
26.08.2016 / Interview / Lesezeit: ~ 7 min
Autor/-in: Anna Maria SpießEhrenamt mit Nervenkitzel
Das eigene Leben riskieren und dabei Gottes Schöpfung genießen.

Johannes Hoppe ist 25 Jahre alt und arbeitet bei der Feuerwehr. In seiner Freizeit ist er mit großer Leidenschaft bei der Speziellen Rettung. Ein Hobby mit Nervenkitzel. ERF Medien hat mit ihm über seine Motivation, die Herausforderungen des Jobs und Gottes Schöpfung gesprochen.
ERF: Was ist die spezielle Rettung?
Johannes Hoppe: Die spezielle Rettung macht die Höhenrettung, Tiefenrettung, Fließwasserrettung und die enge Rettung. Das heißt: Überall da, wo ein Schadensfall eintritt, wo der reguläre Rettungsdienst nicht hinkommt beziehungsweise nicht weiterkommt, kommen wir als spezielle Retter und können dort seilgebunden oder durch spezielle standardisierte Verfahren einen Patienten retten oder aus einer Zwangssituation befreien.
ERF: Sie begeben sich freiwillig in Lebensgefahr. Warum?
Johannes Hoppe: Ich arbeite ehrenamtlich bei der Höhenrettung, weil ich daran glaube, dass es Momente gibt, aus denen Menschen nicht alleine herauskommen. Ich habe selbst schon erfahren, dass die Welt ein Stück besser wird, wenn man sich gegenseitig hilft. Durch mein christliches Elternhaus bin ich mit einer gewissen Nächstenliebe aufgewachsen. Das hat mich dazu bewegt zu sagen: Ich möchte das beruflich und ehrenamtlich machen.
Außerdem ist die Höhenrettung eine Wahnsinnsmischung zwischen Mannschaft und Material. Mich fasziniert zum einen die Physik, also das Seilgebundene. Rettung hat viel mit Kräften, Vektoren und Bruchlasten zu tun. Das andere ist die Mannschaft. Wir sind eine sehr familiäre Truppe und ich war schon immer jemand, der gerne mit Menschen unterwegs war. Und diese Gemeinschaft erlebt man in fast keinem anderen Verein so intensiv wie in der speziellen Rettung.
ERF: Muss man für ein solches Ehrenamt lebensmüde sein?
Johannes Hoppe: Nein, ganz im Gegenteil. Unsere Verfahren sind standardisiert und sehr auf Sicherheit bedacht. Die Höhenrettung kommt aus der Industriekletterei, die zum Unfallschutz stark überwacht wird. Wir arbeiten immer redundant, das heißt, mit doppelten Sicherungssystemen. Deshalb ist es sicherer, auf einen Baukran zu klettern, als mit dem Fahrrad durch die Innenstadt zu fahren. Trotzdem sind die Einsätze natürlich mit viel Adrenalin und Konzentration verbunden. Jeder Einsatz ist anders. Deshalb bekommt man durch die Höhenrettung großen Respekt und eine sehr hohe Dankbarkeit vom Leben, weil man in Situationen kommt, die nicht so schön sind. Das macht einen im Alltag dann umso dankbarer für Kleinigkeiten, die einfach nicht selbstverständlich sind.
Jeder Einsatz ist anders. Deshalb bekommt man durch die Höhenrettung großen Respekt und eine sehr hohe Dankbarkeit vom Leben, weil man in Situationen kommt, die nicht so schön sind. – Johannes Hoppe von der Höhenrettung
Manchmal bleibt Zeit für ein Stoßgebet
ERF: Sie sind mit extremen Situationen konfrontiert. Wie gehen Sie damit um?
Johannes Hoppe: Das Spannende ist: Im Alltag rechnet man nicht immer damit. Der Melder hängt am Gürtel – und hat eher eine passive Rolle. Wenn er klingelt, hat man erstmal einen Adrenalinausstoß, weil man nicht weiß, was passiert ist. Doch dann laufen erst einmal stumpfe Algorithmen ab: Ich nehme meinen Schlüssel, ziehe meine Schuhe an, gehe in die Tiefgarage, hole mein Auto, fahre auf die Wache und ziehe mich um. Das Ganze geht sehr schnell. Zwischendurch gibt es dann immer so einen Moment, in dem man mal zur Ruhe kommt. Da fängt man schon an zu überlegen, was passiert sein könnte. Man stellt sich auf Bilder ein, die nicht so schön sind. Aber man lernt in der Ausbildung speziell damit umzugehen. Also ganz praktisch Stressbewältigung.
Ich habe mir damals gesagt, dass ich von ganzem Herzen Höhenretter werden möchte. Das heißt, ich versuche immer 120 Prozent zu geben. Egal ob beim Training oder im Einsatz, wir geben alles, was geht. Und alles, was darüber hinaus nötig wäre, liegt nicht in unserer Hand. Ich lege solche Einsätze dann in Gottes Hand und sage: Wir können hier ein ganz großes Werkzeug sein. Aber es gibt Situation, in denen können wir nicht mehr helfen. Das muss man wissen.
ERF: Es gibt verschiedene Mechanismen, um einen Einsatz nicht an sich herankommen zu lassen. Was passiert dennoch auf emotionaler Ebene?
Johannes Hoppe: Es gibt verschiedene Bilder, die aber in der Einsatzsituation nicht so präsent sind. Die kommen eher im Nachhinein. Im Einsatz muss man wirklich erstmal ganz stark, ganz aggressiv seine Aufgabe erledigen. Emotional ist es bei einer Alarmierung so, dass man sich die Frage stellt: Sind Angehörige betroffen? Gerade, wenn man selbst in dem Ort wohnt, überlegt man kurz: Sind Mama und Papa daheim? Ist der Bruder mit dem Auto unterwegs? Und das sind schon immer so Momente, in denen man Gänsehaut bekommt.
Gerade, wenn man selbst in dem Ort wohnt, überlegt man kurz: Sind Mama und Papa daheim? Ist der Bruder mit dem Auto unterwegs? Und das sind schon immer so Momente, in denen man Gänsehaut bekommt. – Johannes Hoppe von der Höhenrettung
Als ehrenamtliche Retter machen wir eine Ausbildung, die 160 Stunden dauert. Im Rahmen dieser Ausbildung wird auch darauf eingegangen, wie man nach einem Einsatz mit solchen Bildern umgeht. Aber auch, wie man im Vorfeld eine gewisse Coolness an den Tag legen kann, um sich auf die Aufgabe zu konzentrieren. Trotzdem ist man natürlich als Mensch emotionsgebunden. Also es bleibt nicht aus, dass man immer auch mal einen Tag hat, an dem man vor einem Einsatz sagt: „Du Kollege, ich fühl mich grad nicht wohl“, sodass die Teamkollegen auf einen aufpassen oder einem Mut zusprechen. Das Gespräch mit Freunden und Kollegen ist bei dieser Arbeit sehr wertvoll, um Situationen gemeinsam aufzuarbeiten.
ERF: Bleibt vor Einsätzen auch mal Zeit, ein Stoßgebet nach oben zu schicken?
Johannes Hoppe: Es gibt manchmal Momente, in denen man ganz kurz Zeit hat. Gerade Alarmfahrten sind so etwas. Man ist ausgerüstet, sitzt im Auto und fährt mit Blaulicht durch die Stadt. Das sind manchmal zehn, fünfzehn Sekunden, in denen man kurz betet: „Hey Gott, ich leg dir das jetzt in die Hand. Es passieren schlimme Dinge, aber du hilfst uns jetzt gemeinsam mit Team und Gerät Menschen zu helfen.“
Hey Gott, ich leg dir das jetzt in die Hand. Es passieren schlimme Dinge, aber du hilfst uns jetzt gemeinsam mit Team und Gerät Menschen zu helfen. – Johannes Hoppe von der Höhenrettung
Den Einsatz nicht mit nach Hause nehmen
ERF: Wie gehen Sie in einem Einsatz vor?
Johannes Hoppe: Ich versuche, Menschen in einer schlimmen Situation zu begleiten. Neben der eigentlichen Rettung bedeutet das, dass man einfach mal eine Hand hält und den Patienten auf psychologischer Ebene betreut. Gespräch ist da etwas ganz Wichtiges. Aber immer in einer gesunden Entfernung. Ich lasse das also nicht so nah an mich heran, dass ich am nächsten Tag nicht zur Arbeit kommen kann oder zwei Wochen arbeitsuntauglich bin. Das hat etwas mit Selbstschutz zu tun. Das klingt erstmal hart, aber das gehört zu einer gesunden Einsatzkraft dazu.
Ein Einsatz ist mir besonders hängen geblieben: Da war jemand, der sich umbringen wollte. Ich habe die Person im Nachhinein, nachdem wir sie gerettet haben, noch eine ganze Weile betreut. Das bewegt einen dann schon, in so eine persönliche Geschichte einzutauchen.
ERF: Was machen Sie nach so einem Fall?
Johannes Hoppe: Nach so einem Einsatz muss man erstmal durchatmen und sich ablenken. Also manchmal einfach ein Eis essen, sich in die Sonne setzen, eine Flasche Wasser trinken und einfach mal nichts tun. Danach ist es ganz wichtig, mit einem guten Freund zu sprechen, um das aufzuarbeiten und nicht mit nach Hause zu nehmen, sondern einfach nochmal Revue passieren zu lassen. Da gehört dann auch mal die ein oder andere Träne dazu.
ERF: Sie sprechen bei der Höhenrettung von einem Hobby. Wie gehen Freunde und Familie mit diesem speziellen Hobby um?
Johannes Hoppe: Wir heißen spezielle Rettung und es ist speziell. Wenn der Melder geht, bin ich erstmal raus aus der Situation. Das merkt man dann auch im Freundeskreis, aber die kennen eben mein Hobby und wissen, dass das ein oder andere Grillen auch mal ins Wasser fällt. Ich habe das auch schon gehabt in Bandproben oder im Gottesdienst. Das sorgt dann schon erstmal für Aufregung, wenn ich plötzlich aufspringe oder gehen muss.
Ich mache dieses Ehrenamt trotzdem mit großer Leidenschaft. Wenn sich jemand für so ein Hobby entscheidet, geht er anders durchs Leben als Menschen mit anderen Hobbies. Weil die Höhenrettung einen prägt und feilt und man das Leben von allen Seiten kennenlernt. Im Erledigen meiner Aufgabe trage ich einen großen Teil dazu bei, dass ein Einsatz rund und sauber abläuft und ein Mensch gerettet wird. Außerdem kann ich, wenn ich bei einer Übung am Baukran hänge, der Natur nah sein und Gottes Schöpfung so richtig genießen. Es gibt also kein schöneres Hobby.
Wenn sich jemand für so ein Hobby entscheidet, geht er anders durchs Leben als Menschen mit anderen Hobbies. Weil die Höhenrettung einen prägt und feilt und man das Leben von allen Seiten kennenlernt. – Johannes Hoppe von der Höhenrettung
ERF: Vielen Dank für das Gespräch.
Ihr Kommentar