisch die cdu mit einer gemeinde vergleicht, die man verlässt, wenn man sich über den pfarrer ärgert. vielleicht hätte herr marx mal nachfragen können zu den themen hartz IV, soziale gerechtigkeit, gesetze zur forschung mit embryonalen stammzellen, krippenplätze für kleinkinder und fristenlösung bei der abtreibung. würde sagen, da gehts doch eher schon ans eingemachte.
Ich habe großen Respekt vor den Christen, die sich in der DDR nicht durch staatliche Willkür- und Unterdrückungsmaßnahmen haben abschrecken lassen, sondern konsequent ihren Weg gegangen sind, den … mehrMenschen eine Alternative zum Atheismus aufgezeigt und den Blick für die Ewigkeit geweitet haben. Dank an Rainer Eppelmann dafür, daß er daran erinnert hat!
In einem Punkt möchte ich Eppelmann aber heftig widersprechen, nämlich in seiner Antwort auf die letzte Frage, warum sich Christen heute in der CDU nicht mehr zuhause fühlen. Er macht es sich zu leicht, wenn er Bequemlichkeit oder Spontanverärgerung unterstellt. Nun bin ich spontan verärgert und gehe den unbequemen Weg, diesen Kommentar zu schreiben.
Meine Gründe, mich von der CDU ab- und der Piratenpartei zuzuwenden, habe ich ja bereits im ERF-Interview vom 11. September 2009 erläutert, siehe <http://www.erf.de/index.php?PHPSESSID=d83b180e2c4a09908a211afba03ba8b6&node=2270-542-3055>. Heute könnte ich weitere Anfragen an die CDU stellen, beispielsweise, wie sich eine fragwürdige Bankenrettungsaktion in Höhe des doppelten Bundeshaushalts einerseits und eine Hartz-IV-Erhöhung um lächerliche 5 € andererseits mit dem Menschenbild der Bibel vertragen.
Können Sie diesen Kommentar bitte an Herrn Eppelmann weiterleiten? Vielleicht können wir ja in einen Dialog eintreten. Vielen Dank!