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© Gerd Seidel / Wikimedia Commons CC BY-SA 3.0

09.08.2015 / Allianzkonferenz 2015 / Lesezeit: ~ 7 min

Autor/-in: Rebecca Schneebeli

Ist das Boot wirklich voll?

Bundestagsabgeordneter Volkmar Klein ist überzeugt: Es braucht eine bessere Entwicklungshilfe, um dem derzeitigen Flüchtlingsstrom zu begegnen.

Immer wieder hört man den Satz „Das Boot ist voll“, wenn es um Menschen geht, die in Deutschland eine neue Heimat suchen. Der Bundestagsabgeordnete Volkmar Klein macht deutlich, wie wichtig es ist, die Lebensbedingungen in den betreffenden Ländern zu verbessern. Andreas Odrich hat ihn für ERF Medien interviewt.
 

ERF: Das Thema Flüchtlinge liegt den Menschen sehr am Herzen: Manche empfinden die Situation als aufregend und bedrohlich, andere wollen helfen. Was sagen Sie aus bundespolitischer Sicht dazu?

Volkmar Klein: Zuerst einmal ist es aus christlicher Sicht entscheidend, dass wir jedem Einzelnen, der zu uns kommt, mit Liebe und Fürsorge begegnen. Auf der anderen Seite ist aber auch klar, dass nicht jeder, der als Asylsuchender zu uns kommt, eine Berechtigung dazu hat. Wenn jemand aus den Ländern des Balkans, in denen inzwischen Freiheit herrscht, zu uns kommt, ist er einfach nicht bedroht und hat deswegen auch keinen Grund für Asyl. Trotzdem herrscht großes Verständnis dafür, dass diese Menschen versuchen, ihre Heimat zu verlassen, um bei uns größere Chancen für sich und ihre Familien zu bekommen. Das kann man ihnen nicht verdenken. Das verpflichtet uns aber, noch mehr für die Entwicklung von Chancen in deren Heimatländern zu tun: In Albanien und im Kosovo müssen wir zum Beispiel helfen, Jobs zu kreieren. Einfache Sozialprojekte reichen nicht. Es müssen sich selbst tragende Entwicklungen sein, sodass die Menschen wirkliche Lebenschancen in ihrem Heimatland haben.
 

ERF: Was müsste sich ändern, damit diese Länder eine echte Chance erhalten?

Volkmar Klein: An vielen Stellen geht es natürlich darum, Märkte zu eröffnen und unsererseits mehr Importe aus entsprechenden afrikanischen Ländern zu ermöglichen. Natürlich wird Geld gebraucht, aber in vielen Ländern gibt es riesengroße Korruption ¿ in den Balkanländern, aber auch in Afrika. Das ist ein zentrales Problem. Verbunden ist das mit zu komplizierten Genehmigungsverfahren, die ihrerseits wieder einen Anreiz schaffen, sie zu umgehen. Deswegen ist meine Hauptforderung, dass in diesen Ländern klare und transparente Strukturen geschaffen werden, damit sich eine positive Entwicklung ergeben kann. Viele Länder in Südostasien haben gezeigt, dass das möglich ist.

Wir brauchen eine Troika für Afrika

ERF: Wie gehen wir mit den Flüchtlingen hier um? Es wird kritisiert, dass die Bearbeitung von Asylanträgen zu lange dauert.

Volkmar Klein: Es ist auch für mich nicht zu verstehen, warum das so lange dauert. Denn die Statistik zeigt, dass 40 Prozent der Asylbewerber aus den sechs Ländern des westlichen Balkans kommen, von denen einige sogar ausdrücklich als sichere Herkunftsländer qualifiziert wurden. Das würde für mich bedeuten, dass diese Menschen quasi automatisch in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden können. Das scheint aber noch nicht zu funktionieren. Gleichwohl bin ich trotzdem der Meinung, dass nach Mazedonien, Serbien und Bosnien auch Kosovo, Albanien und Montenegro zu sicheren Herkunftsländern qualifiziert werden sollten. Auch dort herrscht Freiheit. Es kann daher nicht sein, dass aus diesen Ländern bei uns Asylanträge gestellt werden.
 

ERF: Ein weiterer Kritikpunkt ist die Teilung der Verantwortung zwischen Bund, Land und Städten. Viele Kommunen fühlen sich von den Flüchtlingsströmen überfordert. Wie kann das Zusammenspiel zwischen Bund, Ländern und Kommunen besser gelingen?

Volkmar Klein: Der Bund hat eine Milliarde Euro zusätzlich für die Kommunen zur Verfügung gestellt, damit diese die anfallenden Aufgaben auch finanzieren zu können. An sich ist aber in unserem föderalen System eindeutig das jeweilige Land zuständig. Außerdem sind die Klagen der Kommunen sehr unterschiedlich. In Bayern werden beispielsweise die Kosten, die den Kommunen entstehen, komplett vom Land Bayern erstattet. In Nordrhein-Westfalen ist die Erstattung mit am niedrigsten, weshalb die nordrhein-westfälischen Kommunen auch am lautesten klagen. Trotzdem bleibt die erste Adresse für diese Klagen die jeweilige Landeshauptstadt und nicht Berlin. Ich glaube: Der zentrale Beitrag von Berlin muss sein, dafür zu sorgen, dass die Verfahren schneller werden und dass für mehr Länder geklärt ist, dass ein Asylantrag nicht möglich ist.
 

ERF: Sie sind im entwicklungspolitischem Bereich tätig und sagen: „Man muss die Verhältnisse in den Ländern ändern, aus denen die Menschen kommen.“ Wie schnell wird das möglich sein?

Volkmar Klein: Das ist in der Tat eine sehr schwierige Aufgabe, zumal in unserem Nachbarkontinent Afrika die Entwicklung in den letzten Jahrzehnten am schwierigsten und langwierigsten vonstattengegangen ist. In der gleichen Zeit war die Entwicklung in Ost- und Südostasien viel schneller. Ende der 50er Jahre lag das durchschnittliche Bruttoinlandsprodukt in Ghana doppelt so hoch wie das in Südkorea. Heute liegt der Faktor bei 30 anders herum. Insofern muss man sich fragen: Was hat Südkorea, Taiwan und andere Länder in dieser Region so erfolgreich gemacht? Wieso ist eine solche Entwicklung in Afrika selbst in Ländern mit guten Voraussetzungen so schlecht vorangegangen? Wir müssen dazu beitragen ¿ so wie wir das im Moment innerhalb Europas tun ¿, Entscheidungswege zu verbessern, Genehmigungsverfahren zu straffen und damit eine Grundlage für zusätzliche Investitionen zu schaffen. Möglicherweise brauchen wir auch eine Troika in den jeweiligen afrikanischen Ländern. Es geht eben nicht in erster Linie darum, möglichst viel Geld hineinzustecken, sondern darum, Bremsklötze für die eigene Entwicklung wegzuziehen. Genau das können wir von Südkorea lernen.

„Wolfgang Schäuble ist der beste Freund der Griechen“

ERF: Wenn ich Sie richtig verstehe, dann befürworten Sie die harte beziehungsweise geradlinige Haltung von Wolfgang Schäuble gegenüber Griechenland?

Volkmar Klein: Auf jeden Fall. Ich habe viele griechische Freunde, die sagen: „Wolfgang Schäuble ist der beste Freund der Griechen.“ Denn es geht nicht darum, kurzfristig auf Kosten anderer Erleichterungen zu ermöglichen, sondern es muss darum gehen, die Wege für eine bessere, sich selbst tragende Entwicklung zu ebnen. Das sind genau die Gespräche, die gegenwärtig geführt werden, um ein neues Griechenlandprogramm möglich zu machen. Das ist sowohl für Griechenland gut als auch für Europa.
 

ERF: Sollten Deutsche in Griechenland Urlaub machen?

Volkmar Klein: Das ist auf jeden Fall ein guter Beitrag. Denn wenn wir einerseits sagen, dass es in Griechenland zu wenig wirtschaftliche Aktivität, Chancen und Arbeitsplätze gibt, andererseits aber wissen, dass Griechenland mit dem Tourismus über eine große Einnahmequelle verfügt, ist jeder Urlauber ein Beitrag, der die Entwicklung dieses Landes befördert.

Die eigene Verantwortung wahrnehmen

ERF: Kommen wir zurück auf die Flüchtlinge in Deutschland. Was wünschen Sie sich von den Christen im Umgang mit den Flüchtlingen einerseits, andererseits aber auch im Umgang mit der politischen Problematik?

Volkmar Klein: Ich wünsche mir, dass sie sich daran beteiligen, auf diese Menschen zuzugehen. Das geschieht schon an vielen Stellen. Das ist gut für die Flüchtlinge, aber auch für uns selbst. Bei uns in der Burbacher Kirche werden die Lesungen inzwischen auch auf Englisch. Außerdem bieten wir sogar eine kurze Zusammenfassung der Predigt auf Englisch an. Das tun wir, weil jeden Sonntag 20 bis 30 Flüchtlinge aus der Erstaufnahmeunterkunft in die Kirche kommen. Es ist ein tolles Angebot, um die Menschen willkommen zu heißen. Es ist gleichzeitig auch interessant für die alteingesessenen Burbacher. Man kann ein bisschen weltweite Kirche innerhalb unseres Dorfes erleben. Insofern hat jeder etwas davon. Ich würde mir darüber hinaus aber auch wünschen, dass viel mehr Leute bei uns deutlich machen, dass wir Veränderungen in der Welt gerade in Bezug auf die Religionsfreiheit brauchen, und dass wir im Interesse der verfolgten Christen in aller Welt eintreten. Es gibt viele, die sich engagieren. Es gibt aber an vielen Stellen noch viel zu wenig Argumente und viel zu große Sprachlosigkeit.
 

ERF: Sie sind bewusst als Christ in der Politik. Warum und was bedeutet Ihnen der Glaube im Hinblick auf Ihre Motivation und Ihre tägliche Arbeit?

Volkmar Klein: Einerseits bedeutet es für mich Motivation, andererseits ist es Maßstab für mein Handeln. Vielleicht passt als zusammenfassende Antwort am besten ein Vers aus der Bibel. Da steht in Lukas 18, 27: „Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich.“ Das ist mein Lieblingsvers, weil er einerseits die großartige Verheißung beinhaltet, dass wir mit Gott und durch Jesus Christus unsere menschlichen Grenzen sprengen können. Andererseits ist es eine klare Aufgabenstellung. Es bedeutet eben auch, dass das, was für uns Menschen bereits möglich ist, in unserer Verantwortung liegt und unsere Aufgabe ist. Das gilt bis in den privaten Bereich. Ich bete um eine sichere Reise, benutze aber auch den Sicherheitsgurt und kann mich nicht darauf berufen: „Ich habe gebetet, ich bin in Gottes Hand. Ich kann so schnell fahren, wie ich will, und brauche keinen Sicherheitsgurt.“ Das wäre ein Abschieben meiner eigenen Verantwortung an Gott. Das ist nicht richtig. Ich muss erkennen, was meine Verantwortung ist. Im privaten wie im politischen Leben müssen wir beides tun: Beten und Handeln. Wir müssen beten für die Menschen in Afrika und für die Flüchtlinge. Wir müssen aber auch handeln. Beides gehört zusammen. Danach versuche ich, meine Entscheidungen zu treffen. Im politischen Leben bedeutet das, dass ich versuche, einen Teil unseres Landes mitzugestalten.
 

ERF: Vielen Dank für das Gespräch.

 Rebecca Schneebeli

Rebecca Schneebeli

  |  Redakteurin

Sie schätzt an ihrem Job, mit verschiedenen Menschen und Themen in Kontakt zu kommen. Sie ist verheiratet und mag Krimis und englische Serien.

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Kommentare (2)

Jaques L. /

Möglich, dass Herr Schäuble ein Freund der Griechen (bzw. der Griechischen "Eliten") ist. Er ist aber ganz sicher ein Feind des deutschen Steuerzahlers, der den unendlichen Rettungszirkus längst mehr

M. /

Zur ERF-Frage, 'sollten Deutsche in Griechenland Urlaub...' Dazu wäre zu fragen, ob diese Deutschen mal eben 'weg machen' als wären sie selbst auf der Flucht oder ob's wirkliches Interesse an Land und Leute gibt. !?

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