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© Kinga Cichewicz / unsplash.com

28.05.2021 / Serviceartikel / Lesezeit: ~ 5 min

Autor/-in: Micaela Kassen

Trost spenden

6 Tipps, wie Seelsorge im Alltag gelingen kann.

Der beste Freund ist durch eine Prüfung durchgefallen, hatte einen Streit in der Familie oder erlebte einen Todesfall. Es gibt viele Gründe, warum ein Mensch einmal Rat oder Trost braucht und auf die Hilfe anderer angewiesen ist. Doch oft haben Menschen Angst, etwas Falsches zu sagen und sprechen eine Person in einer Krisensituation gar nicht an. Dabei möchten diese das Gefühl haben, dass jemand bei ihnen ist, zuhört und vielleicht auch eine andere Perspektive einbringt.  

Im christlichen Kontext spricht man dann von Seelsorge. Der Theologe Karl Barth hat Seelsorge definiert als „das Handeln der Gemeinde an den einzelnen Menschen in ihrer eigenen Mitte, aber auch in der näheren und ferneren Umgebung“1. Das heißt: Seelsorge bedeutet das Sorgetragen um die Seele eines anderen. Menschen mit einer fundierten Seelsorgeausbildung können Betroffene in Krisensituationen, in Trauer oder Umbruchsphasen fachgerecht begleiten. Doch wie aus dem Zitat von Karl Barth zu erkennen ist: Seelsorge beginnt schon da, wo ich als Christin oder Christ andere emotional begleite und unterstütze.

Hier kommen 6 Tipps, wie Seelsorge im Alltag gelingen kann.

1. Zuhören

Es kann sein, dass ich denke, nicht die richtigen Worte zu haben, aber das ist auch nicht schlimm. Meinem Freund oder meiner Freundin hilft es, wenn ich einfach bei ihm bin und ihn ausreden lasse, wenn er etwas sagen will. Dabei sollte ich meinen Gegenüber beim Reden nicht unterbrechen. Wenn ich zuhöre zeige ich, dass ich da bin, mitleide und die Traurigkeit aushalten kann und auch will. Damit zeige ich Empathie und Wertschätzung. Es kann sein, dass mein Freund/ meine Freundin manchmal nicht in der Lage ist, das auszudrücken, was er oder sie fühlt. In diesem Fall kann ich versuchen, das in Worte zu fassen, was mein Gegenüber meint und nachfragen, ob ich es richtig verstanden habe.

2. Fragen stellen

Fragen zu stellen zeigt, dass ich mich dafür interessiere, wie sich mein Gegenüber fühlt. Mein Gesprächspartner/ meine Gesprächspartnerin kann dadurch die Möglichkeit bekommen, zum einen sich selbst besser zu verstehen und zum anderen mir helfen, seine oder ihre Gefühlswelt zu verstehen. Mein Interesse an dessen Gefühlswelt kann das Gefühl vermitteln, wertgeschätzt zu werden.

Viele Menschen brauchen oft nicht unbedingt einen Rat, damit es ihnen besser geht. Viel wichtiger ist das Erleben, dass sich jemand ernsthaft für einen interessiert.

Manchmal müssen sie nur die Möglichkeit haben, sich aussprechen zu können. Lösungsansätze oder Ideen zum Umgang mit ihren Problemen können sie oft im Nachhinein auch selbst entwickeln.

3. Nicht alles sagen, was ich denke

„Hast du wenigstens ein schlechtes Gewissen?“ oder „Ich habe es doch gewusst, dass das so kommen würde!“ – das sind Sätze, die Menschen wenig helfen, wenn jemand traurig ist, weil er einen Fehler begangen hat und diesen nun bereut. Wenn ich mit einer Freundin im Gespräch bin, die gerade mit sich hadert, sollte ich nicht unbedingt alle Gedanken äußern, die mir in den Sinn kommen.

Vorwürfe sind meist fehl am Platz – insbesondere, wenn die Person sich sowieso schon mit Schuldgefühlen herumplagt. Aufforderungen können ebenso überfordernd wirken.

Selbst wenn ich denke, dass ich die Situation komplett erfasst habe, kann ich mir bewusst machen, dass ich nicht alle Faktoren kenne und nicht alles verstehe, was meine Freundin gerade durchsteht. Das gilt auch dahingehend, dass ich nicht unbedingt die Einschätzungen und Empfindungen meines Gegenübers teilen oder gar übernehmen muss.

Bei der Seelsorge geht es nicht darum, jemanden zu verurteilen und genauso wenig gilt es, mein Gegenüber unreflektiert von jedem Fehlverhalten freizusprechen. Seelsorge bedeutet, einen Raum für Reflexionsprozesse zu schaffen, in dem ich Fragen stelle und meinem Gegenüber ein Spiegel bin.

4. Spiegeln statt bewerten

Wie bereits erwähnt: Aufforderungen können überfordernd wirken. Wenn mein Gegenüber das Gefühl bekommt, dass ich ihn belehren will, kann es sein, dass er sich mir gegenüber komplett verschließt. Wie der Volksmund sagt: „Ratschläge sind auch Schläge.“ Wichtiger kann es sein, dass ich meine Wahrnehmung spiegele und damit eine neue Perspektive auf die Situation ermögliche. Ich kann zum Beispiel ausdrücken, welche Gefühle ich bei ihr oder ihm wahrnehme und meinen Gegenüber bitten, die eigenen Empfindungen zu beschreiben.

Fragen wie „Was macht dir aktuell am meisten Mühe?“ oder „Was empfindest du jetzt, wenn du auf diese Situation zurückblickst?“ helfen dem anderen, einen Schritt aus den eigenen Gefühlschaos herauszutreten, die Situation zu reflektieren und selbst zu erkennen, welche Schritte als nächstes dran sind.

5. Kritik ertragen

Wenn es Menschen nicht gut geht, sie sich nicht verstanden oder im Stich gelassen fühlen, kann es schon mal vorkommen, dass sie nicht gerade nette Dinge sagen. Betroffene, die eine Krise durchleben, finden sich in einer komplexen Gefühlslage wieder, zu der neben Traurigkeit auch Wut oder Angst gehören können.

Selbst wenn mein Freund oder meine Freundin mir mal einen ungerechten Vorwurf macht, muss ich mich nicht gleich von ihm abwenden oder an die Decke gehen.

Es kann helfen, mir im Vorhinein bewusst zu machen, dass ungerechte Kritik auf mich zukommen kann. Ich kann mir dann beispielsweise sagen: „Wenn die Person mich angreift, werde ich… reagieren“ Ich darf aber auch meine eigenen Gefühle äußern, indem ich beispielsweise sage: „Ich fühle mich von dir ungerecht beurteilt, weil…“ oder „Vielleicht ist das, was ich gesagt habe, falsch rübergekommen. Ich meinte eigentlich…“ Ich darf ruhig ehrlich sein. Die Kritik muss ich nicht unbedingt persönlich nehmen. Vielleicht kann ich das Aushalten der Kritik in dem Moment als Herausforderung sehen. Immerhin zeigt sie mir auch, wie gut ich mich in meinen Gegenüber einfühlen kann.

6. Hilfe anbieten

„Wenn ich etwas für dich tun kann, sag Bescheid!“ oder „Ich passe auch mal auf deine Kinder auf, wenn du Zeit für dich brauchst!“ – zu wissen, dass man in der Situation nicht alleingelassen wird, kann helfen. Selbstverständlich sollte man diese Sätze auch nur sagen, wenn man sie so meint. Viele Personen würden sich dennoch nicht melden, wenn sie Hilfe gebrauchen könnten, deswegen kann man im Nachhinein öfter mal nachfragen. Fragen wie „Möchtest du darüber reden?“ oder „Würde es dir helfen, darüber zu sprechen?“ zeigen Interesse und können beim nächsten Treffen mit der Person helfen, das Gespräch einzuleiten.

 

„Freut euch mit denen, die sich freuen; weint mit denen, die weinen“ – so heißt es an einer Stelle in der Bibel. Gott wünscht sich, dass wir Anteil aneinander nehmen – ob es um erfreuliche oder weniger erfreuliche Dinge geht. In der Kommunikation hat sich das Sprichwort „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“ schon oft als wahr und hilfreich erwiesen. Denn manchmal ist es nachhaltig besser, nichts zu sagen und die Ruhe auszuhalten, anstatt etwas Falsches oder Verletzendes zu sagen.

Wichtig ist, dass ich keinen Druck aufbaue oder fordernd auftrete. Mir hilft es, wenn ich mir bewusst mache, dass ich der Person eine Stütze biete und dass es nicht darum geht, möglichst schnell wieder aus dieser Situation herauszukommen. Für einen Mitmenschen da zu sein und auch mal Schweigen auszuhalten, kann mehr bewirken als ich vielleicht denke.


1 Karl Barth zit. nach. Winkler, K. (2000). Seelsorge (De Gruyter Lehrbuch), 2. verbesserte und erweiterte Auflage, de Gruyter. S.30

 Micaela Kassen

Micaela Kassen

  |  Freie Mitarbeiterin

Theologin, studiert derzeit Psychologie und ist auf Kinder- und Jugendpsychologie spezialisiert. Sie hat als Lerntherapeutin gearbeitet und ist aktuell als Sozialarbeiterin in einer intensiv-pädagogischen Einrichtung tätig. Redaktionell setzt sie ihre Schwerpunkte auf die psychische Gesundheit und Kindererziehung. 

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Kommentare (1)

Urö /

Vielen Dank!

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