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14.11.2016 / Andacht / Lesezeit: ~ 2 min

Autor/-in: Michael vom Ende

Augen und Ohren auf!

Eine Andacht zu einer Reformationsforderung und gegen die Angst.

„Agenten der Entängstigung“. Da ist vor zwei Wochen diese Formulierung gefallen, in der Rede des Bundespräsidenten zum Reformationstag. Er beklagte, es mache sich „ein Ungeist der Gnadenlosigkeit breit, des Niedermachens, der Selbstgerechtigkeit, der Verachtung“. Und er forderte „Agenten der Entängstigung“. Das öffentlich zu formulieren, ist schon gut. Das zu fordern, nicht so schwer.

In Zeiten wie diesen, in denen die Angst mit kalten Händen nach unseren Herzen und Seelen greift. Die Frage aber ist: Wer kann solch ein Agent sein − oder werden? Sind die meisten „Agenten der Entängstigung“, die wir kennen, „so um die fünf Jahre alt“, wie es jemand augenzwinkernd bei Facebook kommentierte? Also Kinder, die der Angst Vertrauen und Zuversicht entgegensetzen?

Die Angst der Seele sehen

Das erste Buch der Bibel berichtet von einem existentiellen Streit unter Menschen, die sogar verwandt miteinander waren. Ein arrogant wirkender Josef geht seinen Brüdern so auf die Nerven, dass sie ihn fallen lassen. In ein Wasser-Sammelbecken. Dann beseitigen sie ihn, indem sie ihn als Sklaven in die Fremde verkaufen. „Angst essen Seele auf“. Dieser Filmtitel aus dem Jahr 1974 bringt auf den Punkt, was bei Josef geschieht. Er fleht seine Brüder in seiner Angst um Erbarmen an.

Doch sie bleiben gnadenlos. Und er verliert Heimat, Nähe, Geborgenheit und Zuversicht. Jahre später, nun sind die unbarmherzigen Brüder von damals in einer Notlage, begegnen sie sich wieder. Und beim Aufarbeiten all dessen, was geschehen ist, hält der Autor des 1. Mosebuches eine wichtige, bemerkenswerte Einsicht der Brüder fest: Das haben wir an unserem Bruder verschuldet! Denn wir sahen die Angst seiner Seele, als er uns anflehte, und wir wollten ihn nicht erhören. (1. Mose 42, 21) Wem es in den vielen Begegnungen des Tages gelingt, beim Anderen die Angst der Seele zu sehen, hat den ersten Schritt geschafft, „Agent der Entängstigung“ zu werden.

Agenten der Entängstigung werden

Die Brüder von Josef sahen die „Angst seiner Seele“. Sahen sie in seinen flehentlichen Worten die Bitte, mit der Grausamkeit, der Verachtung und der Gnadenlosigkeit aufzuhören. Sie selbst sehen es später ein: Sie haben nicht auf seine Worte gehört. Sie haben nicht auf das unausgesprochene Flehen gehört, das er mit angstvollen Augen, mit ängstlichen Bewegungen, vielleicht mit Angsttränen an sie gerichtet hat. Sie wollten ihn nicht erhören. Das war die Tragik. Das war ihre Schuld. Sie fällten eine grausame Entscheidung, die sie später bitter bereuen.

Wer die Angst der Seele beim anderen sieht UND das Flehen, mit oder ohne Worte, hört, der hat die freie Entscheidung: Er kann alles in seiner Macht Stehende tun, damit der Andere Heimat, Nähe, Geborgenheit und Zuversicht gewinnt. Unabhängig davon, ob er selbst oder der andere die Angst verschuldet hat. So werden wir „Agenten der Entängstigung“!

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Kommentare (1)

Elke G-S /

So "sind" die einen unbewusste, unschuldige Kinder, aus deren ahnungsloser Zuversicht und vorbehaltlosem Vertrauen wir Kraft schöpfen. Und "werden" die anderen, die bewussten, z. T. schuldig mehr

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