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12.04.2016 / Porträt / Lesezeit: ~ 5 min

Autor/-in: Anna Maria Spieß

Gerechtigkeitskämpferin

Priscilla Bucher und ihr Herz für Menschen.

„Als Kind wurde ich oft gehänselt. Mein Vater war Pastor in der Schweiz und wir sind oft umgezogen. In einem kleinen katholischen Dorf war ich eine Fremde mit meinen roten Haaren, meinen Sommersprossen und meinem Dialekt. Dort habe ich gemerkt, dass Rassismus nichts mit Religion und Hautfarbe zu tun haben muss. Rassismus fängt im Kleinen an.“

Priscilla Bucher (Foto: privat)

Diese Art von Rassismus hat Priscilla Bucher am eigenen Leib erfahren. Doch das kleine Mädchen ist erwachsen geworden. Priscilla ist heute 30 Jahre alt, verheiratet und Mutter von zwei Kindern. Mit ihrer Familie lebt sie seit knapp elf Jahren in München. Ihre Kindheitserfahrung wurde zu einer Mission für ihr Leben. Priscilla versteht sich als Gerechtigkeitskämpferin.

 

Sie hat gelernt, dass Menschen Vorurteile gegen alles haben, was ihnen fremd ist – oder fremd scheint. „Dafür können die Menschen gar nicht unbedingt etwas“, sagt sie. Deren Horizont sei einfach etwas eingeschränkt. Das meint sie keinesfalls böse. Im Gegenteil. Diese Erkenntnis hilft ihr, Verständnis für Menschen zu haben und ihnen in ihren Vorurteilen zu begegnen. Priscilla ist dabei wichtig, Menschen mit Fragen zu löchern. „Wenn wir Fragen stellen, kann sich unser Horizont erweitern. Wir müssen uns immer wieder selbst hinterfragen und nicht glauben, alle Antworten bereits zu kennen. So können wir es schaffen, aufeinander zuzugehen und voneinander zu lernen.“

Blickwürdig

Priscilla Bucher setzt sich auch für Flüchtlinge ein. Als Gerechtigkeitskämpferin ist sie vorne mit dabei, wenn es um Willkommenskultur und Hilfsbereitschaft geht. Ihr christlicher Glaube bietet dabei die Grundlage für ihre Empathie und ihr Mitgefühl anderen Menschen gegenüber. Priscilla möchte die politische Lage mitprägen. Mit zwei Flüchtlingsfamilien ist bereits eine Freundschaft entstanden, aber auch über Facebook pflegt sie viele Kontakte: „Es ist eine Art moderne Brieffreundschaft. So lernen sie die Sprache. Ich schreibe auch mit Männern. Da stelle ich klar, dass europäische Frauen mit jedem sprechen dürfen. Und dass da nicht mehr ist – eine Beziehung wie Bruder und Schwester. Das verstehen sie.“

Schon bevor die Flüchtlingsthematik in den Medien hohe Wellen geschlagen hat, hat sich Priscilla darüber Gedanken gemacht, wie man Fremden begegnen kann. Deshalb hat sie mit ihrem Mann 2013 ein Video gedreht, in dem sie beschreibt, dass sie täglich von Tausenden von Menschen umgeben ist, die sie nicht kennt. Und dass es uns Menschen oft leichter fällt, aneinander vorbeizugehen, ohne uns eines „Blickes zu würdigen“, anstatt aufeinander zuzugehen und uns kennenzulernen. In Bezug auf die Flüchtlingskrise ist dieses Phänomen aktueller denn je. Das möchte Priscilla ändern. Für ihr eigenes Leben, aber auch für das anderer.

Deshalb gründete sie die Facebook-Seite Blickwürdig. Darauf postet sie Videos und Kommentare, die den Horizont der Menschen erweitern sollen. So kann Priscilla nicht nur Fragen stellen, sondern auch welche beantworten. Durch den Austausch der Nutzer wächst das gegenseitige Verständnis. Grenzen und Vorurteile werden abgebaut.

Das ist es, was Priscilla sich wünscht – dass alle erkennen, dass jeder Mensch in Gottes Augen wertvoll ist. „Wir sind alle sind Gottes geliebte Kinder. Der Mensch ist sein Leben lang auf der Suche – das ganze Leben ist ein Prozess. Auch als Christin habe ich nicht alle Antworten und ich kann auch nicht sagen, dass meine Meinung die absolute Wahrheit ist. Sie ist immer nur eine Teilaufnahme. Deshalb höre ich auch nicht auf, meine Ansichten und meinen christlichen Glauben immer wieder zu hinterfragen. Unsere Gesellschaft kann sich nur weiterentwickeln, wenn wir uns auch die schwierigen Fragen stellen – aber ohne Vorwürfe, sondern auf eine liebevolle Art und Weise.“ Sätze wie diese hört man von Priscilla immer wieder. Es ist ihr unglaublich wichtig, zu betonen, dass Menschen sich in vielen Punkten ähneln und sich unabhängig von Haarfarbe oder Religion annehmen sollten. Denn nur so kann Rassismus bekämpft werden.

Gemeinsame Leidenschaft für gutes Essen

Durch ihren Kontakt mit Flüchtlingen verfolgt Priscilla Bucher die politische Entwicklung sehr genau. Manchmal macht ihr das auch Sorgen. „Ich suche positive Nachrichten zwischen den ganzen schlechten heraus. Ich möchte zeigen, dass Integration gelingen kann und dass Rassismus durch Vorurteile entsteht. Außerdem möchte ich deutlich machen, dass die ‚Fremden‘ gar nicht so anders sind wie wir. Auch sie haben Träume, Familie und Ängste.“

Priscilla setzt diese Erkenntnis in ihrem Alltag um und begegnet einer Gruppe von Menschen, mit denen sie scheinbar nichts verbindet – ungarischen Tagelöhnern, die für einen Hungerlohn in München arbeiten. Priscilla besucht sie in dem schäbigen Wohnheim, in dem sie leben. Zusammen kochen und lachen sie, teilen Leben und kommen ins Gespräch. Für Priscilla ist diese Erfahrung sehr bewegend und aufschlussreich. Sie merkt, dass es mehr Gemeinsamkeiten gibt, als sie auf den ersten Blick vermutet hätte. Die Männer lieben gutes Essen – genau wie Priscilla. Und sie wünschen sich eine positive Zukunft für ihre Kinder. Deswegen arbeiten sie täglich viele Stunden.

Aber es steckt noch viel mehr dahinter: „Im Grunde sind wir alle gleich – unabhängig davon, wie viel wir verdienen oder wo wir auf der Karriereleiter stehen – wir sehnen uns nach Gemeinschaft mit anderen und einem Platz in der Gesellschaft.“

Eine Geschichte mit Happy End?!

Als kleines Mädchen hat sich Priscilla das auch oft gewünscht: Gemeinschaft mit anderen Kindern und einen Platz in der Gesellschaft. Dass ihr das verwehrt wurde, prägt sie bis heute. Umso mehr betont sie immer wieder, wie wichtig es ist, Menschen auf Augenhöhe zu begegnen – auch wenn das nicht immer leicht fällt: „Gerade, wenn man als Kind gemobbt wurde, ist es manchmal hart, die Balance zwischen Abgrenzung – die schnell arrogant rüberkommt – und dem verletzten Kind, das du schützen willst, zu halten. Aber du musst dich entscheiden: Trägst du eine Maske oder bist du du selbst und gehst auf Leute zu, auch wenn sie dich vielleicht nicht mögen?“

Priscilla Bucher hat für sich entschieden, auf Menschen zuzugehen. Die Begegnungen, die sie diesbezüglich in ihrem Alltag hat, beschäftigen sie nachhaltig. Das Flüchtlingsthema lässt sie nicht los – vielleicht auch, weil sie eine Vorahnung hat, wie sich das Ganze entwickeln könnte. Darüber hat sie einen Roman geschrieben. In „Kriege sind halt kacke“ geht es um vier Protagonisten, die mit einem Sanitätswagen einen Roadtrip machen. Alle europäischen Grenzen sind bereits zu. Der Leser wird in einer Art Mikroansicht in die Geschichte hineingenommen und erfährt dabei, wie die einzelnen Charaktere mit ihren Erfahrungen und Vorurteilen umgehen und warum sie anfangen, in Schubladen zu denken.

Die Geschichte des Buches hat Priscilla vor zwei Jahren geträumt: „Es war wie eine göttliche Eingebung. Die Geschichte war auf einmal da und ich hatte den inneren Impuls, sie aufschreiben zu müssen.“ Das Buch wird im Sommer 2016 veröffentlicht. In der Zwischenzeit kann Priscilla mitverfolgen, wie sich einzelne Punkte ihrer Geschichte bewahrheiten. Die aktuelle Flüchtlingskrise und die politischen Entwicklungen waren bereits seit Jahren in ihrem Kopf. Auf die Frage, wie das Buch ausgeht, wird sie nachdenklich. „Im Buch entwickeln sich einige Situationen schon so, dass ich manchmal Angst bekomme. Aber wenn ich dann denke, dass die Welt untergeht und alles schlecht ist, suche ich bewusst nach guten Nachrichten – und poste sie auf Blickwürdig.“

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