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© Studiocanal

19.01.2017 / DVD-Rezension / Lesezeit: ~ 5 min

Autor/-in: Martin Mandt

Er hatte einen Traum...

„Selma“ ist der erste biografische Spielfilm über den Bürgerrechtler Martin Luther King.

1964 war in den USA die Rassentrennung zwar per Gesetz, aber nicht tatsächlich aufgehoben. Rassentrennung war normal:

„Selma“
Spielfilm, USA, 2015
Regie:   Ava DuVernay
Verleih:   Studiocanal
Länge
 
  DVD: 123 Min.
BluRay: 128 Min.
Darsteller:

















 
  David Oyelowo
(Martin Luther King jr.),
Tom Wilkinson
(Präsident Lyndon B. Johnson),
Tim Roth
(George Wallace),
Cuba Gooding Jr.
(Fred Gray),
Oprah Winfrey
(Annie Lee Cooper),
Tessa Thompson
(Diane Nash),
Giovanni Ribisi
(Lee C. White),
Martin Sheen
(Frank Minis Johnson),
Dylan Baker
(J. Edgar Hoover,  u.a.
FSK:   12
Unsere
Empfehlung:
 
ab 15

Die berühmte Rede Kings, die mit dem Satz „I have A Dream“ („Ich habe einen Traum“) in die Geschichte einging, spielt im Film übrigens keine Rolle.

Es gab getrennte Sitze in Bussen, Zügen, Kinos; es gab schwarze und weiße Hotels, Restaurants, Kirchen, Parkbänke und Toiletten. Öffentliche Gebäude hatten für Schwarze und Weiße sogar getrennte Eingänge. Vor allem aber wurden Schwarze gehindert, an Wahlen teilzunehmen, obwohl ihnen bereits 1870 das Wahlrecht gesetzlich zugesprochen worden war.

Der Spielfilm „Selma“ dokumentiert diese Diskriminierung und zeichnet einen Ausschnitt der Geschichte des Bürgerrechtlers Dr. Martin Luther King jr. nach, der davon träumte, dass irgendwann alle Menschen gleich sein bzw. gleich behandelt werden würden.

Der harte Kampf um das Wahlrecht für Afro-Amerikaner

Der enthusiastische Martin Luther King steht an der Spitze der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, die gewaltfrei für die Gleichstellung der schwarzen Bevölkerung kämpft. Doch die Gegenwehr der weißen Bevölkerung ist hart. Wie hart, wird dem Zuschauer anschaulich demonstriert: Direkt nachdem Martin Luther King der Friedensnobelpreis verliehen wird, geht eine Bombe in einer Kirche hoch und reißt vier schwarze Mädchen in den Tod.

Später wird der Zuschauer Zeuge der erniedrigenden Prozedur, der sich Schwarze unterziehen müssen, wenn sie sich als Wähler registrieren lassen. Darum geht es hauptsächlich in „Selma“: Um den Kampf der Schwarzen für das Wahlrecht.

Ein gewaltfreier Traum gegen brutale Weiße

Martin Luther King wählt für seinen gewaltfreien Protest das Städtchen Selma im südlichen Alabama aus. Dort stellen sich den schwarzen Demonstranten der brutale Sheriff und der rassistische Gouverneur entgegen. Doch die Gewalt auf der Gegenseite gehört zu Kings Kalkül. Denn je mehr Kameras die willkürliche Gewalt der Weißen gegen die friedlich protestierenden Schwarzen aufzeichnen, desto besser.

Als der erste Marsch von Selma nach Montgomery, Alabamas Landeshauptstadt, bereits an der Stadtbrücke über den Alabama-River blutig niedergeschlagen wird, ist die mediale Wirkung immens.

Selbst Präsident Lyndon B. Johnson, der sich bisher in „weißer Zurückhaltung“ geübt hat, kann jetzt nicht mehr tatenlos zusehen. Der Marsch von Selma geht als Wendepunkt in die Geschichte ein:

Präsident Johnson erweitert daraufhin am 6. August 1965 den 15. Artikel der amerikanischen Verfassung, der Afro-Amerikanern erlaubt, ohne Vorbedingungen wählen zu gehen: Ein Recht, das Schwarze eigentlich schon seit 100 Jahren hatten.

Ein wertvolles Zeitdokument

„Selma“ ist mehr als nur ein Spielfilm über Martin Luther King und seinen Traum. Er ist ein Zeitdokument, das Geschichte (be)greifbar macht. Gleichzeitig ist es ein Porträt des schwarzen Bürgerrechtlers, der 1968 wegen seines Kampfes für die Rechte schwarzer Amerikaner von einem Rassisten erschossen wurde.

Martin Luther King war dennoch ein umstrittener Mann. Der Baptistenprediger wurde – hauptsächlich wegen eines angeblich dem Kommunismus nahestehenden Beraters – vom FBI observiert. Daher wurden auch im Privatleben Kings Ermittlungen angestellt, die zutage förderten, dass sich King allem Anschein nach mehrere Seitensprünge geleistet hat. Diese Ermittlungen sollten das öffentliche Bild Kings als moralisch verdorben darstellen. Fakt ist aber, dass King und seine Frau Coretta verheiratet blieben.

Herausragende Schauspieler in einem herausragenden Film

Der Film deutet dies alles nur an. Eine große Rolle spielt nur, dass der Druck, Kings Hingabe an die Bürgerrechtsbewegung und eine immer drohende Ermordung schwer auf der Ehe von King lasteten. Viele seiner Weggefährten wurden in diesen Jahren ermordet – einige dieser Morde sieht man im Film.

Der schwarzen Regisseurin Ava DuVernay gelingt es, sowohl den historischen Ausschnitt aus Martin Luther Kings Leben als auch das Porträt dieses Mannes gut miteinander zu verbinden. Geprägt wird der Film eher von Dialogen, Diskussionen und den tatsächlichen Reden Kings, denn durch Action oder Gewaltdarstellungen. Außerdem werden die Zweifel Martin Luther Kings, seine Emotionen und Probleme so gut dargestellt, dass der Film an die Nieren geht.

Daran haben auch die hervorragende Schauspieler Anteil: In kleineren und größeren Rollen sind Filmgrößen wie Oprah Winfrey, Tom Wilkinson, Tim Roth, Cuba Gooding jr. und Martin Sheen zu sehen. Allen voran brilliert aber David Oyelowo („Der Butler“) als Martin Luther King, der aus Überzeugung diese Figur spielt.

„Christianity Today“ gegenüber sagte der Brite, dass er mit 16 Jahren Christ wurde und Gott ihn auf diese Rolle vorbereitet habe. Am Set habe er die „spirituelle“ Erfahrung gemacht, dass sie mit mehreren Christen vor den Aufnahmen gebetet haben. Großartig ist, dass der Glaube Martin Luther Kings auch im Film eine Rolle spielt. Denn King holte sich Kraft aus seinem Glauben.

Im Film wird das unter anderem dadurch gezeigt, dass der Bürgerrechtler öffentlich betet oder die ebenfalls gläubige Sängerin Mahalia Jackson anruft, damit sie ihm durch Gospels neuen Mut spendet.

Aktuell wie nie

Alles in allem ist „Selma“ ein zu Herzen gehender Film, dem es gelingt, die Figur Martin Luther Kings charismatisch darzustellen und gleichzeitig das Klima in den Südstaaten der 60er Jahre einzufangen. Ich habe die Ungerechtigkeit, die den Schwarzen widerfährt, im Film nicht gesehen, ich habe sie gefühlt. Ich war mitten im Geschehen. Das ist etwas, das nur wenigen Filmen gelingt.

Dass dies gelingt, macht „Selma“ wiederum zu einem hochaktuellen Dokument, das einfängt, woran Amerika bis heute krankt: Der Rassismus gegen Schwarze ist noch lange nicht ausgemerzt. Denn 50 Jahre nach „Voting Rights Act“ von 1965 sind nicht nur durch die Tötung des Jugendlichen Michael Brown im August 2014 in Fergusson erneut Diskussionen über Rassismus neu entflammt.

Seitdem gab es immer wieder rassistisch motivierte Aktionen und Morde durch Polizisten an Schwarzen. Und wieder gehen Menschen auf die Straße, um auf die Verletzung der Rechte von Schwarzen durch Weiße (Polizisten) aufmerksam zu machen.

Auch in der aktuellen Flüchtlingsdebatte in Deutschland kann der Film ein Zeichen setzen. Setzt man den Film in der Gemeinde oder schulisch ein, kann das Beispiel der unterdrückten Schwarzen guten Einfluss auf die Kinder unserer Zeit haben. Würde der Film „Selma“ das Denken und Handeln unserer Kinder dahingehend beeinflussen, dass den rechtspopulistischen Krakeelern der Wind aus den Segeln genommen würde, wäre das sicherlich im Sinne des schwarzen Bürgerrechtlers Martin Luther King.

Der offizielle Trailer zu „Selma“

Spannung   ✓✓✓✓✓
Anspruch   ✓✓✓✓✓
Aussage   ✓✓✓✓✓
Gewalt  
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Note:   1-

 

 Martin Mandt

Martin Mandt

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Kommentare (2)

Hesekiel /

Martin Luther Kings Nichte kritisiert das Aufheizen der Stimmung mit Hilfe des inflationär gebrauchten Rassismus-Vorwürfen: „Stir up their emotions, use the name of King – and my name is Alveda King mehr

Libby /

Unglaublich, wie aktuell dieser Film wieder ist, wo man doch denken könnte, im Jahr 2017 ist die Menschheit so aufgeklärt, dass man es nicht mehr nötig hätte, Leute wegen ihrer Hautfarbe zu mehr

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