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© Brock Wegner / unsplash.com

02.01.2008 / Andacht / Lesezeit: ~ 5 min

Autor/-in: Elke Janßen

Wer bin ich?

Identität ist das, was nach außen dringt, oder? Ist Identität nicht vielmehr das, was in mir passiert?

Wer bin ich? Sie sagen mir oft,
ich träte aus meiner Zelle
gelassen und heiter und feste
wie ein Gutsherr aus seinem Schloss.

Wer bin ich? Sie sagen mir oft,
ich spräche mit meinen Bewachern
frei und freundlich und klar,
als hätte ich zu gebieten.

Wer bin ich? Sie sagen mir auch,
ich trüge die Tage des Unglücks
gleichmütig, lächelnd und stolz,
wie einer, der Siegen gewohnt ist.

Bin ich das wirklich, was andre von mir sagen?
Oder bin ich nur, was ich selbst von mir weiß:

Unruhig, sehnsüchtig, krank, wie ein Vogel im Käfig,
ringend nach Lebensatem, als würgte mir einer die Kehle,
hungernd nach Farben, nach Blumen, nach Vogelstimmen,
dürstend nach guten Worten, nach menschlicher Nähe,
zitternd vor Zorn über Willkür und kleinlichste Kränkung,
umgetrieben vom Warten auf große Dinge.

Ohnmächtig bangend um Freunde in endloser Ferne,
müde und leer zum Beten, zum Denken, zum Schaffen,
matt und bereit, von allem Abschied zu nehmen

Wer bin ich? Der oder jener?
Bin ich denn heute dieser und morgen ein andrer?
Bin ich beides zugleich? Vor Menschen ein Heuchler
und vor mir selbst ein verächtlicher Schwächling?
Oder gleicht, was in mir noch ist, dem geschlagenen Heer,
das in Unordnung weicht vor schon gewonnenen Sieg?

Wer bin ich? Einsames Fragen treibt mit mir Spott.
Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott.

(Dietrich Bonhoeffer, 16.07.1944; Militärgefängnis Berlin-Tegel)

 


Beeindruckend dieser Mann: Selbst noch im Gefängnis ist er innerlich frei, gelassen, im Glauben fest verankert, kämpferisch und konsequent, theologisch versiert und voller Gottvertrauen. So überzeugend für seine Wächter, dass sie bereit sind, seine Briefe, Gebete, theologische Arbeiten und Gedichte nach außen zu seinen Freunden und Familie zu schmuggeln.

Dietrich Bonhoeffer, Widerstandskämpfer im Dritten Reich, war Mitglied der Bekennenden Kirche, einer Protestbewegung innerhalb der protestantischen Kirche. Sie wandte sich gegen die dem System der Nationalsozialismus angepasste Leitung der evangelischen Kirche, sowie gegen die staatliche Unterdrückung der Kirche durch das nationalsozialistische Regime. Am 5. April 1943 wurde Bonhoeffer in Berlin verhaftet und am 9. April 1945 hingerichtet.

Und da ist noch ein Mann: Er sitzt auch in einer Zelle. Er ist unruhig, deprimiert, unfähig zum beten, zornig und wütend. Er hat große Sehnsucht nach seiner Familie und ist voller Angst. Auch das ist Dietrich Bonhoeffer. In seinem Gedicht: „Wer bin ich?“ setzt er sich mit seinen widersprüchlichen Gefühlen und auch mit seiner unterschiedlichen Außenwirkung intensiv und ehrlich auseinander und breitet sie vor Gott aus.

Oft erlebe ich es auch, dass ich mich selber ganz unterschiedlich wahrnehme oder meine Umgebung mich gegensätzlich beurteilt: „Stark, distanziert, treu, angriffig, vielfältig, schwach, launisch, kreativ“. In manchen Bereichen bin ich souverän und selbstbewusst und wirke auch so nach außen. Dann gibt es Situationen, wo ich mich klein (mache) oder verletzbar bin. Manchmal habe ich Angst und verkrieche mich oder greife an, manchmal bin ich stark und wage etwas Neues.

Und wie oft bestimmt mein Verhalten darüber hinaus meine Umgebung, Personen und auch meine Vorstellung von Gott? Dann schlüpfe ich in wechselnden Rollen, um verschiedenen Erwartungen gerecht zu werden, ohne dass mir das immer bewusst ist. Wie anstrengend!

  • „Was ist echt, was ist unecht?“
  • „Was heißt es, authentisch zu leben?“
  • „Wie gehe ich mit meinen Stärken und Schwächen um?“
  • „Wie hat sich Gott das eigentlich mit mir gedacht?“


Dieses Gedicht von Bonhoeffer hat mich bewogen, noch einmal gründlicher über diese Frage nachzudenken: Wer bin ich eigentlich wirklich? 

Ich bin Gottes Geschöpf

Die Bibel schildert, dass wir Menschen keine Zufallsprodukte sind, sondern Geschöpfe Gottes. Gott hat uns alle, auch Dich und mich nach seinem Ebenbild – ihm ähnlich –, als geliebtes Gegenüber geschaffen (1. Mose 1,26 und 27).

Er hat uns bewusst als einzigartige Personen geschaffen und möchte mit uns in Beziehung treten. Nirgendwo in der Bibel begegnet uns Gott als unpersönliche Kraft, als eine undefinierbare Energie oder als eine distanzierte Allmacht. Die Männer und Frauen der Bibel weinten und lachten mit ihm, sie sprachen mit ihm über ihre Begeisterung und auch über ihre Zweifel – zum Beispiel in den Psalmen. Gott liebt mich und ich bin wertvoll für ihn und er hat mich als unverwechselbares Original geschaffen.

Gott sieht mich

Die Sehnsucht nach Liebe und Anerkennung, sowie die Angst, etwas falsch zu machen, hält mich oft gefangen. Ich jage einem Wunschbild meiner selbst nach, dem ich letztendlich nie entsprechen kann. Darüber werde ich unsicher, aggressiv und selbstsüchtig. Gott weiß das alles. Er sieht mich anders, als die Menschen in meiner Umgebung. Er kennt mich mit meinen Schwächen und Stärken, Sehnsüchten und Gedanken. Und er möchte mir dabei helfen, mich selber anzunehmen und mir zeigen, wie ich von ihm erdacht bin.

Gott liebt mich

Er hat mich gewollt und geschaffen, mit allen Drum und Dran. Mit Stärken und Schwächen (Vgl. Psalm 139).

Gott sagt zu mir Ja, darum kann ich auch Ja zu mir selber sagen. Selbstannahme hat nichts mit Selbstsucht oder einem egozentrischen Erfahrungstrip zu tun. Selbstannahme durch die bedingungslose Liebe Gottes macht mich erst fähig, mich trotz Begrenzungen, Behinderungen, und mit Begabungen und Möglichkeiten auseinanderzusetzen und mich anzunehmen. Das kann schmerzhaft sein, ist aber ein heilsamer Weg.

Ich muss nicht Gutes tun, um von Gott anerkannt und geliebt zu werden. Ich habe es nicht nötig, mich mit anderen ständig zu vergleichen, sie zu kopieren oder ihnen was vorzuspielen. Ich kann es mir leisten, echt zu denn. Denn…

Gott bewegt mich!

Gott befähigt mich, ehrlich vor mir selber zu werden und auch den unangenehmen Teilen meiner Persönlichkeit und Lebensverhältnissen zu stehen. Ich brauche keine Masken mehr, keine Show, sondern kann ihm alles erzählen, mich auch korrigieren lassen.

Das wiederum macht mich frei, anderen nichts mehr vorzuspielen und auch um Vergebung zu bitten, wo ich schuldig geworden bin. Ich kann nun wieder meine Gaben entdecken und mich einsetzen, für Projekte, wertschätzende Beziehung, für ihn selber und mich von Aktivitäten verabschieden, die mich zwar beschäftigen und Anerkennung bringen, aber mich letztendlich abhängig machen.

Schließlich erinnert mich Gott, immer wieder neu seine Nähe zu suchen und mich auszuruhen, mich immer wieder neu auf seine Liebe einzulassen, auch wenn ich mich manchmal selber nicht verstehe, wenn manches schief geht und Gefühle widersprüchlich erscheinen.

Ich darf mit dem lebendigen Gott rechnen, der weiß, wie ich bin und dem ich mich anvertrauen kann und der mir seine Liebe zeigt: „Ich habe nie aufgehört, dich zu lieben. Ich bin dir treu, wie am ersten Tag“ (Jeremia 31,3b).

Ich bin geliebtes Kind Gottes!

 

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