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© Nicolai Opifanti

21.02.2023 / Interview / Lesezeit: ~ 7 min

Autor/-in: Laura Stephan

Martin Luther 4.0

Nicolai Opifanti geht als Social Media-Pastor neue Wege.

 

Er liebt seine Heimatstadt Stuttgart, steht auf große Autos und schafft Vorurteile aus dem Weg. Bei Instagram und Co. bringt Nicolai Opifanti unter dem Pseudonym pfarrerausplastik Gottes Liebe zu den Menschen und zeigt nebenbei seinen Alltag als Pastor bei der württembergischen Landeskirche in Stuttgart. Ob die Kanzel wirklich aufs Smartphone geholt werden kann, darüber hat Laura Stephan aus der ERF Aktuell Redaktion mit Nicolai Opifanti gesprochen.*

Ich möchte mit Vorurteilen aufräumen

ERF: Wie reagieren die Menschen, wenn sie hören, dass Du Pastor auf Instagram und tik tok bist?

Nicolai Opifanti: Die meisten finden das extrem cool – vor allem die säkular (weltlich – Anm. d. Redaktion) geprägten Menschen. Sie haben durch Fernsehserien oft sehr klischeehafte Vorstellungen von einem Pastor. Zum Beispiel denken sie, das sind alles alte, weiße Männer mit großem Bauch, die wie Martin Luther anno 1517 reden. Wenn die sehen, dass da einer Mitte 30 ist, über Gott redet und dazu noch Fußball schaut, dann sind sie immer ganz verwundert.

Ich freue mich, wenn ich die Klischees bei den Menschen abbaue und sie etwas schockieren kann, indem sie merken: Hey, der ist ja gar nicht so weltfremd, wie ich gedacht habe.

ERF: Warum nennst du dich auf Social Media Pfarrer aus Plastik?

Nicolai Opifanti: Der Name ist eher ein Witz. Ich saß während der Pfarrersausbildung abends mit Freunden zusammen, als das Lied „Palmen aus Plastik“ von Bonez MC und RAF Camora kam. Ein Kumpel meinte daraufhin: Hey, du bist der Pfarrer aus Plastik! Das fand ich so cool, dass ich mir direkt mein Handy geschnappt habe und meinen Namen von Nicolai Opifanti in Pfarrer aus Plastik geändert habe. Hätte ich damals gewusst, dass die Reichweite so steigt, dann hätte ich vielleicht einen anderen genommen. Aber, er bleibt im Gedächtnis und ist mittlerweile sogar ein bisschen zur Marke geworden.
 

ERF: Als Jugendlicher hast Du nicht an Gott geglaubt und sondern gläubige Christen mit vielen, kritischen Fragen gelöchert – was hat dich denn am Glauben abgestoßen?

Nicolai Opifanti: Wahrscheinlich auch die Klischees. Ich hatte das Bild im Kopf, wenn du Christ bist, dann hast du keinen Spaß im Leben. Ich war damals der Meinung, dass ich sehr lebensfroh bin. Ich war viel auf Partys und wollte ich mir den Spaß einfach nicht nehmen lassen. Ich wollte mir meinen Lebensstil nicht kaputtmachen lassen und so hat mich das Christentum eher abgestoßen.

Das Christentum hatte für mich einen biederen Touch.

Ich habe viele Wunder erlebt

ERF: Jetzt erzählst du Menschen selbst von Gott. Warum hast Du diese kritische Haltung aufgegeben?

Nicolai Opifanti: Das ist echt ein Wunder – wirklich! Ich war weit weg von Gott und hatte eigentlich null Bock auf ihn. Ich hatte in jungen Jahren eine Lebenskrise, bin mit 17, 18 Jahren sogar sitzengeblieben. Unter anderem, weil ich viel zu viele Drogen genommen habe und mein Gehirn einfach nicht mehr in der Lage war, das Abitur zu machen.

Im Nachhinein war aber genau das mein größter Glücksfall. Ich habe dadurch eine neue Sitznachbarin bekommen. Und die fand ich so sympathisch, cool und einfach lustig. Mit der hatte ich echt viel Spaß. 
 

ERF: Warum war das denn dein Glücksfall?

Nicolai Opifanti: Sie ist Christin und hat sowas von null in meine Klischees über Christen gepasst. Die hatte Bibelverse in ihrem Zimmer. Da, wo bei mir irgendwelche Poster von Rockstars waren, waren bei ihr Bibelverse. Und trotzdem fand ich die ultrasympathisch. Wir haben auch gar nicht so viel über den Glauben diskutiert.

Was mich an ihr so begeistert hat, war dieser Frieden, den sie und ihre ganze Familie ausgestrahlt hat. Die waren einfach zufrieden mit sich und mit der Welt. Und das hat mich beeindruckt, weil ich diese tiefe Zufriedenheit in meinem Leben nicht kannte. Und letzten Endes war es genau das, was mich überzeugt hat. Sie haben einfach mit ihrem Leben vorgelebt, wie ein Leben mit Gott aussieht.

Ich will Werbung für Gott machen

ERF: Wie hast du gemerkt, dass Instagram und Co. wichtige Plattformen sind, um Menschen von Gott zu erzählen?

Nicolai Opifanti: Um ehrlich zu sein, erst nachdem ich damit angefangen habe. Am Anfang war das nur für meine Freunde gedacht, um ihnen zu zeigen, was ich bei der Arbeit so mache. Mir war es bald zu blöd,  immer auf ihre Fragen zu antworten und dann habe ich gesagt: Folgt mir einfach auf Instagram, da siehst du, was ich jeden Tag mache.

Irgendwann ist dann sogar ein Lokalsender auf mich aufmerksam geworden. Und erst da habe ich gemerkt, dass es (der Social Media Account – Anm. d. Redaktion) auch helfen kann, Menschen die Kirche näher zu bringen.
 

ERF: Im September 2021 ist das Projekt Pfarrdienst in digitalen Räumen bei der württembergischen Landeskirche gestartet. Du bist dort Social Media Pastor. Wie kann ich mir deine Arbeit vorstellen? 

Nicolai Opifanti: Es ist eine Mischung - einerseits berichte ich aus meiner analogen Tätigkeit als Pfarrer. Andererseits stelle ich auf Social Media Glaubensinhalte zusammen mit meiner Pfarrkollegin dar. Zum Beispiel machen wir Kurzvideos. Darin versuchen wir binnen 20 bis 30 Sekunden Themen des Christentums vermitteln. Zum Beispiel: Was ist eine Taufe? Wie glaube ich an Gott? Oder was sagt Gott über Sexualität?
 

ERF: Ist Social Media nicht sehr oberflächlich.

Nicolai Opifanti: Den Vorwurf höre ich öfter. Und manchmal muss ich auch mit Ja antworten, weil Du komplexe Themen nicht in 20 bis 30 Sekunden abhandeln kannst. Was auch nicht unser Ziel ist. Wir wollen Werbung für Gott machen. Wie eine Art kleiner Teaser. Wir wollen die analoge Kirche, die Gemeinde vor Ort nicht ersetzen, sondern den Leuten Lust auf mehr machen. Sodass sie denken: Ach, wenn der Typ im Netz so cool ist, dann schaue ich mir vielleicht doch mal eine Gemeinde vor Ort an.

Die Herausforderungen machen großen Spaß

ERF: Sprichst Du auf tiktok und Co. anders über Gott?

Nicolai Opifanti: Es gibt eigentlich keinen großen Unterschied zu dem, was ich analog erlebe. Mittlerweile folgen uns zwei Sorten von Menschen. Die einen, die an Gott glauben, und die anderen, die mit Gott und Kirche nicht so viel am Hut haben.
 

ERF: Findest du es einfacher, via Social Media über den Glauben zu sprechen?

Nicolai Opifanti: Nein, im Gegenteil, ich finde es wesentlich schwieriger, dort über den Glauben zu sprechen und auch Seelsorge zu betreiben. Denn die meisten Menschen kenne ich ja nicht von Angesicht zu Angesicht. Bei der Seelsorge muss ich beim Schreiben viel vorsichtiger sein als in einem Gespräch. Denn ich sehe weder die Gestik noch die Mimik meines Gegenübers. Ich muss also an den Worten, die mir geschrieben werden, herauslesen, was mein Gegenüber so betrübt. Und dann ganz sensibel antworten. Es ist kein einfaches Feld, aber es macht trotzdem großen Spaß.
 

ERF: Du gibst viel Privates preis, zum Beispiel deinen Hochzeitstag oder auch Urlaube mit Freunden. Warum?

Nicolai Opifanti: Um mit den Klischees zu von Pfarrern und Pfarrerinnen zu brechen. Ich will damit zeigen, dass ich ein ganz normaler Mitte-30-jähriger bin. Der einzige Unterschied:  Ich habe einen Job, der heute nicht mehr alltäglich ist. Aber ich bin trotzdem Teil dieser Welt, ich bin ein Mensch wie ihr. Deshalb zeige ich, was ich privat mache. Wobei aber auch nicht alles zeige. Hätte ich Kinder, würde ich die nicht zeigen.

Ich möchte Hass mit Liebe begegnen

ERF: Wie gehst du damit um, wenn du auf Social Media beschimpft wirst? Unter anderem wurdest du mal als Kinderschänder beschimpft, was völlig unbegründet ist.

Nicolai Opifanti: Ich würde jetzt gern sagen, dass ich damit gut umgehen kann. Die Wahrheit ist, dass ich das nicht kann. Denn das macht was mit einem - mit mir. Ich muss dann erst mal durchschnaufen. Zudem macht es mich aggressiv und wütend, weil ich einfach nur aufgrund meines Berufs beschimpft werde.

Wenn es Richtung Straftat geht, würde ich sofort Anzeige erstatten. Zudem melde ich unangemessene Kommentare bei Instagram, die dann sofort gelöscht werden. Wenn ich aber merke, das sind halbwegs sachlich kritische Kommentare, dann versuche ich den Menschen zu schreiben. Aber das kostet Kraft ohne Ende.
 

ERF: Wie reagieren die Menschen, wenn du sie anschreibst?

Nicolai Opifanti: Viele sind ganz erstaunt, dass hinter dem Account ein echter Mensch steht. Das finde ich echt besorgniserregend. Aber immerhin habe ich so schon viel Hass abfedern können. Einer hat mir mal erzählt, dass er selbst mit Missbrauch in Kirche zu tun gehabt hat. Das macht es für mich ein bisschen nachvollziehbarer. Und es motiviert mich, noch viel mehr die Botschaft „Liebe“ in die sozialen Medien zu bringen. Ich habe eine Aktion gestartet: #LiebestattHass. Wir können da einen richtigen Unterschied machen, wenn wir diesem Hass in den sozialen Medien mit Liebe begegnen.

Es motiviert mich noch viel mehr, die Botschaft Liebe in die sozialen Medien zu bringen. Ich habe eine Aktion gestartet: #LiebestattHass.

Mich berühren die Gespräche nach den Gottesdiensten

ERF: Was war für dich die bewegendste Rückmeldung?

Nicolai Opifanti: Zu Beginn der Corona Pandemie, haben wir mit unseren Instagram- Story-Gottesdiensten begonnen. Es gab keine analogen Gottesdienste mehr. Deshalb haben meine Kollegin Sarah und ich entschieden: über Instagram Gottesdienste zu machen. Es haben uns daraufhin so viele Menschen geschrieben, wenn so Gottesdienst wäre, dann würden sie auch wieder gerne in die Kirche kommen. Und das hat uns mega motiviert, weil wir im Vorfeld dachten, vielleicht finden die Leute das komisch.

Diese positiven Rückmeldungen und auch die Wertschätzung, die die Menschen uns entgegengebracht haben, die war gigantisch und die berührt mich bis heute.
 

ERF: Also brauchen wir den klassischen Gottesdienst am Sonntagmorgen noch….

Nicolai Opifanti: Ja, definitiv. Gerade jetzt nach Corona. Letzten Sonntag habe ich wieder mit richtig vielen Menschen Gottesdienst gefeiert. Was mich vor allem daran begeistert, sind die Gespräche danach. Der Gottesdienst war schon anderthalb Stunden vorbei und die Leute haben sich noch immer ausgetauscht. 

Der Sonntagmorgen ist für viele einfach ein wichtiges Ritual, das Ihnen Halt gibt. Wenn man denen den Sonntagmorgen Gottesdienst nehmen würde, würde der Rückhalt im Leben fehlen.

Ich spüre jeden Sonntag, wie viel Rückhalt der Sonntagmorgen Gottesdienst den Menschen gibt.

ERF: Vielen Dank für das Gespräch.
 

*Zur besseren Lesbarkeit ist der Text an manchen Stellen überarbeitet und gekürzt. Weitere Anekdoten aus seiner Arbeit als Pastor hören Sie im Audio.

 Laura Stephan

Laura Stephan

  |  Redaktions-Volontärin

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