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© Bardia Hashemirad / unsplash.com (Symbolbild)

09.03.2018 / Interview / Lesezeit: ~ 5 min

Autor/-in: Heike Knauff-Oliver

„Beim Singen fühle ich mich frei …“

Iranerin Mahi erzählt, wie Leben und Singen mit Christen das Leben verändert.

Nach einer Flucht ist das Leben von Migranten radikal anders. Doch auch das Leben der Deutschen ändert sich – ihr Glaube und ihre Toleranz werden auf die Probe gestellt. 

 

 

„Wenn ich die Musik und Lieder im Gottesdienst höre und mitsinge, muss ich weinen“, erzählt mir Mahi in unserem Gespräch über Religion und Gebet. Wir kennen uns seit Februar 2016 und seither hat sich eine Freundschaft mit der Muslimin aus dem Iran entwickelt. Als sie die ersten Male zu uns ins Gemeindehaus kam, trug sie noch ein Kopftuch und kleidete sich, wie es für eine Muslima üblich ist.

Wir wollten Flüchtlingen bei einem Kaffeetreff die Möglichkeit zur Begegnung bieten, da habe ich sie zum ersten Mal getroffen. Über die Türkei und Griechenland ist sie auf abenteuerlichen Wegen zu uns gekommen. Ihre ersten Kontakte in Deutschland, nach Polizei und Einwanderungsbehörde, waren wir – Menschen der evangelischen Gemeinde Ziegenhain in Nordhessen.

Angekommen und angenommen

Mahi hat im Iran viel Angst, Bedrohung und Gewalt erlebt. Manchmal erzählt sie davon. Die schrecklichen Erinnerungen holen sie immer wieder ein – das macht sie sehr traurig. Trotzdem versucht die Iranerin, ihre Vergangenheit nach und nach hinter sich zu lassen. Doch diese lässt sich nicht so einfach ablegen wie das Kopftuch, das einst einen Teil von ihr ausmachte. Zwänge, Unterdrückung und Gewalt prägten ihr Leben im islamischen Staat.

Die ungewohnte Freiheit und das liebevolle, neue Umfeld tun ihr gut. Sie wird so akzeptiert, wie sie ist. Sie ist angekommen und wird angenommen. Sie lebt gerne in einem Provinzort mitten in Deutschland. Die lebenslustige und attraktive Frau muss ihre Weiblichkeit nun nicht mehr hinter schwarzen Gewändern verstecken. Gerne kleidet sie sich modisch. Nur noch ihr Akzent und ihre Erscheinung lassen ihre Herkunft erahnen.

„Helfen macht mich so glücklich“

Die Hilfe und das Entgegenkommen der Menschen haben Mahi sehr beeindruckt. Dass sich meist Christen für sie einsetzen, imponiert ihr besonders. Sie engagiert sich im Diakonieladen und beim Gemeindemittagstisch. „Helfen macht mich so glücklich“, erzählt sie. Ihr ist es ein Bedürfnis, etwas von dem zurückgeben, was wir ihr gegeben haben: „Gott hilft mir immer, deshalb will ich auch helfen. Das ist doch normal.“

Sie nimmt gerne an festlichen Aktivitäten teil – auch bei Gottesdiensten. Singen bereitet ihr besondere Freude. Sogar mit Gospelchor und Kantorei hat sie es versucht, jedoch ist sie damit vorerst überfordert. Wenn aber im Gottesdienst die Orgel erklingt, ist sie jedes Mal tief berührt. Ihre Tränen geben davon Ausdruck – dann prallen Vergangenheit und Gegenwart aufeinander. Sie singt mit, so gut es ihr deutscher Sprachschatz zulässt. „Gott ist mir dann so nah“, erklärt die Muslima ganz demütig. Singend zu beten, ist für sie eine ganz neue Erfahrung. Das kennt sie aus ihrer Religion so nicht.

„Wenn ich mit euch singe denke ich, dass ich fliegen kann“

Bild von Mahi (© privat)
Mahi (© privat)

„Es gefällt mir, dass die Menschen in so unterschiedlicher Weise in Worten, Liedern und mit Musik zu Gott sprechen. „Manchmal übersetze ich die Texte. Wenn ich mit euch Lieder singe, denke ich, dass ich fliegen kann. In mir habe ich einen Schmetterling, dann fühle ich mich frei – wie gerade geboren. Wie ein Kind, das frei ist, und bei dem es egal ist, wann und wie es beten kann“, schwärmt sie mit leuchtenden Augen.

„Unsere Mullahs und Ayatollahs haben uns etwas anderes gelehrt. Wir sollen nur an bestimmten Orten, nur mit Kopfbedeckung und zu bestimmten Zeiten beten, aber das ist falsch“, erklärt sie dann energisch und fast ein wenig traurig. In ihrer Not auf der langen, gefährlichen Flucht hat Mahi immer mit Gott gesprochen – und seine Gegenwart gespürt.

„Wenn man Gott braucht, ist er da. Gott ist immer hier. Ich bete immer und immer. Gott ist mein bester Freund,  wir können mit Gott eine Beziehung haben“, weiß sie. Dass ich mich, wenn wir über Religion reden, auch für ihre Herkunft, ihr Leben und ihre Religion interessiere, freut Mahi. Ihre Religion nimmt sie ernst und Toleranz spielt bei ihr eine sehr große Rolle.

„Beten zu festen Zeiten ist wie ein wichtiger Termin“

Der Koran schreibt dem Gläubigen das Pflichtgebet zu fünf bestimmten Tageszeiten vor: morgens, mittags, nachmittags, abends und zur Nacht. Alle Gebete bestehen aus einer bestimmten Anzahl von Gebetsabschnitten. Man unterscheidet die eigentlichen Pflichtgebete, die keinesfalls unterlassen werden dürfen, von freiwilligen Gebeten. Es ist nicht statthaft, Gebete während des Sonnenauf- und untergangs zu verrichten – gleiches gilt übrigens auch, während die Sonne am höchsten Punkt am Himmel steht.

Beten zu diesen festen Zeiten sind für Mahi wie ein wichtiger Termin, den man einhalten sollte. Doch sie betet immer und überall, sie sagt: „Ohne Gott kann ich nicht leben, Gott ist alles, was ich habe. Gott ist mein bester Freund, er ist immer für mich da. Beten ist wie eine gesunde Ernährung, die man für die Seele braucht. Alles, was Gott uns gibt, ist gut!“  Gott hat sie durch schwere Zeiten und auf der Flucht begleitet.  Jeden Schritt geht sie mit Gott.

„Ihr seid nun meine Familie“

Mahi hat eine neue Familie gefunden. Sie vertraut darauf, dass wir – ihre Freunde – die „Schmetterlingsflügel“ nicht knicken – dass sie in unseren Reihen angenommen und geschützt wird – so wie sie ist. Jeden Morgen dankt sie mit einem Morgengruß per WhatsApp. Wir geben uns gegenseitig Fürsorge und Kraft. Ich habe viel über sie, ihre Kultur und die Erlebnisse während ihrer Flucht gelernt. Mit diesem Wissen kann ich anderen Flüchtlingen besser begegnen.

Ich kenne mehrere Menschen wie Mahi, die in unserem Land und unserer Kultur ihren Weg zu finden versuchen. Ihr Leben hat sich in der Regel drastisch verändert, indem sie ihr Heimatland, ihre gewohnte Umgebung und auch geliebte Menschen zurücklassen mussten. Zum neuen Leben brauchen sie Menschen, die sie so annehmen wie sie sind. Nur so können sie wirklich ankommen. Denn zum Ankommen gehört auch angenommen werden und Toleranz auf beiden Seiten.

So haben es uns die Propheten und die Apostel geboten: „Keiner von euch ist ein Gläubiger, solange er nicht das für seinen Bruder wünscht, was er für sich selbst wünscht“ (Islam, Ausspruch des Propheten Muhammad (Hadith)). „Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen! Darin besteht das Gesetz und die Propheten“  (Christentum, Evangelium nach Matthäus 7,12).

 

 Heike Knauff-Oliver

Heike Knauff-Oliver

  |  Freie Mitarbeiterin

Ihr Kommentar

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Kommentare (4)

Johannes K. /

Es beeindruckt mich sehr, was Mahi über das Gebet berichtet. Auf ihrer Flucht aus Zwängen,
Unterdrückung und Gewalt im islamischen Staat hat sieimmer mit Gott gesprochen - und seine Gegenwart mehr

Michael H. /

Christen tendieren immer dazu, gleich zu verurteilen und zu bewerten. Das hilft dieser Frau nicht weiter. Entscheidend ist, das Sie überhaupt in einen Gottesdienst geht, viele andere Muslime werden mehr

Doris C. /

Ich möchte meinem vorkommentator voll zu stimmen das ist alles sehr nett und ich finde den Bericht auch nett aber die klare Abgrenzung von dem Christen Gott fehlt unser Gott hat aus reiner Liebe zu mehr

maite /

nach dem lesen dieses berichts bleibe ich mit gemischten gefühlen zurück. einerseits finde ich es sehr berührend, wie christen dieser iranischen frau, die gewalt, unterdrückung und religiöse mehr

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